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Der Storymaschinen-Mann

Kai Diekmann verwandelte sich vom Bild-Chefredakteur in einen Start-up-Boss und Fondsgründer. Im Gespräch räumt er mit einem hartnäckigen Gerücht auf.

Von Ulf Mallek
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Früher arbeiteten für ihn über 500 Redakteure, heute leitet Ex-Bild-Chef Kai Diekmann (54) das Berliner Start-up Storymachine mit 30 festangestellten Mitarbeitern.
Früher arbeiteten für ihn über 500 Redakteure, heute leitet Ex-Bild-Chef Kai Diekmann (54) das Berliner Start-up Storymachine mit 30 festangestellten Mitarbeitern. © Robert Michael

Die Mitarbeiter machen den Unterschied. Da ist sich Kai Diekmann sicher. Deshalb sollen sie sich so wohlfühlen, dass sie gar nicht mehr nach Hause gehen wollen. „Die letzten zehn Prozent, die den Abstand zur Konkurrenz ausmachen, die holst du nicht übers Gehalt, die holst du über die Begeisterung für die Company“, sagt Diekmann.

Die Company heißt Storymachine und hat eine Art Loft in Berlin-Kreuzberg bezogen. Für Hauptstadt-Verhältnisse in einer ruhigen Ecke mit S-Bahn-Anschluss, man ist schnell in der City und kann in den vielen kleinen Restaurants in der Nähe für 2,50 bis maximal 4,50 Euro mittagessen. Man kann es sich auch selbst zubereiten wie Diekmann. Kartoffelpüree ohne alles. Er kleidet sich wie zuletzt als Chef der Bild-Zeitung: Turnschuhe, Jeans, Hemd und Strickjacke. Natürlich alles Marke. Der Bart ist ab, höchstens drei Tage nicht rasiert.

Bei Storymachine sieht es so aus, als seien die Räume für einen Katalog mit dem Titel „Das perfekte Start-up in Bildern“ hergerichtet worden. Der eine Schreibtisch ist vom Flohmarkt, der andere von Ebay, tschechische Industrielampen baumeln von der Betondecke, die Wände sind aus rotem Ziegel, unverputzt, die Bank in der Küche hat Diekmann für 50 Euro aus einer Kirche geholt, seine Frau kaufte 110 Birken als Raumteiler vom Förster, und ein Teil der privaten Diekmann’schen Ziegengatter schmücken den Podcast-Video-Raum. „Das haben wir alles an zwei Wochenenden eingerichtet“, sagte Diekmann. Er sieht ein bisschen stolz aus.

Zur Person: Geboren wurde Kai Diekmann 1964 in Ravensburg, aufgewachsen ist er in Bielefeld.
Zur Person: Geboren wurde Kai Diekmann 1964 in Ravensburg, aufgewachsen ist er in Bielefeld. © Robert Michael

Der Konferenzraum ist zugleich die Küche. Dort sitzen, wie man es sich vielleicht vorstellt, junge Digital Natives mit MacBooks und Smartphones herum, essen, tippen und reden. Am besten alles zugleich. „Ich habe hier keinen Schreibtisch“, sagt Diekmann, „setze mich dorthin, wo etwas frei ist. So machen es alle hier.“ Nur der Chefredakteur und Geschäftsführer Philipp Jessen, vormals Chef von stern.de, hat ein eigenes Büro mit einem großen Curved-Bildschirm und die junge Digital-Expertin Nora Beckershaus. Sie ist Chief Innovation Manager.

Das Start-up Storymachine gibt es seit Anfang 2018. Gesellschafter sind neben Kai Diekmann noch der Event-Manager Michael Mronz (ehemaliger Lebensgefährte von Guido Westerwelle), beide halten jeweils 40 Prozent der Anteile, und Philipp Jessen. Er besitzt 20 Prozent und bezieht ein Gehalt, Diekmann und Mronz nicht. Der Firmenzweck wird nach Angaben der Moneyhouse Wirtschaftsinformation so beschrieben: „Die strategische Beratung von Unternehmen, Privatpersonen und öffentlichen Trägern in allen Fragen der Kommunikation, Unternehmensberatung, die Generierung von Content (z.B. Metastrategien und Storyline Scripts) und deren Distribution über sämtliche technischen Plattformen (z. B. Facebook, Instagram, Twitter, Apps), der Aufbau und die Pflege einer eigenen Kommunikationsbrand sowie das Betreiben eines NewsRooms.“

Storymachine sucht sich große Unternehmen, die sich Kommunikation in sozialen Netzwerken aufbauen möchten. Dabei steht das Start-up im Schatten. Das ist so etwas Ähnliches wie ein Ghostwriter auf Facebook. Die Botschaften der Partner werden so optimiert, dass sie auf den verschiedenen Plattformen funktionieren. Daher ist Verschwiegenheit wichtig. Über seine Kunden spricht Kai Diekmann nicht. Es gibt sie aber schon, sogar nicht wenige. Es werden auch Dax-Konzerne sein, große Unternehmen und vielleicht sogar Künstler.

Amerika ist schuld

Doch verglichen mit den 16 Jahren zuvor an der Spitze der größten deutschen Tageszeitung ist das Geschäft jetzt ganz anders. „Die Firma Storymachine ist das größte Abenteuer meines Lebens“, sagt er. Vielleicht ist Amerika schuld. 2013 besuchte er ein paar Wochen das Silicon Valley. Dort wurde das Bedürfnis groß, etwas anderes zu machen als Chefredakteur oder Herausgeber der Bild-Zeitung. Damals fragte er sich, was die Digitalisierung für die Zeitungsbranche bedeuten könnte. Er wollte ein Gefühl für die Bedrohung bekommen. Die Antwort, die er in Palo Alto fand, war ebenso klar wie niederschmetternd: Digitalisierung heißt Entmaterialisierung. Die Zeitung löst sich auf, der Gang zum Kiosk wird überflüssig. Aus ihrer stofflichen, papiernen Substanz werden Bits and Bytes. Das ist der CD so gegangen, dem Video auch. Diekmann: „Die Digitalisierung bedroht unsere Vertriebserlöse. Deshalb wollte ich ins Silicon Valley, denn von dort kommt die Bedrohung, aber auch die Lösung der Probleme.“

Diekmann sagt, er hatte vom Springer-Verlag nicht den Auftrag, das nächste große Ding mitzubringen, sondern einfach nur eine Ahnung dafür zu bekommen, wie massiv die Veränderungen sind. „Meine wichtigste Erkenntnis war, dass wir uns ganz schnell neu aufstellen müssen in der digitalen Welt. Das heißt auch, uns selbst zu kannibalisieren.“

Als Volontär begann er 1985 beim Axel Springer Verlag. Er war Korrespondent in Bonn und wechselte als Chefreporter zur Zeitschrift Bunte, 1992 zur Bild-Zeitung zurück.
Als Volontär begann er 1985 beim Axel Springer Verlag. Er war Korrespondent in Bonn und wechselte als Chefreporter zur Zeitschrift Bunte, 1992 zur Bild-Zeitung zurück. © Robert Michael

Digitale Aufrüstung

Das taten die Bild-Zeitung und Springer dann auch. Sie rüsteten massiv digital auf und beschleunigten damit den Niedergang der gedruckten Bild-Zeitung. „Es war der Preis, den wir zahlen mussten“, sagte Diekmann. Er sah in den USA viele Zeitungsverleger, die ihr Geschäftsmodell bis zum letzten Blutstropfen verteidigt haben und deshalb untergingen. Den Raum, den die Verleger frei ließen, besetzten digitale journalistische Plattformen wie Huffington Post oder Buzzfeed. Sie gibt es heute noch, die Verleger nicht mehr. So wollte Diekmann nicht enden. Digitalisierung ist kein IT-Thema, sagt Diekmann,. „Ich muss im Kopf verstehen, dass alles anders ist.“ Bild war bislang eine große perfekte zentrale Maschine. Die digitale Welt ist aber dezentral, Entscheidungen müssen ganz woandershin verlagert werden. „Dieser Prozess hat vielleicht anderthalb Jahre gebraucht“, sagt Diekmann.

Die Behauptung, er wollte unbedingt Vorstand bei Springer werden, und als er es nicht wurde, habe er eben gekündigt, stimme nicht. Diekmann sagt, er wollte niemals solch einen administrativen Job wie als Mitglied eines Konzernvorstandes haben, ihm mache der kreative Teil Spaß. „Vorstand passt nicht zu mir“, sagt er. Schon als Herausgeber von Bild fühlte er sich unwohl, weil ihm das schöpferisch-journalistische Element gefehlt habe.

Diekmann ist sich ganz sicher: Papier löst sich in Bits und Bytes auf, unumkehrbar. Die Zeitung in der Form, wie wir sie heute kennen, spielt in der Zukunft keine Rolle mehr. Auch die Videokassette wird nicht wiederkommen Vinyl-Schalplatten besetzen vielleicht eine Nische. Möglicherweise schafft das die gedruckte Zeitung auch. Mehr ist nicht drin. Für noch dramatischer hält Diekmann aber die Verschiebung der Inhalte hinein in die sozialen Netzwerke. Früher benötigte man eine Druckerei oder einen Fernsehsender, um Massen von Menschen zu erreichen. Heute genügten ein Smartphone und Facebook. „Wenn man es zu bedienen weiß, ist Facebook live ein Fernsehsender“, sagt Diekmann. „Instagram ist eine digitale Hochglanzillustrierte.“ In Deutschland fiel die Zahl der Leser aller Tagezeitungen in den letzten zehn Jahren von 28 Millionen auf unter 15 Millionen, gleichzeitig sind 31 Millionen auf Facebook unterwegs, davon 23 Millionen täglich. „Das ist schon eine gewaltige Verschiebung“, sagt Diekmann. „Ein unglaublicher Paradigmenwechsel. Theoretisch kann heute jeder Publisher sein. Er muss es nur können.“ Für Diekmann ist Donald Trump dafür das beste Beispiel. Dem US-Präsidenten ist es egal, was die New York Times oder die Washington Post über ihn schreiben, er hat 53 Millionen Follower auf Twitter und kann mit ihnen kommunizieren.

Ordentliche Gehälter

Das, sagt Kai Diekmann, ist auch der Kern des Geschäftsmodells von Storymachine. Social Media ist nicht die technische Verlängerung einer Pressestelle oder der Ort für vordergründige Werbebotschaften, sondern ein Marktplatz echter Kommunikation. „Das haben wir als Journalisten gelernt“, sagt Diekmann. „Es hat mich als Geschäftsmodell gereizt.“

Die Qualität der Mitarbeiter ist für Diekmann wichtig. Er zahle ordentliche Gehälter, sagt er. Außer den drei Gesellschaftern waren keine weiteren Investoren nötig. Also auch keine Kredite. Aber man müsse aufpassen, nicht zu schnell zu wachsen. „Content ist personalintensiv“, sagt er. „Technologie ist wichtig, aber viel wichtiger ist der einzelne Mitarbeiter.“ Vor allem sind es sehr junge Kollegen, die von Axel Springer kommen, von Buzzfeed oder der Huffington Post. Sie kennen sich aus in der digitalen News-Welt. Manchmal, sagt Diekmann, vermisse er sein großartiges Team bei Bild. Doch er baut sich jetzt ein neues Team auf. „Ich arbeite gern im Team.“

Die Digitalisierung macht auch vor unserem Geld nicht halt. Das weiß Diekmann und kam mit seinem langjährigen Freund Leonhard Fischer, dem ehemaligen Vorstand der Dresdner Bank, überein, nach einer digitalen Idee in der Finanzwelt zu suchen. Können wir eine digitale Alternative zum Sparbuch schaffen, fragten sich die beiden?

1998 wurde Diekmann Chefredakteur der Welt am Sonntag, 2001 dann Chefredakteur der Bild-Zeitung. Am 31. Januar 2017 verließ er den Springer-Verlag.
1998 wurde Diekmann Chefredakteur der Welt am Sonntag, 2001 dann Chefredakteur der Bild-Zeitung. Am 31. Januar 2017 verließ er den Springer-Verlag. © Robert Michael

Geld verlieren mit dem Sparbuch

92 Prozent der Deutschen sind nicht im Kapitalmarkt investiert. Sie lieben ihr Sparbuch. Doch dort verlieren sie in Zeiten von null Zinsen einfach Geld. Ja, sagten Diekmann und Fischer, und gründeten den Zukunftsfonds. „Es gibt kein anderes Land, in dem die Sparquote so hoch ist, aber die Leute ihr Geld nicht für sich arbeiten lassen.“ Die Amerikaner dagegen sind hoch verschuldet, machen daraus aber noch Geld. „Wir verlieren mit dem Sparbuch nur.“ Diekmann und Fischer entwickelten eine aktiv gemanagte Vermögensverwaltung mit geringen Gebühren. Die Verwaltungsgebühr beträgt 1,25 Prozent der Anlage im Jahr bei einem Online-Abschluss. „Mit den Gebühren sind wir ganz weit vorn.“ Diekmann hält seinen Fonds für sicher und flexibel. Falls es zu einer scharfen Markt-Korrektur kommt, greift der Fondsmanager ein, um Verluste zu begrenzen.

Der Erfolg lässt momentan noch etwas auf sich warten. Rund 15 Millionen Euro beträgt das Volumen des Mischfonds derzeit. Die Rendite liegt noch leicht unter der Nulllinie. Diekmann: „Da sind zwei dicke Bretter, die wir bohren müssen. Denn der deutsche Sparer scheut den Kapitalmarkt und ebenfalls einen Online-Abschluss bei Finanztransaktionen. Wir werden drei Jahre benötigen, um signifikante Ergebnisse zu erreichen.“ Diekmann ist trotzdem zufrieden mit seinem Fonds. Er hat sein eigenes Geld dort investiert. Alles? „Nein, nicht alles, aber ich habe selbstverständlich einen erheblichen Teil meiner Mittel im Zukunftsfonds angelegt.“

Putin verbessert den Dolmetscher

Manchmal, sagt Diekmann, denke ich gern zurück an meine Bild-Zeit. An das Interview mit Donald Trump beispielsweise. Diekmanns letzter großer Coup bei Bild. Das war eine Woche vor Trumps Amtseinführung, genau am 13. Januar 2017. Diekmann interviewte den designierten Präsidenten gemeinsam mit dem Times-Kolumnisten Michael Gove, der heute Umweltminister in der britischen Regierung ist. NATO obsolet, diese Trump-Aussage ist den meisten sicherlich noch in Erinnerung. Merkels Flüchtlingspolitik hielt Trump für katastrophal und drohte, dass BMW bald in den USA Steuern zahlen müsse. Dieses Diekmann-Interview habe Geschichte geschrieben, bemerkte die FAZ damals tief beeindruckt. Für Diekmann war es das ungewöhnlichste Interview seiner Karriere. Es gab keine Handlungsanweisungen und keine Autorisierung. Sehr professionell war das, sagt er.

Auch mit Wladimir Putin hat Diekmann gesprochen, sogar viermal. Putin liebte es, den Übersetzer zu korrigieren. Einmal fragte Diekmann, warum Russland in Syrien Krankenhäuser bombardiere und nicht den IS. Putin antwortete auf Russisch laut Übersetzer: Ihre Informationen sind nicht korrekt. Darauf sagte Putin auf Deutsch: „Das habe ich nicht gesagt, sondern es ist eine verdammte Lüge.“

Bei Storymachine duzt man sich. „Kai, Telefon für dich“, ruft der junge Mann an der Rezeption. „Ich rufe zurück“, sagt Diekmann. Er zeigt auf eine Holztreppe im hinteren Raum. Sie führt zu einer Tür, an der ein Schild hängt. „Treppe zum Erfolg“ steht drauf. Doch die Tür ist verschlossen. Ein Fake? Nein, nur ein Spaß.