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"Kindern wird zu viel Mist zugemutet"

Monika Ehrhardt über ihre neue CD und die Bewahrung des musikalischen Erbes ihres Mannes Reinhard Lakomy, der jetzt 75 Jahre alt geworden wäre.

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Monika Ehrhardt-Lakomy zu Hause mit einer Büste ihres Mannes, der im Januar 75 Jahre alt geworden wäre.
Monika Ehrhardt-Lakomy zu Hause mit einer Büste ihres Mannes, der im Januar 75 Jahre alt geworden wäre. © Leue

Monika Ehrhardt-Lakomy, geboren 1947 in Thüringen, kam als 16-Jährige nach Berlin auf die Staatliche Ballettschule. Sie war bis 1981 Tänzerin, schrieb nebenbei Geschichten und Songtexte. Ab Ende der 70er-Jahre produzierte sie mit dem Musiker Reinhard Lakomy, mit dem sie später verheiratet war, Geschichtenlieder für Kinder. Seit dem Tod ihres Mannes im Jahr 2013 hat sie ein Unternehmen aufgebaut, das die gemeinsame künstlerische Arbeit fortführt. Dazu gehören unter anderem das Reinhard-Lakomy-Ensemble, eine gemeinnützige Traumzauberbaum-GmbH und der Lacky-Musikverlag.

Ende 2020 haben Sie eine neue CD veröffentlicht. Haben Sie die auch selbst produziert?
Ja, ich in Lackys kleinem Studio, das ich behalten habe. Es ist eine Doppel-CD vollständig mit Lackys Musik. Die Musik ist zum Teil 30 Jahre alt, es handelt sich um Film- und Ballettmusik von Lacky, die vor allem André Gensicke bearbeitet hat. Darauf habe ich dann die Liedtexte geschrieben. Früher war es umgekehrt, da vertonte Lacky meine Texte. Eingesprochen und -gesungen wurde die neue CD von auserlesenen Künstlern wie Franziska Troegner, Boris Aljinovic, Oliver Kalkofe, Josephin Busch, Thomas Nicolai, Angelika Mann, Ilja Richter und vielen mehr.

Die Geschichte um die Stadtratte Mama Tresore bewegt sich im Traumzauberbaum-Universum, das sich seit 1980 über Millionen Tonträger ausgebreitet hat. Inzwischen auch in Richtung Westen?
Im Osten sind Generationen mit diesen Geschichten aufgewachsen. Im Westen sind die kaum bekannt. Als wir mit unserem Traumzauberbaum-Musical zum Tag der deutschen Einheit in Hannover gastierten, kamen aber die Leute von überall angereist. Ich glaube fest daran, dass sich Qualität durchsetzt. Die meisten Schulinszenierungen meiner Geschichten fanden übrigens in den letzten drei Jahren im Westen statt.

Reinhard Lakomy mit Mitgliedern seines Kinderlieder-Ensembles - Olivia Winter als Moosmutzel, Josephin Busch als Agga Knaack und Valentine Romanski als Waldwuffel.
Reinhard Lakomy mit Mitgliedern seines Kinderlieder-Ensembles - Olivia Winter als Moosmutzel, Josephin Busch als Agga Knaack und Valentine Romanski als Waldwuffel. © PR

Wird Kindermusik von Erwachsenen nicht oft belächelt?
Im Osten war das nicht so. Ich will niemandem zu nahe treten, aber die meisten Kindermusiken, die ich aus den alten Bundesländern kannte, begnügten sich mit „Stube, Kammer, Küche“ und drei Griffen auf der Gitarre. Das Thema Musik für Kinder war im Westen unterbelichtet. Lacky und ich machten seit 1978 Poesie für Kinder, anspruchsvoll in Wort und Musik. Das gab es dort so nicht, das hat sich erst in den letzten Jahren gerappelt. Im Osten wurde Kunst für Kinder sehr ernst genommen. Anerkannte Schriftsteller und Komponisten bemühten sich darum. In meinen Geschichten steckte immer eine tiefere Moral, jedoch stets ohne Zeigefinger. Es ärgert mich, wie viel Mist an angeblicher Unterhaltung Kindern heute zugemutet wird. Das ist verantwortungslos.

Wie sehr behindert Corona aktuell Ihre Arbeit?
Meinem Reinhard-Lakomy-Ensemble sind seit letzten März über 40 ausverkaufte „Traumzauberbaum“-Shows weggebrochen. Corona hat gezeigt, dass Kultur den Menschen ein Bedürfnis ist wie das tägliche Brot. Kein Video kann eine Livevorstellung ersetzen, die gemeinsame Energie von Bühne und Publikum ist belebend und beglückend. Und Kultur ist ja auch ein Wirtschaftsfaktor, da werden andere „Wirtschaftsfaktoren“ ungleich besser unterstützt als die Kulturschaffenden. Wir schaffen ideelle Werte, die der Mensch braucht für seine geistige Hygiene.

Es gibt in einigen ostdeutschen Städten Schulen und Kitas, die den Namen von Reinhard Lakomy tragen. Eine ungewöhnliche Ehre für einen deutschen Musiker.
Lacky war ein populärer, beliebter Künstler, der großartige Musik machte, von Jazz über elektronische experimentelle Musik, er schrieb Film- und Ballettmusiken, war ein Grenzgänger zwischen ernster und unterhaltender Musik. Und all sein Können nahm er mit in die Musik für Kinder, für die ich die Texte schrieb. Mit der sind viele Kinder in der DDR aufgewachsen. Deshalb benannten sich nach der Wende Schulen nach Lacky, zum Beispiel in Cottbus und Halberstadt, aber auch Kitas nach den Figuren aus unseren Geschichtenliedern. Die heißen Moosmutzel oder Waldwuffel, es gibt auch eine Grundschule Wolkenstein und eine Grundschule Traumzauberbaum.

Monika Ehrhardt 1987 bei der Arbeit mit ihrem Mann Reinhard Lakomy.
Monika Ehrhardt 1987 bei der Arbeit mit ihrem Mann Reinhard Lakomy. © Wikimedia/Bundesarchiv/ADN

Ihr Weg zur Schöpferin von Poesie für Kinder wirkt speziell. Ihr erlernter Beruf ist Maurer.
Stimmt. Mit 14 hatte ich in Thüringen, wo ich herkomme, eine Maurerlehre begonnen, in der 9. Klasse der Erweiterten Oberschule. In der frühen DDR gab es die Idee, dass die zukünftigen Intellektuellen in Verbindung bleiben sollen mit der werktätigen Bevölkerung in den Betrieben. Man musste also das Abitur mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung machen. Drei Wochen Schule, eine Woche Ausbildung. Jedenfalls habe ich richtig an Häusern mitgebaut. Aber nach der 10. Klasse habe ich dann zum Glück noch den Absprung zu meinem eigentlichen Traumberuf als Tänzerin geschafft.

Von der Bauarbeiterin zur Tänzerin, wird ja immer toller.
Ich hatte als Siebenjährige im Theater Greiz mit dem Tanzen begonnen und war, heute würde man sagen, ein Kinderstar. Nach der 10. Klasse konnte ich dann tatsächlich nach Berlin wechseln zur Staatlichen Ballettschule. Fünf Jahre Studium klassischer Bühnentanz. Danach bin ich mit einer Ballettkompanie viel in der Welt herumgereist. Wenn Erich Honecker irgendwohin zum Auslandsbesuch fuhr, wurden wir vorher zu Auftritten hingeschickt. Zum Beispiel nach Indien. Wir haben die Folklore des Landes mit einem indischen Choreografen einstudiert und dann in Indien als Gastgeschenk aufgeführt. Ich fand es interessant, durch diese vielen Reisen und Choreografen jeweils die Folklore anderer Länder kennenzulernen.

Haben die Reisen ihre Weltanschauung geprägt?
Ja. Ich habe immer gesagt, man hätte jeden DDR-Bürger vier Wochen durch die Welt schicken müssen und keinen Tag früher wieder nach Hause. Dann wäre hier einiges anders gelaufen. Es wollten ja keineswegs alle im Westen leben. Dort gab es die besseren Autos und pralle bunte Schaufenster, aber ich finde schon, dass in der DDR ein größeres Miteinander im Vergleich zu heute bestand. Andererseits gab es natürlich diese Bevormundung von oben. Ich dürfte mal eine Ballettreise in den Westen nicht mitmachen, weil ich die Ausbürgerung von Wolf Biermann kritisiert hatte.

Reinhard Lakomy mit dem legendären Moog-Synthesizer, der einst Mick Jagger, dann Tangerine Dream gehört hatte.
Reinhard Lakomy mit dem legendären Moog-Synthesizer, der einst Mick Jagger, dann Tangerine Dream gehört hatte. © Leue

Sie haben 2019 in Ihrem Musikverlag aus dem musikalischen Archiv von Reinhard Lakomy zwei neue CDs veröffentlicht: „Zwischen der Stille“ und „Jazztronics“. Planen sie weitere Veröffentlichungen?
Es gibt noch eine Menge unveröffentlichter Musik auf einer riesigen Festplatte mit Archivmaterial von Lacky, unter anderem die Musik „Gralssuche“, deren Aufführung Ende der 80er-Jahre im Palast der Republik geplant war. In der Performance mit dem Ballett der Komischen Oper ging es auch um gesichtslose Menschen. Vielleicht störte die Funktionäre die Assoziation mit dem Realsozialismus in der DDR, jedenfalls landete das Projekt plötzlich im Eisschrank. Ich würde gerne auch das Stück „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ aktivieren, für das Lacky beim Elektronikmusik-Festival im französischen Bourges 1988 einen Preis erhielt. Ich habe vor ein paar Jahren übrigens einen Brief von New Yorker Musikern erhalten, die die ersten Elektronik-LPs von Lacky gehört haben und wissen wollten, wie er das hingekriegt hätte. Die waren ganz fasziniert. Wir hatten sogar überlegt, die Alben in Amerika zu veröffentlichen, das ist dann aber versickert.

Reinhard Lakomy soll über die Mauer hinweg auch einen engen Draht zu Tangerine Dream in Westberlin gehabt haben. Stimmt das?
Mit Edgar Froese von Tangerine Dream stand er tatsächlich in gutem Kontakt, sie wurden Freunde. Er hat mit dafür gesorgt, dass Tangerine Dream 1980 im Palast der Republik als erste Westband überhaupt ein Konzert geben durften. Lacky war mit Bodo Zabel, im DDR-Kulturministerium für Unterhaltung zuständig, befreundet. Ihm hatte er nahegelegt, dass doch auch Tangerine Dream in der DT64-Jugendkonzertreihe spielen könnten, in der er selbst mit elektronischer Musik auftrat. Beim Konzert sah er dann übrigens, dass Tangerine Dream ihren großen Moog-Synthesizer auf der Bühne kaum verwendeten, der blinkerte eigentlich nur als Fake. Daraufhin hat er Edgar Froese angesprochen und ihm das Teil für 11.000 D-Mark abgekauft mit einem abenteuerlichen Kredit. Jedenfalls stand der Moog, der mal Mick Jagger gehörte, auf einmal in Lackys Studio.

Der gehörte Mick Jagger von den Rolling Stones?
Ja. Dieser analoge Synthesizer von Robert Moog war in den Sechzigern der neueste Technikkram überhaupt. Moog hatte auch einen für Jagger gebaut, aber der und seine Musiker konnten damit nicht umgehen, hat er erzählt. Also hat Jagger ihn an Tangerine Dream verkauft und über die landete der Moog bei uns im Tonstudio, in dem jetzt die Kita ist. Das Ding bestand aus lauter Modulen und war groß wie ein Kleiderschrank.

Haben Edgar Froese und Lacky auch mal zusammen Musik gemacht?
Lacky, den Froese für einen Top-Komponisten und -Pianisten hielt, sollte 1980 mit Tangerine Dream auf Australien-Tournee gehen. Das hätte er gern gemacht, aber das Politbüro der DDR wäre im Viereck gesprungen. Außerdem wollte Edgar Froese, dass er dann auch festes Bandmitglied wird. Bei der Tournee wäre Lacky schrecklich gern dabei gewesen, aber für immer weggehen, das hatte er nie vor.

Das Interview führte Gunnar Leue.

Die CD: „Mama Tresore und die Kanalrattenbande“ ist bei Sony Music erschienen.