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"Die besten Witze kamen aus Dresden"

Als „Bong“-Moderator brachte Jürgen Karney den Pop ins DDR-Fernsehen. Im Interview erinnert er sich an eigenwillige Ost-Stars und irre Show-Formate.

Von Andy Dallmann
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Fernseh- und Radiomoderator Jürgen Karney vor dem "Cafe Prag" in Dresden, mit dem er ein traumatisches Erlebnis verbindet.
Fernseh- und Radiomoderator Jürgen Karney vor dem "Cafe Prag" in Dresden, mit dem er ein traumatisches Erlebnis verbindet. © Andreas Weihs

Jürgen Karney, 1954 in Berlin geboren, machte nach einer Lehre zum Facharbeiter für Nachrichtentechnik zunächst als DJ, was Mitte der Siebziger in der DDR allerdings Schallplattenunterhalter hieß, Karriere. Zudem schrieb er fürs Radio, moderierte und hatte schließlich mit "Bong" 1983 seine eigene TV-Sendung, in der er Pop-Stars live präsentierte. Nach der Wende verlegte sich Karney wieder mehr aufs Radio, jetzt veröffentlichte er seine Autobiografie, in der er tiefe Einblicke in den Unterhaltungsapparate der DDR gewährt. 

Herr Karney, vermeiden Sie bei Besuchen in Dresden immer noch, am ehemaligen Café Prag vorbeizukommen?

Nein, natürlich nicht. Das ich mich dort als junger Moderator nicht mit Ruhm bekleckert habe, lag ja nicht am Café Prag, sondern an mir. Auf die Nase zu fallen gehört in diesem Beruf dazu, man darf nur nicht liegen blieben. Am Ende habe ich ja meine Karriere noch ganz gut hinbekommen.

Was genau ging 1980 bei Ihrem Auftritt im Café Prag so schief, dass Sie bis heute traumatisiert sind?

Bei den bunten Varieté Veranstaltungen traten verschiedene Künstler auf, die meistens von einem profilierten Conférencier angesagt wurden. Allein der dafür übliche, schon damals antiquierte Begriff Conférencier, den ich nicht mal richtig schreiben konnte, war mir ein Graus. Mir fehlte damals einfach die Erfahrung und ehrlich auch der Ehrgeiz, zwischen einer Pudeldarbietung und einer Schlagersängerin im Paillettenkleid mit geschliffenem Wortwitz zu überzeugen. Die Messlatte dafür war von O. F. Weidling und Fred Gigo, beides Meister ihres Faches, hoch gelegt worden und das diesbezüglich verwöhnte Dresdner Publikum hat mich das als jungen Heißsporn aus Berlin auch spüren lassen.

Mittagsshow bei der Müllabfuhr

Ihrer Meinung nach entstanden damals die besten Witze in der Region Dresden. Wie kommen Sie darauf?

Vor allem Witze mit gesellschaftspolitischem Bezug. In meiner Wahrnehmung waren die Dresdner aus dem viel zitierten „Tal der Ahnungslosen“ mitnichten ahnungslos, nur weil sie „Dallas“, „Wetten, dass..?“ und die „Tagesschau“ nicht sehen konnten. Irgendwie waren die wirklich relevanten Informationen aus beiden deutschen Staaten sehr schnell in Dresden. Ich hatte immer das Gefühl, dass die damaligen gesellschaftlichen Zustände und Entwicklungsprozesse gerade dort sehr genau reflektiert wurden. Wenn ich Kabarettisten wie Wolfgang Stumph oder die genannten Conférenciers erlebte, konnte man glauben, sie treiben ihren Spaß, weil sie wissen, das geht auf Dauer nicht gut mit diesem System. Es entstand eine einzigartige sehr kluge Mischung aus schwarzem, subversivem Humor und gesundem Menschenverstand. Das war ein Ventil des Frustes mit optimistischer und zutiefst positiver Aussicht auf Besserung der Umstände.

Sie selbst haben aber tatsächlich ihre „Sprecherpappe“ während der Mittagspausenunterhaltung der Berliner Müllabfuhr gemacht?

Oh ja! Da wusste jeder der übermütigen Anwärter auf eine Profi-Zulassung gleich, wo man landen kann, wenn die Kunst zu dünn ist.

Wer ist denn auf dieses Veranstaltungsformat gekommen?

Die Vorgabe lautete: Jeder braucht eine staatliche Zulassung, und auf dem Wege dahin war das das Live-Level. Als Unterhaltungskünstler braucht man Publikum, sonst ist es, als würde man die Seepferdchen-Prüfung im Sandkasten ablegen. So schuf die Konzert-und Gastspieldirektion Berlin dieses Format, um halbwegs normale Auftrittsbedingungen für die aufstrebenden Entertainer und Artisten zu schaffen. Mit den Mittagsveranstaltungen bei den Werktätigen hatte man eine adäquate Prüfungssituation und gleichzeitig eine kulturelle „Maßnahme“ für echte Werktätige.

Ist das nicht eigentlich eine derartig geniale Idee, dass man sie noch einmal aufgreifen sollte?

Für damals sicher. Wenn es allerdings wieder dazu kommt, dass Künstler eine staatliche Zulassung brauchen, bin ich diesmal raus.

1988 bei der Verleihung des "Silbernen Bong" an Inka Bause.
1988 bei der Verleihung des "Silbernen Bong" an Inka Bause. © Verlag

Ofenrohre zu Bühnenscheinwerfern

Sind Sie dagegen heute noch immer handwerklich so fit, dass Sie aus Trabi-Lampen und Ofenrohren Bühnenscheinwerfer bauen könnten?

Wer in der DDR ein Haus gebaut hat, der kann mit Werkzeug umgehen. Entgegen meiner früheren Auffassung, dass der Werkunterricht in der Schule für die Katz ist, musste ich feststellen, er war fürs Leben und in der Mangelwirtschaft sehr hilfreich. Mir hat die Auseinandersetzung mit Hammer, Rohrzange und Gummipümpel stets sehr geholfen – keine Ahnung, wie ich heute reden würde, wenn es schon damals für jeden Handgriff, den man selbst ausführen kann, eine App gegeben hätte.

Mit Ihrer TV-Show „Bong“ gingen Sie 1983 parallel zur ARD-Sendung „Formel Eins“ an den Start. Haben Sie die Westkollegen als Konkurrenz empfunden oder ignoriert?

Wettbewerb hat mich immer beflügelt. Klar war das blöd, dass zeitgleich zu uns „Formel Eins“ an den Start ging, aber wir hatten schnell unseren eigenen Stil durch die aufwendigen Videosequenzen gefunden. Leider waren unsere technischen Möglichkeiten etwas bescheidener als bei den West-Kollegen. Kleine Anekdote: Als ich vor ein paar Jahren mit meinem Freund Quaster auf einem „Udo-Lindenberg-Vergnügungsdampfer“ war, lernte ich den Regieassistenten vom „Musikladen“, einer sehr bunten und modernen Musiksendung in der ARD, kennen. Nach einigen Eierlikörchen haben wir uns beide gestanden, voneinander inspiriert worden zu sein. Die Kollegen im Westen checkten „Bong“ und wir den „Musikladen“. Finde ich so viele Jahre danach noch cool.

Wie oft wurde Ihnen seitens der DDR-Entscheider in Ihre Arbeit reingegrätscht?

Gemessen an den Restriktionen, die einige Musiker, Sängerinnen und Sänger erfahren haben, war das, wie mir in meine Arbeit reingeredet wurde, nicht schön, aber Pillepalle. Vieles, worüber bei den Proben noch alle gelacht haben, durfte in der Live-Sendung nicht gesagt werden. Das hat aber letztlich dem Gesamteindruck nicht geschadet. Was schon mehr schmerzte, waren die vielen Spielszenen in der Sketchsendung „Knallbong-bong“, die ich mit Wolfgang Lippert spielte. Da hatten die Ideologie-Chirurgen der Partei alles rausgeschnitten, was mit Beratungsmustern in Schaufenstern, Gaststättenschließzeiten, Volkspolizisten und Punks zu tun hatte. Bei der Nachbetrachtung meiner DDR-Zeit muss ich aber ehrlich feststellen, dass man mir viel Freiraum gelassen hat. Hin und wieder bin ich an die Grenzen gegangen, wofür ich die eine oder andere ernsthafte Ermahnung erhalten habe, aber wirklich riskiert habe ich nichts.