Jürgen Karney, 1954 in Berlin geboren, machte nach einer Lehre zum Facharbeiter für Nachrichtentechnik zunächst als DJ, was Mitte der Siebziger in der DDR allerdings Schallplattenunterhalter hieß, Karriere. Zudem schrieb er fürs Radio, moderierte und hatte schließlich mit "Bong" 1983 seine eigene TV-Sendung, in der er Pop-Stars live präsentierte. Nach der Wende verlegte sich Karney wieder mehr aufs Radio, jetzt veröffentlichte er seine Autobiografie, in der er tiefe Einblicke in den Unterhaltungsapparate der DDR gewährt.
Herr Karney, vermeiden Sie bei Besuchen in Dresden immer noch, am ehemaligen Café Prag vorbeizukommen?
Nein, natürlich nicht. Das ich mich dort als junger Moderator nicht mit Ruhm bekleckert habe, lag ja nicht am Café Prag, sondern an mir. Auf die Nase zu fallen gehört in diesem Beruf dazu, man darf nur nicht liegen blieben. Am Ende habe ich ja meine Karriere noch ganz gut hinbekommen.
Was genau ging 1980 bei Ihrem Auftritt im Café Prag so schief, dass Sie bis heute traumatisiert sind?
Bei den bunten Varieté Veranstaltungen traten verschiedene Künstler auf, die meistens von einem profilierten Conférencier angesagt wurden. Allein der dafür übliche, schon damals antiquierte Begriff Conférencier, den ich nicht mal richtig schreiben konnte, war mir ein Graus. Mir fehlte damals einfach die Erfahrung und ehrlich auch der Ehrgeiz, zwischen einer Pudeldarbietung und einer Schlagersängerin im Paillettenkleid mit geschliffenem Wortwitz zu überzeugen. Die Messlatte dafür war von O. F. Weidling und Fred Gigo, beides Meister ihres Faches, hoch gelegt worden und das diesbezüglich verwöhnte Dresdner Publikum hat mich das als jungen Heißsporn aus Berlin auch spüren lassen.
Mittagsshow bei der Müllabfuhr
Ihrer Meinung nach entstanden damals die besten Witze in der Region Dresden. Wie kommen Sie darauf?
Vor allem Witze mit gesellschaftspolitischem Bezug. In meiner Wahrnehmung waren die Dresdner aus dem viel zitierten „Tal der Ahnungslosen“ mitnichten ahnungslos, nur weil sie „Dallas“, „Wetten, dass..?“ und die „Tagesschau“ nicht sehen konnten. Irgendwie waren die wirklich relevanten Informationen aus beiden deutschen Staaten sehr schnell in Dresden. Ich hatte immer das Gefühl, dass die damaligen gesellschaftlichen Zustände und Entwicklungsprozesse gerade dort sehr genau reflektiert wurden. Wenn ich Kabarettisten wie Wolfgang Stumph oder die genannten Conférenciers erlebte, konnte man glauben, sie treiben ihren Spaß, weil sie wissen, das geht auf Dauer nicht gut mit diesem System. Es entstand eine einzigartige sehr kluge Mischung aus schwarzem, subversivem Humor und gesundem Menschenverstand. Das war ein Ventil des Frustes mit optimistischer und zutiefst positiver Aussicht auf Besserung der Umstände.
Sie selbst haben aber tatsächlich ihre „Sprecherpappe“ während der Mittagspausenunterhaltung der Berliner Müllabfuhr gemacht?
Oh ja! Da wusste jeder der übermütigen Anwärter auf eine Profi-Zulassung gleich, wo man landen kann, wenn die Kunst zu dünn ist.
Wer ist denn auf dieses Veranstaltungsformat gekommen?
Die Vorgabe lautete: Jeder braucht eine staatliche Zulassung, und auf dem Wege dahin war das das Live-Level. Als Unterhaltungskünstler braucht man Publikum, sonst ist es, als würde man die Seepferdchen-Prüfung im Sandkasten ablegen. So schuf die Konzert-und Gastspieldirektion Berlin dieses Format, um halbwegs normale Auftrittsbedingungen für die aufstrebenden Entertainer und Artisten zu schaffen. Mit den Mittagsveranstaltungen bei den Werktätigen hatte man eine adäquate Prüfungssituation und gleichzeitig eine kulturelle „Maßnahme“ für echte Werktätige.
Ist das nicht eigentlich eine derartig geniale Idee, dass man sie noch einmal aufgreifen sollte?
Für damals sicher. Wenn es allerdings wieder dazu kommt, dass Künstler eine staatliche Zulassung brauchen, bin ich diesmal raus.
Ofenrohre zu Bühnenscheinwerfern
Sind Sie dagegen heute noch immer handwerklich so fit, dass Sie aus Trabi-Lampen und Ofenrohren Bühnenscheinwerfer bauen könnten?
Wer in der DDR ein Haus gebaut hat, der kann mit Werkzeug umgehen. Entgegen meiner früheren Auffassung, dass der Werkunterricht in der Schule für die Katz ist, musste ich feststellen, er war fürs Leben und in der Mangelwirtschaft sehr hilfreich. Mir hat die Auseinandersetzung mit Hammer, Rohrzange und Gummipümpel stets sehr geholfen – keine Ahnung, wie ich heute reden würde, wenn es schon damals für jeden Handgriff, den man selbst ausführen kann, eine App gegeben hätte.
Mit Ihrer TV-Show „Bong“ gingen Sie 1983 parallel zur ARD-Sendung „Formel Eins“ an den Start. Haben Sie die Westkollegen als Konkurrenz empfunden oder ignoriert?
Wettbewerb hat mich immer beflügelt. Klar war das blöd, dass zeitgleich zu uns „Formel Eins“ an den Start ging, aber wir hatten schnell unseren eigenen Stil durch die aufwendigen Videosequenzen gefunden. Leider waren unsere technischen Möglichkeiten etwas bescheidener als bei den West-Kollegen. Kleine Anekdote: Als ich vor ein paar Jahren mit meinem Freund Quaster auf einem „Udo-Lindenberg-Vergnügungsdampfer“ war, lernte ich den Regieassistenten vom „Musikladen“, einer sehr bunten und modernen Musiksendung in der ARD, kennen. Nach einigen Eierlikörchen haben wir uns beide gestanden, voneinander inspiriert worden zu sein. Die Kollegen im Westen checkten „Bong“ und wir den „Musikladen“. Finde ich so viele Jahre danach noch cool.
Wie oft wurde Ihnen seitens der DDR-Entscheider in Ihre Arbeit reingegrätscht?
Gemessen an den Restriktionen, die einige Musiker, Sängerinnen und Sänger erfahren haben, war das, wie mir in meine Arbeit reingeredet wurde, nicht schön, aber Pillepalle. Vieles, worüber bei den Proben noch alle gelacht haben, durfte in der Live-Sendung nicht gesagt werden. Das hat aber letztlich dem Gesamteindruck nicht geschadet. Was schon mehr schmerzte, waren die vielen Spielszenen in der Sketchsendung „Knallbong-bong“, die ich mit Wolfgang Lippert spielte. Da hatten die Ideologie-Chirurgen der Partei alles rausgeschnitten, was mit Beratungsmustern in Schaufenstern, Gaststättenschließzeiten, Volkspolizisten und Punks zu tun hatte. Bei der Nachbetrachtung meiner DDR-Zeit muss ich aber ehrlich feststellen, dass man mir viel Freiraum gelassen hat. Hin und wieder bin ich an die Grenzen gegangen, wofür ich die eine oder andere ernsthafte Ermahnung erhalten habe, aber wirklich riskiert habe ich nichts.
Rauchen für die Show
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass für eine „Bong“-Lasershow, für die die einzige Nebelmaschine plötzlich nicht verfügbar war, alle aufzutreibenden Raucher den nötigen Qualm produzierten. Mussten Sie regelmäßig so improvisieren?
Waren wir nicht alle auf die eine oder andere Art Meister der Improvisation? Was es nicht gab, wurde gebastelt. Es fing bei uns ja schon mit dem „Silbernen Bong“ an. Der wurde in einer kleinen PGH aus Aluminium per Handarbeit hergestellt, und keiner war wie der andere. Da wir immer mehr wollten, als die Künstler auf eine bunte Bühne stellen und abfilmen, war alle Kreativität gefragt. Dort, wo bei den Kollegen des Westfernsehens Elektronik eingesetzt wurde, haben wir mit Pappe und sich drehenden Monitoren die Bilder „fliegen“ lassen. Oder: eine Nebelmaschine für schönen fotogenen Trockeneis-Nebel selbst gebaut. Stellen Sie sich einen 40 Liter Plastikkanister vor. Den zerschneiden Sie im oberen Drittel. Dann haben Sie ein Teil mit dem Griff, das wird der Deckel. In den größeren unteren Teil bauen Sie die Heizspirale einer Waschmaschine ein. Den Teil mit dem Griff durchbohren Sie von oben und führen einen Metallstab mit Griff ein. Am unteren Ende befestigen Sie ein Sieb aus Metall. Nun heizen Sie das Wasser auf, bis es fast kocht, dann setzen Sie den oberen Teil auf und senken das Trockeneis langsam in den unteren Teil. Aus der Gießöffnung kommen schneeweiße, fette Nebelwolken, die über den Bühnenboden wabern. Das war der Bong-Technik-Tipp.
Welche Musiker waren angenehme Gäste, welche nervten nur?
Wirkliche Diven, Zicken oder ernsthaft nervige Typen gab es kaum. Natürlich haben „alte Hasen“ die eine oder andere Kameraeinstellung oder Idee des Regisseurs vehement abgelehnt, aber bitte: eine gewisse Eitelkeit gehört dazu. Ich erinnere mich an den Sänger „IC“, der hatte nach seinem Weggang von Stern Meißen sehr genaue Vorstellungen von seinem Image. Er hat wohlgemerkt nicht genervt, aber konsequent Dinge abgelehnt, die nicht seinem Bild vom Künstler „IC“ entsprachen. Auch Frank Schöbel hat sehr professionell darauf geachtet, dass er so dargestellt wird, wie es seinem Image entsprach. Er hatte eine künstlerische Pause hinter sich und startete mit „Bong“ wieder durch. Bei einem Star geht man natürlich mit Respekt an die Arbeit und Frank war sehr entspannt ohne irgendwelche Starallüren. Selbstverliebte Anzugträger haben wir erst gar nicht eingeladen.
Stress mit Schlagerstar
Hat 1988 Schlagerstar Roland Neudert wirklich Ihre erneute Wahl zum Fernsehliebling verhindert?
Den damaligen Flurgesprächen zufolge hatte das in der Tat mit dem Anruf eines sehr bekannten Interpreten zu tun, der einen nicht weniger bekannten und vor allem einflussreichen „Freund“ in der Parteiführung hatte. Anlass waren einige spontane Gags, die Wolfgang Lippert und ich in unserer Doppelmoderation in einer TV-Sendung gemacht haben. Ich hatte Wolfgang gefragt, ob an den Gerüchten etwas dran sei, dass er der uneheliche Sohn von Monika Hauff und Klaus Dieter Henkler ist. Das hat zu großer Erheiterung des Publikums geführt. Außerdem habe ich mich über seinen schönen weißen Anzug lustig gemacht: „Du siehst aus wie die Nachttischlampe von Roland Neudert.“ Das war’s. Keine Ahnung, wer sich wodurch auf den Schlips getreten fühlte. Wenn man sich anschaut, was Prominente heutzutage an Spott und Häme aushalten müssen, war das doch noch nett, oder?
Haben Sie sich irgendwann noch ausgesprochen?
Niemals! Was mich an der ganzen Sache wirklich getroffen hat, war, dass Neuderts Frau, Petra Kusch-Lück, sich angesprochen fühlte. Das war nicht meine Absicht, und noch 15 Jahre später, als ich Gast in einer ihrer Gruß- und Wunschsendungen im MDR-Fernsehen war, hat sie meine Rechtfertigung nicht akzeptiert. In dieser Wunschsendung verhielt sie sich übrigens sehr verbindlich, freundlich und professionell. Ein Grund mehr, sie wertzuschätzen.
Nach der Wende haben Sie erst weiter Fernsehen, dann Radio gemacht. Inwiefern hat sich für Sie seither die Definition von Unterhaltung geändert?
Unterhaltung ist ein Spiegel der Zeit, in der sie stattfindet. Sie ist geprägt durch den Zeitgeist und deshalb zeichnet sich gleichzeitig in ihr auch das Umfeld ab, in dem sie stattfindet. „Bong“ würde heute niemanden mehr vor den Bildschirm locken. Das hatte seine Zeit und war damals vielleicht genau das richtige Konzept und damit mein Eintritt in die Erinnerung vieler Menschen. Auch wenn die Ziele von Unterhaltung, nämlich Zerstreuung und Kurzweil noch immer die Gleichen sind, so haben sich aber die Mittel und Methoden geändert. Unterhaltung sucht, so hat man den Eindruck, mehr und mehr die Extreme. Sie ist so vielseitig wie nie und sie ist so schnelllebig wie niemals zuvor. In diesem Kontext betrachte ich das Medium Radio als meine berufliche Heimat. Ich glaube, dass, auch wenn sich das Radio im Laufe der Zeit verändert hat, es noch einige Zeit Bestand haben wird als emotionaler Begleiter, als Unterhalter und natürlich für schnelle, kompetente Informationen. Wir Radiomacher entdecken gerade jetzt in diesen extremen Zeiten, in denen Menschen gezwungen sind, sich mehr Zeit für sich und ihre Situation zu nehmen, unsere Tugenden und Vorteile wieder. Ein Grund, weshalb ich mich als Unterhalter mehr dem Radio als dem Fernsehen verbunden fühle.
Sagen hohe Einschaltquoten irgendwas über die Qualität einer Sendung aus?
Die Quote bringt Geld, mit guter Quote kann mach sich seine Arbeit als Programmgestalter schönreden und seinen Job sichern. Letztlich liegt Qualität aber immer im Auge des Betrachters, nimmt aber die Macher nicht aus der Verantwortung, Programme mit der größtmöglichen Vielfalt für so viele Ansprüche wie möglich zu gestalten und zu senden.
Ist es schwerer, eine gute Unterhaltungsshow zu machen als eine ebensolche Nachrichtensendung?
Nachrichten sind Fakten, die wahrheitsgemäß, verständlich, ansprechend und angemessen präsentiert werden müssen. Ende. Viel schwerer ist es, Menschen zu unterhalten, denn es ist eine zutiefst subjektiv empfundene Wahrnehmung, die Emotionen und bestimmte Lach- und Lustzentren ansprechen soll. Das ist immer wieder eine große Herausforderung, denn derjenige, der andere unterhalten will, muss sich zunächst für die Welt seines Publikums interessieren, um den Eintrittspunkt in die Herzen zu finden.
Wovon lassen Sie sich am liebsten unterhalten?
Oh, diese Liste ist lang und je nach Stimmung sehr variabel. Im Fernsehen ist es mal die „Heute-Show“, ein anderes Mal ein James-Bond-Film. Man trifft mich mit Freunden sehr oft bei Rockkonzerten, aber auch in Kleinkunstbühnen, wo klügere Menschen als ich schlaue Dinge witzig verpackt sagen.
Was gehört dringend abgeschaltet?
Von fremden nackten Menschen unter Palmen fühlt sich keines meiner Lustzentren angesprochen. Aber so lange sich Menschen davon gut unterhalten fühlen und durch die eingespielten Werbeblöcke Arbeitsplätze erhalten werden und ich die Kinderseelen meiner Enkel nicht zwingend davor schützen muss … lass sie.