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Bayern: Aiwanger bleibt im Amt - Kritik und ein Auftrag von Söder

Fast täglich gab es zuletzt neue Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger. Doch Ministerpräsident Söder hält aktuell an seinem Vize fest. Dafür hagelt es Kritik.

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Fast jeden Tag gab es neue Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger. Trotzdem Ministerpräsident Söder ihn im Amt belassen.
Fast jeden Tag gab es neue Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger. Trotzdem Ministerpräsident Söder ihn im Amt belassen. © dpa

München. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hält an seinem Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) fest. Eine Entlassung wäre aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig, sagte Söder am Sonntag in München. Vor seiner Entscheidung habe er ein langes Gespräch mit Aiwanger geführt.

Kritik übte er an dessen Krisenmanagement. Dieses sei "nicht sehr glücklich" gewesen. Aiwanger hätte die Vorwürfe früher, entschlossener und umfassender aufklären müssen, sagte Söder. Er forderte von Aiwanger, alles daran zu setzen, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Von der Opposition hagelte es Kritik an der Entscheidung.

Aiwanger hatte zuletzt einen umfangreichen Fragenkatalog Söders zu den Vorwürfen rund um ein antisemitisches Flugblatt aus der Schulzeit schriftlich beantworten müssen. Danach traf Söder nun wie angekündigt seine Entscheidung. Die 25 Fragen und Antworten hat die bayerische Staatsregierung inzwischen veröffentlicht - mit ausdrücklicher Zustimmung Aiwangers, wie Söder sagte.

Es sei um schwere Vorwürfe gegangen, sagte der Ministerpräsident. "Antisemitismus hat keinen Platz in Bayern." Das Flugblatt sei "besonders eklig, widerwärtig, menschenverachtend und absoluter Nazi-Jargon". Er habe genau abgewogen und ein faires Verfahren finden wollen. Ihm sei wichtig gewesen, nicht allein aufgrund von Medienberichten entscheiden und keine Vorverurteilung vornehmen zu wollen, sagte Söder.

"Werden in Bayern bürgerliche Koalition fortsetzen können"

Aiwangers Umgang mit den Vorwürfen in der vergangenen Woche - "erst alles abzustreiten, teilweise Dinge zuzugestehen, manche Widersprüche" - habe die Glaubwürdigkeit nicht erhöht, sagte Söder. Die Entschuldigung und Distanzierung Aiwangers sei zwar spät, aber nicht zu spät gekommen. Nun müsse der Freie-Wähler-Politiker verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen und etwa Gespräche mit jüdischen Gemeinden suchen, forderte Söder.

Seine Entscheidung, Aiwanger nicht zu entlassen, begründete Söder im Wesentlichen mit fünf Punkten: "Erstens er hat in seiner Jugend wohl schwere Fehler gemacht, das auch zugestanden. Er hat sich dafür zweitens entschuldigt, davon distanziert und auch Reue gezeigt." Zweitens habe er sich entschuldigt und Reue gezeigt. "Drittens: Ein Beweis jedoch, dass er das Flugblatt verfasst oder verbreitet hat, gibt es bis heute nicht, dagegen steht seine ganz klare Erklärung, dass er es nicht war. Viertens: Seit dem Vorfall von damals gibt es nichts Vergleichbares. Fünftens: Das Ganze ist in der Tat 35 Jahre her. Kaum einer von uns ist heute noch so wie er mit 16 war."

An der Koalition mit den Freien Wählern will der CSU-Chef festhalten. "Wir werden in Bayern die bürgerliche Koalition fortsetzen können", sagte er und betonte: "Es wird definitiv in Bayern kein Schwarz-Grün geben." Weiter: "Und alle Angebote der Opposition, die jetzt so gemacht werden, laufen ins Leere." Bayerns SPD hatte der CSU angeboten, dass die Landtagsfraktion eine Minderheitsregierung bis zur Landtagswahl tolerieren könne, sollte Söder seinen Vize entlassen und die Koalition mit den Freien Wählern brechen.

Aiwanger entschuldigt sich am Donnerstag öffentlich

Gegen den Freie-Wähler-Chef waren seit einer Woche immer neue Vorwürfe laut geworden. Am Samstag vor einer Woche hatte er zunächst schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die "Süddeutsche Zeitung" berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf erklärte Aiwangers älterer Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Am Donnerstag entschuldigte sich Aiwanger erstmals öffentlich. In Bezug auf die Vorwürfe blieb er bei bisherigen Darstellungen - insbesondere, dass er das Flugblatt nicht verfasst habe und dass er sich nicht erinnern könne, als Schüler den Hitlergruß gezeigt zu haben. Auf X (ehemals Twitter) wies er zudem den Vorwurf, er habe Hitlers "Mein Kampf" in der Schultasche gehabt, als "Unsinn" zurück. Zu weiteren Vorwürfen äußerte er sich entweder nicht oder sagte, er könne diese aus seiner Erinnerung weder dementieren noch bestätigen.

Gleichzeitig ging der Freie-Wähler-Chef zum Gegenangriff über, beklagte eine politische Kampagne gegen ihn und seine Partei – was ihm sofort neue Vorwürfe etwa des Zentralrats der Juden einbrachte.

Dass Söder aktuell trotz alledem an Aiwanger festhält, dürfte insbesondere mit der Landtagswahl am 8. Oktober zusammenhängen. Auch wenn CSU und Freie Wähler ihre Koalition fortsetzen wollen, hatte Söder zuletzt gesagt, Koalitionen hingen "nicht an einer einzigen Person". Und: "Es geht mit oder ohne einer Person im Staatsamt ganz genauso." Die Freien Wähler stehen jedoch fest zu ihrem Vorsitzenden. Bei Wahlkampfauftritten wird Aiwanger ungeachtet der Affäre teils kräftig gefeiert.

Aus der bayerischen Opposition kam sofort heftige Kritik an der Entscheidung Söders. SPD-Landeschef Florian von Brunn sprach von einem "traurigen Tag für das Ansehen von Bayern in Deutschland und der Welt". Ähnlich äußerte sich der Grünen-Spitzenkandidat Ludwig Hartmann: Söder habe "heute einen schlechten Deal für unser schönes Bayern gemacht", sagte er.

Habeck: Söders Entscheidung zu Aiwanger ist "keine gute"

Vizekanzler Robert Habeck hat die Entscheidung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), an seinem Stellvertreter Robert Aiwanger (Freie Wähler) festzuhalten, scharf kritisiert. "Sich als Jugendlicher möglicherweise zu verlaufen, ist das eine, sich als verantwortlicher Politiker zum Opfer zu machen und der Inszenierung wegen an den demokratischen Grundfesten zu rütteln, ist das andere", sagte der Grünen-Politiker am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Da ist eine Grenze überschritten."

Vor diesem Hintergrund sei die Entscheidung Söders "leider keine gute", erklärte Habeck. "Es geht hier nicht um Jugendsünden seines Koalitionspartners, sondern am Ende um den Grundkonsens dieser Republik, den jede Regierung in Bund und Ländern voll und ganz schützen muss."

Bei allen Unterschieden in der Sache habe sich die CSU immer als eine staatstragende Partei der Mitte verstanden, die den Grundkonsens dieser Republik wahre, so Habeck. "Zu ihm gehört, dass die Erinnerung an den Holocaust zentral ist und wir sie nicht relativieren dürfen. Genau das aber hat Herr Aiwanger getan und sich als Opfer inszeniert."

Lindner: Söder verknüpft seine politische Zukunft mit der Aiwangers

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat die Entscheidung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder als Schaden für das Ansehen Deutschlands bezeichnet. "Herr Söder hat nicht aus Haltung und Verantwortung entschieden, sondern aus schlichtem Machtkalkül", sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Der Umgang mit Antisemitismus dürfe keine taktische Frage sein, sagte Faeser und fügte hinzu: "Herr Aiwanger hat sich weder überzeugend entschuldigt noch die Vorwürfe überzeugend ausräumen können." Stattdessen erkläre er sich "auf unsägliche Weise" selbst zum Opfer. Dabei denke er "keine Sekunde an diejenigen, die noch heute massiv unter Judenfeindlichkeit leiden. So verschieben sich Grenzen, die nicht verschoben werden dürfen." Faeser weiter: "Dass Herr Söder dies zulässt, schadet dem Ansehen unseres Landes."

Nach der Entscheidung von Söder, an seinem Vize Hubert Aiwanger von den Freien Wählern festzuhalten, sieht FDP-Chef Christian Lindner das politische Schicksal beider miteinander verknüpft. "Markus Söder verbindet jetzt seine politische Zukunft mit der von Herrn Aiwanger", sagte er am Sonntag im "Bericht aus Berlin" der ARD. (dpa)