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Ärztechef: "Eine Impfpflicht halte ich für äußerst schräg"

Sachsens Ärztechef Klaus Heckemann über den Protestbrief von Ärzten in SOE und über die Grenzen einer Corona-Schutzimpfung.

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Der Chef, der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen, Klaus Heckemann. "Wir sind der Meinung, dass eine Impfpflicht mittlerweile nicht mehr verhältnismäßig wäre."
Der Chef, der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen, Klaus Heckemann. "Wir sind der Meinung, dass eine Impfpflicht mittlerweile nicht mehr verhältnismäßig wäre." © Sven Ellger

Ärzte, Schwestern und Pfleger protestieren gegen die Impfpflicht für medizinische Berufe. An die Kreisverwaltung von SOE wurde ein Brief von 23 Praxen übergeben, die mit Schließung drohen. Kennen Sie diesen Brief, Herr Heckemann?

Wir kennen ähnliche Ankündigungen auch von anderen Ärzten, allerdings sind sie im Allgemeinen eher unverbindlich. Auch dieses Schreiben hat ja nicht die Qualität einer Zulassungsrückgabe. Es heißt nur, wenn das so kommen sollte, werden wir dies oder das tun.

Wie stehen Sie zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht für medizinische Berufe?

Wir sind der Meinung, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht genauso wie eine möglicherweise allgemeine Impfpflicht mittlerweile nicht mehr verhältnismäßig wäre. Man kann sich darum streiten, ob das - als das Anfang Dezember 2021 beschlossen wurde - noch verhältnismäßig war. Jetzt ist es das ganz offensichtlich nicht mehr. Auf der einen Seite, sagt man, müssen die Patienten geschützt werden. Die Patienten haben aber, so sie ein höheres Risiko haben, hauptsächlich also die Älteren, alle die Möglichkeit gehabt, sich impfen zu lassen. Also für den Eigenschutz konnte jeder das Maximale tun, bis hin zur Boosterung. Und es ist nicht so richtig einsehbar, warum dann andere geimpft werden sollen.

Vielleicht, weil Geimpfte eine niedrigere Viruslast haben und das auch nur kürzer als Ungeimpfte?

Mittlerweile ist bekannt, dass Geimpfte gerade eben - und das ist das wesentliche Neue bei der Omikron-Variante - fast genauso häufig erkranken können und sich anstecken können, wie wenn sie nicht geimpft wären. Der ganz wichtige Vorteil nach wie vor ist, dass man durch die Impfung schwere Krankheitsverläufe bis hin zum Tod zwar nicht vermeiden, aber deutlich reduzieren kann. Aber das bedeutet, die Impfung hat eigentlich ausschließlich einen Wert als Eigenschutz. Damit wäre eine Pflicht Entmündigung, ganz nach dem Motto "Du bist zu blöd, selber richtig für dich zu entscheiden, also entscheiden wir für dich". Das halte ich für äußerst schräg.

Aber man hat ja auch gesagt, das medizinische System muss ebenfalls geschützt werden.

Das ist genau richtig. Da haben Sie genau den Finger in die Wunde gelegt. Das ist nämlich das zweite Argument. Mehr gibt es dann aber nicht. Der Fremdschutz ist nicht mehr gegeben als Notwendigkeit, vor allem eben, weil auch die Geimpften das genauso gut übertragen können. Und die Überlastung des Systems ist der zweite ganz wichtige Aspekt, den man berücksichtigen muss. Aber diese Überlastung des Systems ist offensichtlich durch die deutlich geringere Schwere der Omikron-Infektion momentan nicht absehbar oder gegeben.

Ist eine Ankündigung, aus der Versorgung von Kranken auszusteigen, mit der Berufsordnung der Landesärztekammer zu vereinbaren?

Gut, das ist jetzt mal ein völlig anderer Aspekt. Ich meine, die Ärzte sind freiberuflich tätig. Wenn sie sagen, ich möchte nicht mehr freiberuflich tätig sein oder ich will überhaupt nicht mehr tätig sein, dann ist das natürlich vereinbar. Jeder hat das Recht zu sagen: Ich gebe meinen Beruf auf. Ob das jetzt vernünftig ist, das ist jetzt mal eine ganz andere Frage.

Wenn nun Ärzte tatsächlich aussteigen - gibt es für sie nicht trotzdem eine Verpflichtung, Patienten zu helfen?

Also in dem Fall, wo ich gerade mal dazu komme, bin ich natürlich verpflichtet, nach meinen Kenntnissen - und das ist beim Arzt eben mehr als beim Laien - zu helfen. Aber dann bin ich einfach raus aus dem Beruf. Das heißt trotz alledem nicht, dass ich es richtig finde, dass man einen solchen Schritt geht. Und das ist zum Glück nicht ganz so schlimm, weil ich mir sicher bin, es wird dazu nicht kommen.

Warum?

Ja, weil ich mir sicher bin, dass man die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht exekutiert wird. Sie würde einfach eine solche Zerstörung unseres Gesundheitssystems bewirken, die nicht heilbar ist.

Also Sie gehen fest davon aus, dass die Politik nachsteuern wird.

Nachsteuern kann man auch positiv verstehen, dass man sagt, es haben sich neue Aspekte ergeben. Die konnten wir nicht wissen zu dem Zeitpunkt, wo wir das beschlossen haben. Und auf die reagieren wir aber als Politik, weil wir ja nicht stur sind.

Wir haben etwas mehr als 120 Allgemeinarztpraxen im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Bricht die Versorgung zusammen, wenn jeder sechste oder fünfte schließt?

Wenn das passieren würde, wäre natürlich ein Fünftel ein richtiges Problem. Zusammenbrechen ist aber immer relativ. Es werden sicher die am dringendsten behandlungsbedürftigen Patienten schon immer noch versorgt, aber nicht mehr so, wie sie sich das wünschen. Das wird dann alles ein bisschen unschön. Aber zusammenbrechen würde eine medizinische Versorgung vielleicht unter Umständen in einem Krieg, aber so weit sind wir ja nicht. Und deshalb ist es ja so ganz, ganz wichtig, dass wir das gemeinsam abwenden.

Das Gespräch führte Domokos Szabó.