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Flugblatt-Affäre: Nach Aiwanger-Entscheidung keine Rückkehr zum Polit-Alltag

Bayerns Ministerpräsident Söder hat entschieden: Sein Vize bleibt trotz der Flugblatt-Affäre im Amt. Eine Rückkehr zum Alltag bedeutet dies aber nicht. In gut einem Monat wird gewählt - und am Montag steht gleich ein heftiger Schlagabtausch an.

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Nur einen Tag nach Bekanntgabe der Entscheidung von Bayerns MP Markus Söder, seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger im Amt zu halten, bekommen die politischen Gegner heute beim Gillamoos-Jahrmarkt in Niederbayern ein großes Podium.
Nur einen Tag nach Bekanntgabe der Entscheidung von Bayerns MP Markus Söder, seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger im Amt zu halten, bekommen die politischen Gegner heute beim Gillamoos-Jahrmarkt in Niederbayern ein großes Podium. © Uwe Lein/dpa

München/Berlin. Nach der Entscheidung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) für einen Verbleib seines Stellvertreters Hubert Aiwanger im Amt kann von einer Rückkehr zum politischen Alltag keine Rede sein. Die Kritik ist breit, und nur einen Tag nach der Bekanntgabe von Söders Votum bekommen die politischen Gegner an diesem Montag ein großes Podium: Gut einen Monat vor der Landtagswahl laufen sich die Parteien beim traditionellen politischen Schlagabtausch auf dem Gillamoos-Jahrmarkt in Niederbayern für den Endspurt warm. Die Flugblatt-Affäre um Freie-Wähler-Chef Aiwanger dürfte eines der bestimmenden Themen sein.

Was am Montag ansteht

CSU-Chef Söder kommt zur Bierzelt-Battle nach Abensberg im Landkreis Kelheim und wird vom CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz begleitet. Bei den Freien Wählern ist Wirtschaftsminister Aiwanger selbst angekündigt. Sein Auftritt dürfte mit Spannung beobachtet werden, weil Söder von ihm nun Demut erwartet und dass er das Gespräch mit den jüdischen Gemeinden sucht.

Die SPD schickt ihren Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil ins Rennen. Bei den Grünen ist es der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Die FDP hat Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki angekündigt. Die AfD bietet Parteichefin Alice Weidel auf.

Was die Kritiker sagen

Die Kritik hält bereits seit Söders Entscheidung vom Sonntag an. Für die SPD-Vorsitzende Saskia Esken ist diese "ein fatales Signal" und Wasser auf die Mühlen derjenigen, die die NS-Zeit, Antisemitismus und Rassismus verharmlosen, wie sie der "Rheinischen Post" (Montag) sagte. "Nicht nur das mögliche Verhalten Hubert Aiwangers in seiner Jugend, sondern vor allem sein heutiger Umgang damit zeigt für mich ganz klar, dass er ungeeignet ist, Verantwortung in einer Regierung zu übernehmen."

Die Bundestagsfraktionschefin der Grünen, Britta Haßelmann, schrieb auf der Internet-Plattform X, ehemals Twitter: "Markus Soeder hat sich mit seiner Entscheidung zu Aiwanger für Taktik statt Haltung entschieden." Für Bayerns Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze ist "etwas verrutscht im Umgang mit der Erinnerungskultur", dafür trage auch Söder die Verantwortung. "Jeder, der jetzt in Zukunft was Antisemitisches sagt, kann sich dann eigentlich im Endeffekt auf den stellvertretenden Ministerpräsidenten in Bayern beziehen", sagte sie im ZDF-"Heute Journal".

Der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, Wolfgang Benz, nannte Söders Entscheidung "verheerend". "Dieses antisemitische Flugblatt und die offensichtlich rechtsextremistischen Aktivitäten Aiwangers würde ich als Jugendsünden abtun, wenn er sich gleich klar dazu geäußert und seiner Scham Ausdruck verliehen hätte", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Was Aiwanger vorgeworfen wird

Aiwanger war vor gut einer Woche nach eienm Bericht der "Süddeutschen Zeitung" vordächtigt worden, als Schüler in den 1980er Jahren ein antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben. Er bestritt dies, gab aber zu, dass ein oder wenige Exemplare in seiner Tasche gefunden worden waren. Sein Bruder bezichtigte sich dann als Verfasser. In der Folge wurden jedoch, teils anonym, immer mehr Vorwürfe zu Aiwangers damaligem politischen Verhalten erhoben. Nach mehreren Tagen entschuldigte er sich am Donnerstag, ging aber zugleich zum Gegenangriff über und beklagte eine politische Kampagne gegen sich.

Warum Söder so entscheiden hat

Söder erklärte am Sonntag, eine Entlassung wäre nicht verhältnismäßig gewesen. Kritik übte er am Krisenmanagement seines Stellvertreters. Dieser hätte die Vorwürfe früher, entschlossener und umfassender aufklären müssen. Seine Entschuldigung und Distanzierung sei zwar spät, aber nicht zu spät gekommen, sagte der CSU-Chef und forderte, Aiwanger müsse nun verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, etwa im Gespräch mit jüdischen Gemeinden. Zugleich unterstrich er, an der Koalition mit den Freien Wählern auch nach der Wahl am 8. Oktober festzuhalten. "Es wird definitiv in Bayern kein Schwarz-Grün geben."

Mutmaßungen, er habe aus Angst vor einem Solidarisierungseffekt von Wählern mit Aiwanger so gehandelt, wies Söder zurück. "Angst ist für mich kein Maßstab", sagte er im ZDF-Sommerinterview. "Mir ging es einfach um Fairness." (dpa)