Deutlich weniger Patienten in sächsischen Krankenhäusern

Volle Intensivstationen, Rettungskräfte im Dauereinsatz, erschöpfte Ärzte und Pflegekräfte: Das sind die Bilder, die von den Krankenhäusern während der Pandemie im Gedächtnis haften geblieben sind.Es gab aber noch eine andere Seite. Im vergangenen Jahr wurden in den sächsischen Kliniken 15 Prozent weniger Patienten behandelt als im Vor-Corona-Jahr 2019, bundesweit waren es 14 Prozent weniger. Diese Zahlen hat das Wissenschaftliche Institut der AOK (WidO) am Dienstag in seinem neuen Krankenhaus-Report veröffentlicht. Der Rückgang klingt dramatisch – aber wie schlimm sind die Folgen wirklich?
Die Ursachen
In der ersten Corona-Welle stand die Versorgung der Covid-19-Patienten an erster Stelle. Deshalb sollten Krankenhäuser alle planbaren Behandlungen absagen oder verschieben. Die Fallzahlen brachen um mehr als ein Viertel ein. Als Ausgleich erhielten die Kliniken Freihaltepauschalen – anfangs ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Belegung mit Covid-Patienten. Später normalisierte sich der Alltag in den Krankenhäusern wieder. Bis zu Beginn dieses Jahres die Omikron-Welle auch das Personal in Größenordnungen außer Gefecht setzte und der Regelbetrieb vielerorts erneut eingeschränkt werden musste.
Die Notfälle
Sowohl 2020 als auch 2021 kamen deutlich weniger Patienten nach Herzinfarkt und Schlaganfall in ein Krankenhaus – dafür aber eher schwere Fälle. Über die Gründe wird nach wie vor spekuliert; möglicherweise haben Patienten mit leichteren Symptomen den Notruf gescheut, weil sie Angst vor einer Infektion oder Überlastung hatten. Mehr Sterbefälle gab es deswegen allerdings nicht, wie WidO-Geschäftsführer Jürgen Klauber mit Verweis auf die Todesursachenstatistik feststellte. Folgeschäden wie Herzinsuffizienzen seien jedoch nicht auszuschließen.Klauber appellierte an die Bevölkerung, bei Notfallsymptomen den Arzt oder den Rettungsdienst zu alarmieren.
Krebsoperationen
Auffällig ist vor allem der starke Rückgang bei Darmkrebs-OPs. In Sachsen betrug er zwölf Prozent gegenüber 2019, in ganz Deutschland 13 Prozent. Möglicherweise gibt es hier einen Zusammenhang zum Rückgang bei den Darmspiegelungen. Es sei zu befürchten, dass dieser zu mehr schweren Krebserkrankungen, höheren Tumorstadien bei der Erstdiagnostik und einer Erhöhung der Sterblichkeit führe, sagte Klauber.
Planbare Eingriffe
Bei Hüft-OPs ist Deutschland Weltmeister, seit Jahren gingen die Zahlen beim Einsatz eines künstlichen Hüftgelenks nach oben. Corona hat diesen Trend umgekehrt: In den vergangenen beiden Jahren bekamen elf beziehungsweise zehn Prozent weniger Patienten eine Hüftendoprothese eingesetzt als 2019. Noch stärker sind die Eingriffe zur Gebärmutterentfernung bei gutartigen Erkrankungen zurückgegangen (minus 14 beziehungsweise 16 Prozent) – was sich aber immer noch bescheiden ausnimmt gegenüber dem Einbruch bei Mandelentfernungen. Hier sank die Zahl der OPs binnen zwei Jahren in Sachsen um 47 und bundesweit sogar um 49 Prozent. Für die Wissenschaftler ist dies ein eindeutiges Indiz dafür, dass im Zuge der Pandemie auch unnötige Operationen entfallen sind.
Ambulant oder stationär?
Ein großes Streitthema im Gesundheitswesen ist die Frage, welche Operationen auch ambulant durchgeführt werden können. Diese sind im Vergleich zu stationären Behandlungen viel günstiger, weil die Kosten für den Krankenhausaufenthalt entfallen. Der Report liefert nach Ansicht von Klauber nunmehr Indizien, die „auf eine Überversorgung im Krankenhaus“ hindeuten. So sank die Anzahl der Patienten, die im vergangenen Jahr wegen Rückenschmerzen in eine sächsische Klinik eingewiesen wurden, um 41 Prozent.
Offen bleibt, wie viele dieser potenziellen Patienten ihre Schmerzen in einer ambulanten Operation oder gar nur auf konservative Weise, also mit Medikamenten und/oder einer Physiotherapie, behandeln ließen.
Einen auffälligen Rückgang um 39 Prozent verzeichneten die Krankenhäuser in Sachsen auch bei Behandlungen der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), die häufig Raucher trifft. Der Präsident der Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin, Professor Christian Karagiannidis, äußerte in diesem Zusammenhang die Vermutung, dass insbesondere die Maskenpflicht viele schwere COPD-Fälle verhindert hat.
Corona
Fast jeder fünfte AOK-Versicherte, der bis Ende 2021 mit Covid-19 im Krankenhaus behandelt wurde, überlebte die Krankheit nicht. Bei den beatmeten Patienten lag die Sterblichkeit sogar bei 51 Prozent. Im Verlauf der Pandemie habe es aber erhebliche Fortschritte bei der medizinischen Behandlung gegeben, betonte Karagiannidis, der dem Expertenrat der Bundesregierung angehört. Die Hauptlast hätten dabei Unikliniken und Maximalversorger getragen. „Es sind die qualifizierten Behandlungsteams, die hier viele Leben gerettet haben“, sagte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann. Die zuweilen geäußerte These, es sei ein Segen gewesen, dass wir in der Pandemie so viele Kliniken hatten, sei viel zu kurz gesprungen. Der Widerspruch von der Deutschen Krankenhausgesellschaft kam prompt: Die großen Krankenhäuser hätten nur deshalb so agieren können, weil andere Krankenhäuser die Regelversorgung übernahmen und Infektionsstationen für leichte Fälle einrichteten.
Das Fazit
Aus der Pandemie sollten nunmehr Lehren gezogen werden – darin sind sich Wissenschaft, Kassen und Krankenhäuser einig. Genannt werden mehr Kooperationen und stärkere Spezialisierung der Kliniken. Auch die bessere Verzahnung von ambulantem und stationärem Sektor ist überfällig. Klinikstandorte, die nicht mehr benötigt werden, sollten zu interprofessionellen Gesundheitszentren umgewandelt werden, forderte Reimann. In diese Richtung orientiert auch Sachsens Regierung bei der künftigen Krankenhausplanung. Schließungen sind im Freistaat derzeit nicht geplant.