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Müdigkeit nach Corona-Infektion: Ab wann man von Long Covid spricht

Müdigkeit, Konzentrationsprobleme, Kraftlosigkeit - bis zu 40 Prozent sind noch lange nach ihrer Corona-Infektion nicht richtig gesund. Ab wann man von Long Covid oder Post Covid spricht und welche Behandlungsansätze es gibt.

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Müdigkeit, Haarausfall, Konzentrationsschwäche: Long Covid sorgt für eine Vielzahl von Symptomen, die Betroffene in ihrem Alltag stark einschränken.
Müdigkeit, Haarausfall, Konzentrationsschwäche: Long Covid sorgt für eine Vielzahl von Symptomen, die Betroffene in ihrem Alltag stark einschränken. © Christin Klose/dpa (Symbolbild)

Obwohl die Erkrankung selbst mild verlaufen ist, geht es vielen Menschen auch Wochen nach einer Corona-Infektion häufig schlecht. Viele berichten von Müdigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisproblemen, sowie Herz- und Atembeschwerden.

Den medizinischen Fachgesellschaften zufolge leiden 15 Prozent der Corona-Infizierten an Langzeitfolgen. Die Universität Mainz spricht sogar von bis zu 40 Prozent.

Doch selbst wenn nur jeder zehnte Infizierte nicht wieder richtig gesund geworden ist, haben in Deutschland seit Pandemiebeginn noch mindestens 1,8 Millionen Menschen mit den Langzeitfolgen zu kämpfen, vor allem mit den psychischen, wie zahlreiche internationale Studien belegen.

Was im Volksmund Long Covid heißt, teilen Wissenschaftler inzwischen in zwei verschiedene Stadien ein: Long Covid und Post Covid. Doch ab wann spricht man von beiden Erkrankungen und welche Behandlungsansätze gibt es? Ein Überblick.

In diesem Text:

  • Müdigkeit nach Corona geht nicht weg - ab wann spricht man von Long Covid?
  • Was ist der Unterschied zwischen Long Covid und Post Covid?
  • Kann ich auch nach einem milden Corona-Verlauf Post Covid bekommen?
  • Was hilft gegen Long Covid und Post Covid?
  • Was ist Pacing und wie funktioniert es?
  • Die psychische Gesundheit nicht vernachlässigen

Müdigkeit nach Corona geht nicht weg - ab wann spricht man von Long Covid?

Dass man nach einer durchgemachten Erkrankung anschließend noch einige Tage müde und erschöpft ist, das ist erstmal normal.

Erschöpfung ist aber nicht gleich Erschöpfung. Darauf weist Prof. Carmen Scheibenbogen hin, die das Charité Fatigue Centrum in Berlin leitet. Sie beschäftigt sich dort vor allem mit ME/CFS, also dem Chronischen Erschöpfungssyndrom.

Ein Merkmal dieser komplexen Erkrankung: "Schon leichte Alltagsbelastung kann die Fatigue, aber auch die Schmerzen, langanhaltend verschlimmern. Versucht man, das normale Alltagspensum fortzuführen, kann es mit der Zeit schlechter und schlechter gehen", sagt Scheibenbogen. Dieses Phänomen wird Post-Exertionelle Malaise (PEM) genannt und kommt auch bei einem Teil der Long-Covid-Betroffenen vor.


Die Erschöpfung kommt bei Long Covid in aller Regel auch nicht allein: "Luftnot, Muskelschmerzen, Herzrasen - auch diese Symptome können sich verschlimmern, wenn man sich überlastet", sagt Prof. Martina Lukas, Chefärztin der Inneren Medizin II der DKD Helios Klinik in Wiesbaden.

Während es also bei "normaler" Erschöpfung oft hilfreich ist, etwas Sport zu machen, kann eine solche Anstrengung bei PEM fatal sein. Es kann sein, dass es danach zu einem schweren Zusammenbruch kommt, so Scheibenbogen. Dann geht erstmal gar nichts mehr.

Was ist der Unterschied zwischen Long Covid und Post Covid?

Während unter dem geläufigeren Begriff Long Covid bis zu vier Wochen anhaltende Symptome der Erkrankung verstanden werden, fasst der Name Post Covid verschiedene Symptome zusammen, die auch zwölf Wochen nach der Infektion noch bestehen und nur schwer einzugrenzen sind.

Häufig seien aber Erschöpfungserscheinungen, eine geringere Belastbarkeit der Patienten oder Luftnot, sagt Paul Baum von der Uniklinik Leipzig. "Die Betroffenen können sich Dinge schlechter merken, ihnen fallen Wörter nicht mehr ein. Das wird von vielen Patienten als sehr belastend empfunden", sagt Baum.

Kann ich auch nach einem milden Corona-Verlauf Post Covid bekommen?

So unterschiedlich die Symptome auch sind, die Betroffenen haben einige Gemeinsamkeiten: Während der Infektion litten sie laut Paul Baum von der Uniklinik Leipzig zwar oft an Grippe-Symptomen mit Gliederschmerzen und Luftnot, mussten jedoch nicht ins Krankenhaus.

Diese Erfahrung hat auch Amalia Hanßke von der Uniklinik Dresden gemacht, die dort zusammen mit Kollegen die psychosomatische Sprechstunde für Menschen mit Covid-19-Spätfolgen betreut. "Die meisten beschrieben, dass sie wegen der akuten Infektion drei bis fünf Wochen krankgeschrieben waren und danach versuchten, in den ausgeübten Beruf wieder einzusteigen", sagt sie.

Viele seien nach ihren eher milden Corona-Verläufen überrascht, dass die Post-Covid-Symptomatik so lange andauere. Sie setzten sich zum Teil stark unter Druck, wieder wie vor der Erkrankung zu funktionieren. "Einige fühlen sich nicht ernst genommen, wenn keine körperliche Ursache gefunden wurde", weiß Hanßke.

Was kann ich gegen Long Covid und Post Covid tun?

Zähne zusammenbeißen und weitermachen, als wäre die Erschöpfung nicht da, ist für Long-Covid-Betroffene die schlechteste Lösung, so Martina Lukas, Chefärztin der Inneren Medizin II der DKD Helios Klinik in Wiesbaden.

Besser ist es, eine Pacing-Strategie zu entwickeln. Der Begriff leitet sich vom englischen Wort "pace" für Geschwindigkeit ab. Und genau darum geht es: das Tempo des Alltags unter Kontrolle zu haben - und auf die Bremse zu treten, wenn die Anstrengung zu groß wird.

Was ist Pacing und wie funktioniert es?

"Pacing heißt, schonend mit den eigenen Ressourcen umzugehen und zu erkennen, wo die eigenen Grenzen liegen", sagt Martina Lukas, die auch in der Long-Covid-Ambulanz ihrer Klinik tätig ist. Pacing kann zwar die Beschwerden nicht heilen, es schafft jedoch mehr Lebensqualität, weil es Betroffenen dadurch im Alltag besser geht.

Menschen, die unter Post Covid leiden, sollten lernen schonend mit den eigenen Ressourcen umzugehen und sich nicht zu überlasten.
Menschen, die unter Post Covid leiden, sollten lernen schonend mit den eigenen Ressourcen umzugehen und sich nicht zu überlasten. © Alexander Heinl/dpa (Symbolfoto)

Zwar ist eine Pacing-Strategie eine ganz individuelle Angelegenheit, am Anfang steht aber stets dieselbe Frage: Wie viel Energie habe ich? Das ist gar nicht einfach zu beantworten, denn "Energie" klingt für viele erst einmal abstrakt. Während wir bei einem Smartphone den Akkustand direkt einsehen können, ist es deutlich kniffeliger, die Belastbarkeit von Körper und Kopf einzuschätzen.

Es gibt aber einen Trick: "Man kann sich vorstellen, dass man für jeden Tag einen Sack mit Energieperlen zur Verfügung hat", sagt Lukas. "Jede Aktivität kostet eine Energieperle - das Ausräumen des Geschirrspülers, die Runde mit dem Hund, das Kochen des Mittagessens."

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Allerdings sind es nicht nur vermeintlich "produktive" Dinge wie Arbeit oder Haushalt, die Energie aufbrauchen. Auch Fernsehen oder Lesen können - gerade auf kognitiver Ebene - zu anstrengend sein, so Carmen Scheibenbogen. Diese Tätigkeiten sollte man beim Ausarbeiten einer Pacing-Strategie also auch berücksichtigen.

Die psychische Gesundheit nicht vernachlässigen

An der Energie, die man früher zur Verfügung hatte, sollte man sich besser nicht messen. Martina Lukas berichtet von einem jungen, sportlichen Patienten, für den nach seiner Covid-Infektion nur ein Spaziergang von einer Viertelstunde drin war.

Eben weil die Energie begrenzt ist, ist es unverzichtbar, Prioritäten zu setzen. So wie man sich den knappen Rest-Akku des Smartphones eher für ein wichtiges Telefonat aufhebt, sollte man auch im Alltag schauen: Was muss unbedingt noch gemacht werden? Und: Was kann ich liegenlassen, verschieben oder delegieren?

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Entlastend kann es da sein, die Ansprüche an sich selbst anzupassen. Ganz nach dem Motto: Es ist okay, dass die Fenster nicht geputzt sind. Oder wenn es eine Dosensuppe statt eines frisch gekochten Mittagsessens gibt - einfach, weil die Energie an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt war.

In der psychosomatischen Sprechstunde in Dresden stellten sich bislang mehr als 110 Menschen vor, die etwa an Schlafstörungen, "Gehirnnebel" oder Angststörungen leiden.

Im Gespräch mit den Betroffenen will Amalia Hanßke von der Uniklinik Dresden etwa wissen: "Wie gehen die Betroffenen mit ihren Symptomen um? Was wissen sie über ihre Erkrankung? Welche Konsequenzen haben sich möglicherweise durch die Beschwerden entwickelt?" Nach einem ausführlichen Gespräch würden Wege zum Umgang mit den Beschwerden behandelt.

Es gehe auch darum, den Patienten Angst zu nehmen, sagt Hanßke. "Wir machen den Betroffenen Hoffnung, dass die Beschwerden zwar langandauernd sind und die Folgen der Erkrankung langwierig, dass aber diese nach dem aktuellen Wissensstand nicht dauerhaft bestehen." (dpa/soa/sw)