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Ex-Rockhaus-Bassist Reinhardt Repke: „Jetzt schmeiße ich alle raus“

Reinhardt Repke vertonte Gedichte von Eva Strittmatter. Es ist die erste Frau in seinem Club der toten Dichter. Premiere hat das Ganze jetzt in Pirna.

Von Thomas Morgenroth
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Reinhardt Repke, einst Bassist der DDR-Band Rockhaus, ist jetzt solo als Club der toten Dichter unterwegs.
Reinhardt Repke, einst Bassist der DDR-Band Rockhaus, ist jetzt solo als Club der toten Dichter unterwegs. © Foto: PR

Eine Schallplatte knistert sekundenlang beim Abspielen und knackt schließlich in der Auslaufrille, bevor die Musik beginnt. Eine Gitarre greift die Geräusche des Vinyls melancholisch auf, und Reinhardt Repke singt: „Erst kennt man sich mit den Worten nicht aus, und später nicht mehr mit dem Leben. Noch immer ist es dasselbe Haus, doch nun sieht man den Abgrund daneben.“ Es sind die ersten Zeilen des Gedichtes „Sprachlos“ von Eva Strittmatter, das sie in den Siebzigerjahren schrieb. „Es ist mir sehr nahe“, sagt Repke, der für sein erstes Solo-Album die berührende und tiefgründige Lyrik der 2011 verstorbenen Schriftstellerin vertonte.

Der Titelsong heißt „Anfang der Liebe“, mit dem vor drei Jahren Repkes Zuneigung zu Strittmatters Werken begann. Er fand eines ihrer Bücher im Nachlass seiner Mutter, mit der Widmung der Dichterin „Mit guten Wünschen“ vom 7. Oktober 1979. „Da gab es auf dem Alexanderplatz ein Bücherfest“, sagt Repke. „Da konnte man auch Bücher kaufen, die es sonst nicht gab.“ Vielleicht gehörte der Gedichtband „Die eine Rose überwältigt alles“ dazu, den Repkes Mutter dort von Eva Strittmatter erwarb.

In seinem Haus in Berlin-Buch bewahrt Reinhardt Repke das geerbte Pirna-Aquarell von Bernhard Kretzschmar auf. In Pirna führt Repke jetzt auch erstmals sein neues Programm mit Texten von Eva Strittmatter auf.
In seinem Haus in Berlin-Buch bewahrt Reinhardt Repke das geerbte Pirna-Aquarell von Bernhard Kretzschmar auf. In Pirna führt Repke jetzt auch erstmals sein neues Programm mit Texten von Eva Strittmatter auf. © Oliver Betke

Diese Entdeckung veranlasste den Musiker, der von 1988 bis 2018 Bassist bei Rockhaus war, zu einer Rückbesinnung, sowohl familiär als auch musikalisch. „Ich nahm meine Gitarre zur Hand, setzte mich auf die Treppe in meinem Elternhaus und spielte, so wie ich es dort bereits mit zwölf Jahren getan habe“, sagt Repke. Nun also saß er beinahe 50 Jahre später mit einer alten Jazzgitarre wieder auf den Stufen, improvisierte und komponierte zu den Gedichten Eva Strittmatters. „Zu der Atmosphäre passte nichts besser“, sagt Repke, der die Dichterin nie persönlich getroffen hat, aber im Strittmatter-Haus in Schulzenhof auf ihren Spuren wandelte.

So kam es, dass Eva Strittmatter in eine Männerdomäne einbrach: Sie ist die erste Dichterin in Reinhardt Repkes Club der toten Dichter, einem Projekt, das er 2005 begründete. Repke fand die Idee eines Clubs gut, „in den Leute rein-, aber auch wieder rausgehen können“. Entstanden sei er eher zufällig, sagt er. Das erste Gedicht, das Repke vertonte, war „Ich hab‘ im Traum‘ geweinet“ von Heinrich Heine. „Das war ein ganz toller Augenblick“, erinnert er sich. „Ich habe den Song meinem Freund Dirk Zöllner vorgespielt, und er wollte sofort der Sänger des Heine-Programms werden.“

Als Techniker ein Autodidakt

2006 kam die erste CD des Clubs der toten Dichter heraus, die Band mit Zöllner als Sänger tourte mit dem „Buch der Lieder“ erfolgreich durch die deutschen Lande. Es folgten Wilhelm Busch mit Norbert Leisegang von Keimzeit als Sänger, Rainer Maria Rilke, Friedrich Schiller, Charles Bukowski und Theodor Fontane. Rilke und Fontane sang Katharina Franck von den Rainbirds, Dirk Darmstaedter den Schiller, unter anderem eine sehr interessante Version der Hymne „Freude schöner Götterfunken“, der Schauspieler Peter Lohmeyer wiederum interpretierte den Suff-Poeten Bukowski auf unübertreffliche Art und Weise. Diesmal macht Reinhardt Repke alles allein.

Er spielt alle Gitarren, auf der Bühne werden es zehn sein, und singt dazu, und das macht er bravourös. Es erschien ihm nicht passend, Eva Strittmatter mit einer Band aufzunehmen und aufzuführen. Andreas „Spatz“ Sperling, Keyboarder bei Keimzeit und im Club der toten Dichter, bestärkte ihn darin, dass er keinen anderen dazu brauche, obwohl er sich damit selbst um einen Job brachte. „Er hatte recht. Irgendwann sagte ich: Jetzt schmeiße ich alle raus“, so Repke lachend. „Ich musste vollkommen egoistisch damit umgehen, damit es gut wird.“ Es ist sein bisher persönlichstes Album geworden. Dazu passt, dass er es nicht im Studio, sondern in seinem Haus aufgenommen hat, im Flur und im Treppenhaus, und er selbst die Technik bediente, „als Autodidakt“.

Besondere Verbindung nach Pirna

Über einhundert Gedichte hat Repke bisher vertont, nun kommen mehr als zwanzig von Eva Strittmatter dazu. Nur ein Dutzend aber schaffte es auf das Album, das jetzt in der Kleinkunstbühne Q24 in Pirna seine offizielle Premiere feiert. Gleich an zwei Abenden nacheinander ist Repke zu Gast in der Kreisstadt an der Elbe, an die er sehr gute Erinnerungen hat: „Wir waren schon ein paar Mal dort, die Leute sind sehr engagiert. Das Q24 passt einfach perfekt zum Club der toten Dichter.“ Und zur toten Dichterin.

Die Verbindung Repkes mit Pirna ist freilich nicht nur musikalischer Natur, sondern auch künstlerisch. Über seinem Klavier in Berlin-Buch hängt ein qualitätsvolles großes Aquarell, das als Erbschaft seiner Dresdner Tanten zu ihm kam. Es ist mit „Pirna“ und der Jahreszahl 1931 beschriftet und mit B.K. signiert. Weil es die Altstadt vom anderen Elbufer aus zeigt, war Repke sich nicht sicher, ob es tatsächlich Pirna ist. Eine Nachfrage bei Petra Schneider vom Q24 brachte Gewissheit. Wer aber ist B.K.? Auch das weiß Repke jetzt. Mehrere Dresdner Kunstexperten sind sich einig, dass das Bild von Bernhard Kretzschmar (1889–1972) stammt, einem bedeutenden sächsischen Maler und Grafiker, in seinem Frühwerk ein Vertreter der Neuen Sachlichkeit.

Das Aquarell bringt Repke nicht mit nach Pirna. Dafür aber neben CDs frisch gepresste Schallplatten auf buntem Recycling-Vinyl, verpackt in einem aufwendig gestalteten Klappcover. Auch Eva Strittmatter ist in Pirna dabei, vielmehr ihre Stimme. Immer wieder wurde sie bei Lesungen aufgenommen, vor allem in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Vier von ihr vorgetragene Gedichte will Repke in seinem Programm einspielen: „Vor einem Winter“, „Tageslauf“, „Brief. Ordinär“ und „Analyse“. Und weil die Rezitationen von Eva Strittmatter nicht von einer Schallplatte kommen, knistert es dabei nicht wie bei Reinhardt Repke, der den Sound des Vinyls als launige Zutat für seine Musik nutzt.

Uraufführung und Album-Premiere am 14. und 15.9., 20 Uhr, Q24, Pirna, Tickethotline: 03501 506800