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Die DDR war nicht Kalifornien

Eine Doku über die Skaterszene der DDR gönnt sich die eine oder andere Unwahrheit. Ist sie also ein „Fake“? Das wird in Dresden präsentiert und diskutiert.

Von Oliver Reinhard
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Ostberliner Skater in den 80er-Jahren? Nein: Auch diese Szene im angeblichen Dokumentarfilm „This ain’t California“ wurde mit Schauspielern nachgedreht, aber als „echt“ verkauft.
Ostberliner Skater in den 80er-Jahren? Nein: Auch diese Szene im angeblichen Dokumentarfilm „This ain’t California“ wurde mit Schauspielern nachgedreht, aber als „echt“ verkauft. © harald schmitt

Wieder wurde ihnen aus dem Westen ein unliebsames Kulturphänomen über die Grenze gespült. Wieder schwankten sie zwischen Schikanieren und Tolerieren. Doch letztlich vereinnahmten die SED-Oberen den zarten Skateboard-Boom Anfang der Achtziger in der DDR, ver-osteten das Phänomen, betrieben die Integration der Skater in Betriebssportgruppen, nannten das Skateboard Rollbrett und verdienten damit sogar selber ein bisschen Geld.

Leider war das „Germina Speeder“, hergestellt ab 1986 in Wernigerode vom VEB Schokoladen-Verarbeitungsmaschinen, ein ziemlicher Schrott, erst recht zu einem Preis von satten 135 Ostmark. Nichts für besessene Skater der kleinen DDR-Szene, deren „Hochburgen“ in Berlin lagen, in Dresden und Leipzig.

Selbstgebaute Bretter

Auch Denis „Panik“ Paracek baute sich sein Brett lieber selber. Er steht im Zentrum des Dokumentarfilms „This ain‘t California“ über die Skaterszene der DDR, den das Deutsche Hygiene-Museum am 19. August am Skaterpark Lingnerallee zeigt. Im Anschluss gibt es ein Gespräch mit dem Filmproduzenten Ronald Vietz und dem Sporthistoriker Kai Reinhart, eine Debatte sogar. Denn die Veranstaltung läuft im Rahmenprogramm der Ausstellung Fake, weil „This ain‘t California“ ebenfalls ein Fake ist, zumindest teilweise: Denis hat es nicht gegeben, auch viele andere Film-Protagonisten wurden von Schauspielern verkörpert. Das Werk ist eine Fake-Doku, eine „Mockumentary“. Aber eben nicht nur: Die Skaterszene der DDR hat es tatsächlich gegeben, ebenso wie viele Mitwirkende und das „Germina Speeder“. Was also im Film ist wahr, was ist erlogen? Lassen sich diese Grenzen bei Dokumentationen überhaupt so klar ziehen? Oder sind das idealistische Wunschvorstellungen?

Als die „Wahrheit“ über „This ain‘t California“ herauskam, schlug die Empörung Wellen. Vor allem, weil die Produzenten ihren Film offiziell als Dokumentation bezeichnet haben und er unter diesem Label bei Festivals lief. Auch dass es Denis Paracek und dessen tragischen Tod in Afghanistan nicht gab, sorgte für Ärger. „Denis ist die verkörperte Skater-Community der DDR“, erklärte Produzent Ronald Vietz, der selber zur Szene gehörte. Warum aber musste er sterben? „In einem übertragenen Sinne ist die ganze Szene gestorben“, so Vietz. „Sie existiert nicht mehr, das wollten wir zum Ausdruck bringen.“ Der Film sei eine „Nacherzählung der Vergangenheit mit literarischen Freiheiten“.

Muss ein Dokfilm ein genaues Abbild liefern?

Die These, Dokumentarfilme müssten in jedem Fall ein genaues und möglichst objektives Abbild der Wirklichkeit liefern, entspringt einem alten und schon oft widerlegten idealistischen Irrglauben. Allein durch ihre individuelle Erzählperspektive und die Auswahl ihrer Themen waren Dokus immer schon auch subjektiv und haben Wirklichkeit gestaltet. Wie erfolgreich Dokfilmer auch politisch-aktivistisch sein können, ist spätestens seit preisgekrönten Werken wie „Fahrenheit 9/11“ von Michael Moore, Errol Morris’ „Fog of War“ und Oliver Stones‘ Putin-Interviews weltbekannt.

Trotzdem werden Dokumentarfilme oft weiterhin in klarer Abgrenzung zum Spielfilm gesehen. Die Überzeugung, sogar die Hoffnung, Filmbilder würden mehr als jedes andere Kulturgut die Wahrheit in sich tragen, ist offenkundig äußerst langlebig. „Ein filmisches Bild gilt uns als der stärkste Beweis“, schreibt die Filmexpertin Luc-Carolin Ziemann. „Es erscheint uns authentischer als ein Foto, eine Erzählung, eine Zeichnung oder ein Text.“

Dabei gab schon der erste Film der Pionierbrüder Lumiere namens „Arbeiter verlassen die Fabrik“ 1895 nur vor, einen authentischen Blick auf eine Alltagssituation zu zeigen. Vielmehr war er ebenso inszeniert wie Sergej Eisensteins bolschewistisches Propagandawerk „Oktober“ von 1928. Dessen Szenen von der Erstürmung des Moskauer Winterpalais werden gleichwohl bis heute in vielen historischen Dokumentationen gezeigt. „Mir ist es ziemlich egal, mit welchen Mitteln ein Film arbeitet, ob er ein Schauspielerfilm ist mit inszenierten Bildern oder ein Dokumentarfilm“, war Eisensteins ebenso legendäres wie umstrittenes Credo. „In einem guten Film geht es um die Wahrheit, nicht um die Wirklichkeit.“ Davon sind auch die Produzenten von „This ain‘t California“ überzeugt.

Letztlich sind Fake-Dokus ungeachtet ihres jeweiligen Tatsachengehaltes und Nüchternheits- oder „Objektivitäts“-Grades immer auch Lieferanten zumindest einer fundamentalen Wahrheit: dass es „die Wahrheit“ nicht gibt.

„This ain’t California“: Filmgespräch und Open-Air-Kino am Skaterpark Lingnerallee (DD), 19. August um 20 Uhr. Bei schlechtem Wetter im Hörsaal des Hygiene-Museums.