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Wie aus den LPG moderne Agrarbetriebe wurden

Die Budissa Agrarprodukte AG bei Bautzen ist ein Beispiel für den schwierigen und langwierigen Umbau der DDR-Landwirtschaft.

Von Ulrich Wolf
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Ernteeinsatz bei der Budissa Agrarprodukte AG im Juli 2018: Der Konzern, der aus fünf LPG entstanden war, erzielte in den vergangenen zehn Jahren rund 16,4 Millionen Euro Nettogewinn.
Ernteeinsatz bei der Budissa Agrarprodukte AG im Juli 2018: Der Konzern, der aus fünf LPG entstanden war, erzielte in den vergangenen zehn Jahren rund 16,4 Millionen Euro Nettogewinn. © Archivfoto: Uwe Soeder

Basis für die Umstrukturierung der DDR-Agrarbetriebe ist das Landwirtschaftsanpassungsgesetz. Es war bereits im Juni 1990 von der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR beschlossen worden und sollte die sozialistische Agrarpolitik mit ihrer einseitigen Konzentration auf genossenschaftliche und industrielle Wirtschaftsformen korrigieren. Betroffen waren von dem Gesetz 5,8 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, 850.000 Beschäftigte und mehr als 4.000 Betriebe. Strukturell aber hat sich nichts Grundlegendes geändert: Anders als in Westdeutschland prägen bis heute Großunternehmen die ostdeutsche Agrarstruktur.

Bei der Umwandlung der LPG in marktwirtschaftlich geführte Unternehmen kam es oft zu Fehlern. Abertausende Klagen waren die Folge. So ging der Verband der Privaten Landwirte und Grundeigentümer Sachsens Ende 1999 davon aus, dass 80 Prozent der ehemals 30.000 Genossenschaftsbauer im Freistaat „weit unter dem Wert ausgezahlt wurden“. Der Hintergrund: Oft blieben die alten LPG-Chefs auch die Chefs in den neuen Betrieben. Viele von ihnen gaben sich alle Mühe, ihre Eröffnungsbilanzen klein zu rechnen. Für ehemalige LPG-Mitglieder, die ausschieden oder hinausgedrängt wurden, blieb entsprechend weniger übrig. Sie erhielten teils kleine Abfindungen für ihr in der DDR eingebrachtes Inventar an Maschinen, Vieh und geleisteter Arbeit.

In Sachsen gab es zum Jahresende 1989 noch 733 LPG. Daraus wurden bis zum Jahresende 2017 fast 5.700 Betriebe. Gut 3.000 davon werden im Nebenerwerb geführt. Im Haupterwerb hat sich die Anzahl von Betrieben mit weniger als zehn Hektar Fläche zwischen 2003 und 2016 nahezu halbiert, auf etwa 2.100 Höfe. Deutlich gestiegen ist dagegen die Zahl der Großbetriebe, die 200 Hektar und mehr bewirtschaften.

Der damalige Landwirtschaftsminister Steffen Flath (CDU) genießt mit der sächsischen Erntekönigin Katharina Wienzek im Januar 2003 auf der Grünen Woche in Berlin frische Milch aus Sachsen. Wenige Wochen später wies er an, die LPG-Umwandlungen genau zu prü
Der damalige Landwirtschaftsminister Steffen Flath (CDU) genießt mit der sächsischen Erntekönigin Katharina Wienzek im Januar 2003 auf der Grünen Woche in Berlin frische Milch aus Sachsen. Wenige Wochen später wies er an, die LPG-Umwandlungen genau zu prü © Archivfoto: dpa

Das sächsische Landwirtschaftsministerium räumte im April 1996 ein, dass 147 LPG-Umwandlungen fehlerbehaftet sein könnten. 2003 war noch von 86 Fällen die Rede. In jenem Jahr ordnete der damalige Landwirtschaftsminister Steffen Flath eine „Prüfung der ordnungsgemäßen Vermögensauseinandersetzung“ an. Die meisten Fehler entstanden aus Sicht des Ministeriums unter anderem durch juristische Falschberatung der Betriebe, durch Defizite in der Interpretation der Gesetze seitens der LPG-Vorstände sowie durch eine lückenhafte Dokumentation bei den Registergerichten. Aktuell sind nach Kenntnis des Ministeriums allerdings keine Verfahren „mehr rechtsanhängig“.

Für Aufsehen sorgte im Jahr 2002 der Jenaer Rechtsprofessor Walter Bayer mit einer Studie zur Rechtmäßigkeit von 1.719 LPG-Umwandlungen in Ostdeutschland. Danach waren in Sachsen von 363 ausgewerteten Umwandlungen 50 unwirksam. Bayer sagte, in diesen Fällen seien so gravierende Fehler gemacht worden, dass es ihre Nachfolgebetriebe „gar nicht geben dürfte“. Bayer schrieb im Resümee der Studie: „Somit gibt die Epoche der Restrukturierung der landwirtschaftlichen Unternehmen in den neuen Bundesländern ein anschauliches Beispiel dafür, wie schwer es das Recht hat, sich gegen eine machtvolle Koalition aus Ignoranz, Lobbyismus und persönlichen Netzwerken zu behaupten.“ Das sächsische Landwirtschaftsministerium geht inzwischen nicht mehr davon aus, „dass nach über 28-jähriger Laufzeit seit der gesetzlich veranlassten Umstrukturierung derartige Falllagen“ noch relevant seien. „Das erscheint lebens- und realitätsfern zu sein.“

Ein Ausriss aus der Sächsischen Zeitung vom Januar 1986: Der spätere erste Vorstandschef der Budissa Agrarprodukte AG, Manfred Hubrich (ganz rechts) im Plausch mit Willi Stoph und Hans Modrow.
Ein Ausriss aus der Sächsischen Zeitung vom Januar 1986: Der spätere erste Vorstandschef der Budissa Agrarprodukte AG, Manfred Hubrich (ganz rechts) im Plausch mit Willi Stoph und Hans Modrow. © Archiv: SZ

Ein Beispiel für die Schwierigkeiten bei der Umwandlung der ehemaligen LPG ist der ostsächsische Agrarkonzern Budissa Agrarproduktion AG mit Sitz in Niederkaina. Er entstand 1992, indem das Vermögen der fünf ehemaligen LPG Baruth, Burk, Kleinbautzen, Kubschütz und Niederkaina zusammengelegt wurde. Dem ersten Budissa-Vorstand gehörte auch der 2017 gestorbene Niederkainaer LPG-Chef Manfred Hubrich an. Es gibt Fotos von ihm, die ihn Seit an Seit mit den letzten DDR-Ministerratsvorsitzenden Willi Stoph und Hans Modrow zeigen.

Im November 1999 urteilte der Bundesgerichtshof, die Budissa AG sei unrechtmäßig zustande gekommen, da es keine Gründungsvollversammlung der damals rund 1.400 Mitglieder aus den fünf Gründer-LPG gegeben habe. Der 2013 gestorbene Präsident des Verbands der privaten Landwirte und Grundeigentümer in Sachsen, Dieter Tanneberger, warf dem Budissa-Vorstand „zwielichtige Machenschaften“ und sprach gar von „einer der größten Vermögensverschiebungen in Sachsen“.

In Folge des BGH-Urteils mussten sich die früheren LPG-Mitglieder treffen und der Übertragung des Vermögens auf die Budissa AG nachträglich zustimmen. Über ein solches Treffen im September 2007 heißt es in Unterlagen der Budissa, es sei „überaus erfolgreich“ verlaufen. 95,89 Prozent der noch lebenden ehemaligen Mitglieder der fünf Gründer-LPG hätten den „Abschluss von Vereinbarungen mit den ehemaligen LPG-Mitgliedern zur ausdrücklichen individuellen Genehmigung der Vermögensübernahme aus dem Einbringungsvertrag vom 12.09.1992“ zugestimmt

Erst im August 2009 bestätigte das Registergericht Dresden die nachträgliche Liquidierung von vier ehemaligen Gründer-LPG. Offen blieb die Abwicklung LPG Niederkaina. Für die Abwicklung dieser Gesellschaft bestimmte das Gericht die Gesellschaft für Unternehmensberatung und betrieblich angewandte Mathematik mbH aus Leipzig. Die berief im Juni 2010 eine Vollversammlung ein. An ihr nahmen der Budissa AG zufolge 83 Prozent von 406 noch lebenden ehemaligen LPG-Mitgliedern teil. „Einstimmig bestätigten sie nochmals die Übertragung des Gesamtvermögens der ehemaligen LPG auf die Budissa AG Niederkaina.“ Dennoch sei die Angelegenheit noch nicht abgeschlossen, „da seitens eines Erben noch Ansprüche geltend gemacht werden“. Erst im Budissa-Konzernabschluss zum Geschäftsjahr 2017/18, mithin also 26 Jahre nach der Gründung, heißt es: „Das am Landwirtschaftsgericht Bautzen letzte, noch offene Verfahren zum Auskunftsersuchen einer Erbengemeinschaft zu Umwandlungsbilanzen und zur Personifizierung in der ehemaligen LPG Niederkaina ist mittlerweile abgeschlossen. Die endgültige Löschung aus dem Register läuft und ist nur noch ein technisches Problem, welches vermutlich zum Jahresende abgeschlossen sein wird.“

Die Kartoffellager-Chefin bei Budissa, Beatrice Kießetz, kann stolz auf die Ernte 2018 sein. Und die Vorstände Matthias Friedrich und Udo Weber freuen sich über 1,8 Millionen Euro Nettogewinn im Geschäftsjahr 2017/18.
Die Kartoffellager-Chefin bei Budissa, Beatrice Kießetz, kann stolz auf die Ernte 2018 sein. Und die Vorstände Matthias Friedrich und Udo Weber freuen sich über 1,8 Millionen Euro Nettogewinn im Geschäftsjahr 2017/18. © Archivfoto: Uwe Soeder

Trotz der zahlreichen juristischen Auseinandersetzungen entwickelte sich die Budissa nach der Wende zum größten landwirtschaftlichen Betrieb der Lausitz. Der Bauernzeitung zufolge zählt die Aktiengesellschaft sogar zu „einem der größten Agrarunternehmen Europas“. Ihm stehen 9.400 Hektar Nutzfläche zur Verfügung, in seinen Ställen stehen rund 4.000 Rinder und 10.000 Schweine. Vier firmeneigene Biogasanlagen produzieren Energie. Die elf Tochtergesellschaften setzen insgesamt rund 50 Millionen Euro im Jahr um. Die AG ist Arbeitgeberin für 280 Menschen und wichtiger Sponsor für Vereine in der Region, etwa den FSV Budissa Bautzen. 2016 und 2017 erhielt der Agrarkonzern jeweils 1,9 Millionen Euro Förderung aus Töpfen der Europäischen Union. Seit dem Geschäftsjahr 2007/08 machte die Gesellschaft Nettogewinne von insgesamt 16,4 Millionen Euro. Die dividendenberechtigten Aktionäre dürften damit zufrieden sein: Bei der jüngsten Hauptversammlung im vergangenen November stimmten 358 von ihnen allen Beschlussvorlagen einstimmig zu. Der größte Anteilseigner unter ihnen war in der DDR der Bereichsleiter Pflanzenproduktion in einer der fünf Gründer-LPG. Später hatte er dann 16 Jahre lang den Vorstandsvorsitz der Budissa AG inne.

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