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Der Betrug von Venedig

Ist Unister-Gründer Thomas Wagner organisierten Wirtschaftskriminellen zum Opfer gefallen? Die Antwort darauf soll nun das Landgericht Leipzig geben.

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© Reuters

Von Ulrich Wolf

Es ist einer seiner letzten Prozesse. Kurz vor der Pension hat sich Leipzigs Landgerichtspräsident Norbert Röger ein mit Spannung erwartetes Verfahren aufgehalst: Der gebürtige Koblenzer wird vom kommenden Dienstag an versuchen, die Wahrheit herauszufinden über jene Vorgänge, die dem einstigen Vorzeigeunternehmer und Gründer des Internetreisekonzern Thomas Wagner im Sommer 2016 in Venedig zum Verhängnis wurden.

Auf der Anklagebank wird dann ein Mann sitzen, der das Rentenalter bereits erreicht hat. Wilfried Schwätter ist 69, in Dortmund geboren, lebte zuletzt jedoch in Unna. Seit Ende Juli 2016 sitzt er in Untersuchungshaft. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden wirft ihm zweifachen Betrug in besonders schwerem Fall vor.

Der erste Fall ist der bekanntere und hatte in der gesamten Republik Schlagzeilen gemacht. Demnach soll der Angeklagte zu jenen Personen zählen, die den damaligen Unister-Chef Thomas Wagner um 1,5 Millionen Euro betrogen. Unter anderem wird Schwätter verdächtigt, den Kontakt zu einem angeblichen Diamantenhändler aus Israel hergestellt zu haben, der dem finanziell angeschlagenen Wagner einen zweistelligen Millionenkredit in Aussicht gestellt hatte. Vorbereitet worden war der Deal mit Schwätter und weiteren Personen im Frühjahr im Hannoveraner Hotel „Luisenhof“, abgewickelt wurde es dann im Juli im Hotel „Antony Palace“ in Marcon bei Venedig. Dorthin brachte Wagner 1,5 Millionen Euro als Sicherheit mit, in bar. Dafür sollte er ein Viertel der Darlehenssumme erhalten, ebenfalls in bar. Das Geld war in einem Koffer, doch nur kurze Zeit nach der Übergabe stellte sich heraus, dass nur die oberste Schicht im Koffer echt war, der Rest war Falschgeld. Wagner erstattete Anzeige bei der Polizei in Venedig, auf dem Rückflug mit einer kleinen Privatmaschine stürzte er über Slowenien ab. Wagner, ein enger Freund von ihm, ein weiterer Kreditvermittler und der Pilot kamen ums Leben. Schwätter war bei dem Handel in Venedig nicht vor Ort.

Im zweiten Betrugsfall soll Schwätter bereits im Sommer 2015 den Kontakt zwischen dem ominösen Diamantenhändler und einer Architektin aus Menden im Sauerland hergestellt haben. Der Anklage zufolge war der Frau ein Kredit in Höhe von einer Million Euro in Aussicht gestellt worden, als Sicherheit habe man zehn Prozent verlangt. Die Geldübergabe lief in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana ab. Wieder war nur die oberste Schicht im Geldkoffer echt, der Rest falsch. Das geschah im Juni 2016, nur vier Wochen vor dem Deal mit Unister-Gründer Thomas Wagner.

Der Mann, der versuchen wird, all das nachzuweisen, heißt Dirk Reuter. Ein Staatsanwalt der jüngeren Generation: zielstrebig, ehrgeizig, akribisch vorbereitet, wirtschaftsaffin. Sein bislang bekanntester Prozess war der Korruptionsfall um die riskanten Finanzwetten der Kommunalen Wasserwerke Leipzig mit der Schweizer Großbank UBS. Das sich über Jahre hinziehende Verfahren endete mit einem Schuldspruch: Der verantwortliche Manager musste für sieben Jahre und fünf Monate hinter Gitter, Reuter hatte zuvor in seinem Plädoyer von „kaum fassbarer Kriminalität“ gesprochen.

Auch in den Unister-Konzern hat sich der Staatsanwalt tief eingegraben. Für die früheren Führungskräfte des mittlerweile zerschlagenen Konzerns ist er so etwas wie ein personifizierter Albtraum. Bereits 2012 ließ er den Firmensitz durchsuchen, weil er überzeugt ist: Die Erfolgsgeschichte von Unister mit Marken wie ab-in-den-urlaub.de oder fluege.de ging nicht nur mit rechten Dingen zu. Vielmehr habe Unister über Jahre hinweg Kunden, Vertragspartner und den Staat abgezockt, heißt es. Von Computerbetrug, Betrug und Steuerhinterziehung ist die Rede. Verantwortlich dafür sollen drei Ex-Manager sein. Das Verfahren gegen sie begann bereits im Januar, ebenfalls in Leipzig und auch dabei führt Reuter die Regie der Anklage.

Wer hingegen der Autor des Drehbuchs im Venedig-Krimi um Thomas Wagner war, das steht noch nicht fest. Das herauszufinden, ist Ziel des nun beginnenden zweiten Unister-Prozesses. Schwätter war es offensichtlich nicht. Er gehörte zwar zum Produktionsteam des Krimis, war aber nicht der Regisseur.

Der war vermutlich der dubiose Diamantenhändler aus Israel, ein Mann namens Levy Vass. Dieser Name aber dürfte ein falscher sein. In Ermittlerkreisen heißt es, man sei „guten Mutes“ die wahre Identität von Vass bald aufdecken zu können. Selbst wenn dies gelänge, hieße das allerdings noch lange nicht, seiner habhaft zu werden. Denn die Art von Betrug, wie sie der Architektin aus Menden und Thomas Wagner widerfahren ist, die ist ein Produkt organisierter Wirtschaftskriminalität.

Sie nennen sich Rip-Deals. Der zusammengesetzte Begriff stammt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie Abzockgeschäft. Die niederländische Polizei hob ihn Mitte der 1990er Jahre aus der Taufe. Mittlerweile sind diese Betrügereien ein gängiges Mittel geworden; allein das sächsische Landeskriminalamt registrierte 2015 fast 50 solcher Taten.

Hinter den Rip-Deals stecken zumeist international agierende Banden, meist serbisch-rumänischer Abstammung. Sie wählen als Abwicklungsort oft Städte in Norditalien aus. Zum einen wird dort der Betrug mitunter als Kavaliersdelikt angesehen, zum anderen ist der Balkan als Rückzugsort nicht weit entfernt. Die Köpfe der Banden bedienen sich oft zahlreicher Mittelsmänner, bei denen aber sich meist nur maximal zwei Personen wirklich kennen. Der Rest weiß einander nur vom Hörensagen.

Wie im Fall Wagners. Ein Ex-Banker aus Leipzig kennt einen Ex-Notar in Hannover, der ein Ex-Finanzmakler im Sauerland kennt, der wiederum Wilfried Schwätter kennt, und der wiederum hat Kontakt zu Levy Vass. Zur Vorbereitung trifft man die Emissäre Wagners im Luisenhof in Hannover, verabredet dort ein zweites Treffen in Venedig. Vass kommt und verschwindet mit dem Geld, das Wagner mitgebracht hatte.

Die Mittelsmänner dieser Rip-Deals sind häufig selbst finanziell nicht auf Rosen gebettet. Sie sind verführbar. Über Schwätters Vermögen etwa lief bis 2014 ein Insolvenzverfahren. Sein Büro hatte er zu dieser Zeit im Dortmunder Stadtteil Brechten. Zu Terminen sei er mit einem geleasten Porsche vorgefahren, berichtet ein früherer Geschäftspartner. Zuvor schon war Schwätter mit dem Verkauf einer Matratzenfirma aufgefallen, die zum Zeitpunkt der Übergabe allerdings schon weitgehend pleite war. Zudem fungierte er vorübergehend als Vorstandschef einer inzwischen gelöschten Vermögensverwaltungsfirma in Essen.

Schwätters Verteidiger Jens Gunnar Cordes, 47, ist ein versierter Strafrechtler. Er war am Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Münster tätig und ist nach eigenen Angaben als Strafverteidiger am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zugelassen. Seine Maxime klingt martialisch: „Verteidigung ist Kampf. Kampf um die Rechte des Beschuldigten im Widerstreit mit den Organen des Staates.“

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