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Was der DDR-Fernsehkoch Kurt Drummer empfiehlt

Kurt Drummer war eine TV-Legende und lehrte Generationen das Kochen. Jetzt übernimmt das Dresdner Archiv für Kulinarik seine Schätze.

Von Karin Großmann
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Kurt Drummer im Studio: Er hoffe, schreibt er, dass niemand so angstvoll schwitzt bei der Zubereitung von Fisch wie er beim ersten Auftritt vor der Kamera.
Kurt Drummer im Studio: Er hoffe, schreibt er, dass niemand so angstvoll schwitzt bei der Zubereitung von Fisch wie er beim ersten Auftritt vor der Kamera. © privat

Am 5. August 1958 beginnt im Rostocker Studio des DDR-Fernsehens eine bemerkenswerte Geschichte. Kurt Drummer kocht zum ersten Mal vor der Kamera. Es gibt Fisch, mit Krebsfleisch überbacken, und italienischen Käsereis. Die Sendung wird ein Erfolg und Kurt Drummer eine Legende. 25 Jahre lang hantiert der gebürtige Sachse am Elektroherd in der Studioküche. Er trägt eine weiße Jacke, das Halstuch und um die Hüften eine Schürze, in der seitlich ein Handtuch steckt. Ein Könner mit Meisterbrief. Trotzdem hätte er keine Chance in einer der zahllosen Fernsehkochshows von heute. Ihm fehlt das Talent zum Entertainer und die Lust zur Selbstdarstellung. Er wirkt wie ein freundlicher, von seiner Sache begeisterter Lehrer.

Drummer unterrichtet mehrere ostdeutsche Generationen in der Kunst des Klößekochens. Er serviert Buttermilchgetzen aus der Region und Nasi Goreng auf Broilerbasis. In 650 Folgen bereitet er rund 2.000 Gerichte zu. Die Sendungen laufen alle zwei Wochen am Samstagnachmittag: „Der Fernsehkoch empfiehlt“. Die Rezepte werden mitgeschrieben, gesammelt, vererbt. Sie erscheinen gedruckt in Dutzenden Auflagen unter Titeln wie: „Kochkunst aus dem Fernsehstudio“, „Von Apfelkartoffeln bis Zwiebelkuchen“, „Reisen und Speisen“, „Hühnchen & Kaninchen“ … Als Mitautorin fungiert Käthe Muskewitz. Jahrelang schreibt die Fernsehredakteurin für Drummers Sendung die Texte.

Die schnatterinchengelbe Kochmütze in Schwarzweiß

lle Bücher stehen in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek (Slub). Dort wurde im Herbst 2022 das Deutsche Archiv der Kulinarik gegründet. Die Dresdner Sammlung umfasst Schriften, Menükarten, Fotografien aus mehr als vier Jahrhunderten und gehört zu den bedeutendsten ihrer Art. Ständig kommt Neues hinzu. Die Hoffnung der Gründer erfüllt sich: Ist erst mal ein Anfang gemacht, ziehen andere Sammler nach.

Der Verein Chemnitzer Köche 1898 unterschrieb am Wochenende den Schenkungsvertrag über den Nachlass des Fernsehkochs Kurt Drummer. Etwa fünfzig ehemalige Lehrlinge und Kollegen von ihm sind angereist mit weißen Kochjacken und hohen Mützen. Auch Drummers Mütze gehört zum Nachlass. Sie ist gelb, schnatterinchengelb, sagt Vereinschefin Claudia Lappöhn. Das habe im Schwarz-Weiß-Fernsehen besser gewirkt. „Man hat schon aufgeschaut zu ihm“, sagt sie. Von Ehrfurcht und Respekt sprechen auch andere, nennen Kurt Drummer eine „weiße Eminenz“, rühmen ihn zugleich als kollegial, menschlich, bodenständig, sympathisch. Während heute mancher nur Molekularküche könne oder nur Braten, habe er alles beherrscht.

Drummer war Ehrenmitglied des Vereins und starb im Juni 2000 mit 72 Jahren. Sein Nachlass dokumentiert ein Leben, das vom Geburtstort Gornsdorf im Erzgebirge in die Küchen Europas führte. Kurt Drummer kocht auf höchster Ebene. Von 1965 bis 1990 ist er Chefkoch der Vereinigung der DDR-Interhotels. Sein Handwerk lernt er im „Chemnitzer Hof“, im ersten Haus am Platze von Chemnitz. Er studiert Ernährungswissenschaften bei Potsdam, leitet große Betriebskantinen und macht Karriere im Weimarer Nobelhotel „Elephant“. Schweinsröllchen ergänzt er regionalbewusst mit Zwiebelmarktsalat.

Im „Erfurter Hof“ in Erfurt wird die Frauenredaktion des Deutschen Fernsehfunks auf den Koch aufmerksam. Kaum eine Handvoll Sendungen blieb im Babelsberger Archiv erhalten. Umso wichtiger ist sein Nachlass, sind seine Bücher und die Sendemanuskripte. Denn hier gibt es mehr als das Rezept für „Worbiser Entenfleisch“, das er kreiert: Hier wird Kulturgeschichte aufgetafelt und Zeitgeschichte.

So heißt es zum Beispiel 1963 beim Tipp fürs Kalte Büfett: „Die Gesellschaft, deren Geselligkeit in der Zwangsjacke der Kastengesetze steckte, ist in ihr selbstgegrabenes Grab gesunken.“ Heute lade man nicht mehr Vorgesetzte, Gönner, reiche Erbtanten und junge Nichtstuer ein, sondern Freunde und Kollegen. Gern zu Käsespießchen und gefüllten Tomaten. Die Ananas kommt aus der Dose. Bestenfalls.

Kochte, was der DDR-Markt hergab

Drummer kann nur das kochen, was der DDR-Markt hergibt. Ehemalige Kollegen erinnern sich, wie sie in seinem Büro im Karl-Marx-Städter Hotel „Moskau“ die Kochkiste fürs Fernsehstudio nach seinem Plan bestückten mit Gemüsen, Gewürzen, Geschirr. Anders als sein Kollege Clemens Wilmenrod im West-Fernsehen arbeitet sich Drummer durch fünf Sorten Kohl und haufenweise Kartoffeln. Erst in Rostock, später in Berlin-Adlershof. Er plädiert schon damals für die saisonale und regionale Küche. Zuschauer und Leser fordert er zur Selbsthilfe auf. Sie sollten Kräuter auf dem Balkon anbauen oder im Garten. Bei Zutaten wie Koriander fügt er hinzu: nach Möglichkeit.

Irgendetwas fehlt immer. Deshalb nennt er in seinen Rezepten häufig Alternativen: Nüsse statt Mandeln, Kondensmilch statt Honig, Kopfsalat statt Rapünzchen, körniges Schwarzbrot statt Pumpernickel … Die Hobbyköche sollten mutig sein im Variieren und Kombinieren. Bei Überangeboten auf dem Markt legt er ihnen den „Blumenkohlsegen“ ans Herz. Aus der Eiersaison zu Ostern möge man eine Eierspeisensaison machen.

Bei Olympiaden auf dem Siegertreppchen

Seine Bücher, heißt es in staatstragenden Vorworten, seien kein Leitfaden für Leckermäuler, sondern gedacht für junge Hausfrauen wie für erfahrene Praktiker aus den Betriebskantinen. Die Rezepte verbindet Drummer mit Hinweisen zur gesunden Ernährung. Neben Hausfrauen hat er auch die Männer im Blick. Anfängern rät er zum Spiegelei. Beim Umgang mit rohen Eiern lerne man Behutsamkeit und Fingerspitzengefühl – „und beides kann man auch in einer modernen Ehe gut gebrauchen“. So heißt es 1963 in seinem ersten Kochbuch. Spätere Ausgaben folgen der Mode, geben Tipps zum Grillen oder zum Garen in Alufolie. Zeitangaben stehen nie dabei. Beim Steak habe Drummer einfach die Daumenprobe gemacht, sagt einer seiner Kollegen und drückt sich den Daumen in den Handballen: medium.

International sind die Rezepte von Anfang an. Bei Schwedischen Appetitshappen, Indischem Geflügelragout oder Wiener Backhähnchen muss man sich die passende Gegend dazuträumen. Kurt Drummer lernt die Welt kennen.

Ein Album dokumentiert seine Berufsstationen. Er bekocht Jürgen Sparwasser und die anderen Nationalspieler 1974 bei der Fußballweltmeisterschaft in der Bundesrepublik, reist zu internationalen Kochausstellungen und steht – das bezeugen die Urkunden im Nachlass – bei Olympiaden im Ausland oft auf dem Siegertreppchen.

Umso mehr ärgerte ihn die Geringschätzung, die seine Kollegen nach dem Herbst ’89 in Westunternehmen erfuhren, wenn sie wegen mangelnder Erfahrung abgelehnt wurden. Im Westen werde auch nur mit Wasser gekocht, so Drummer. Und Westwasser sei nicht besser als Ostwasser.