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Die Nachahmer der Rechtsextremen

Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erklärt, wie sich Konservative radikalisieren, um ihre Macht zu erhalten.

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Politiker wie Ex-Präsident Donald Trump stehen aus Sicht der Wiener Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl für die Radikalisierung der Konservativen.
Politiker wie Ex-Präsident Donald Trump stehen aus Sicht der Wiener Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl für die Radikalisierung der Konservativen. © AP

Von Michael Bittner

Wer zu den Lieblingsfeinden der Neuen Rechten gehört, der muss verdienstvolle Arbeit leisten. Das gilt auch für die Wiener Politikwissenschaftlerin und Publizistin Natascha Strobl. Zahlreiche Anfeindungen und Drohungen bringen sie nicht dazu, in ihrer Kritik an faschistischen Tendenzen in Europa nachzulassen. Strobl ist Mitautorin eines Handbuchs zur Identitären Bewegung, ein großes Publikum erreicht sie auch auf Twitter, wo sie unter dem Hashtag #NatsAnalyse über Sprache und Strategie der Neuen Rechten aufklärt.

Nun hat sie im Suhrkamp Verlag ein politisches Sachbuch zum Thema veröffentlicht. Es mangelt inzwischen längst nicht mehr an Büchern über die Geschichte und Gegenwart der Neuen Rechten, weshalb man zunächst zweifeln kann, ob es denn unbedingt noch ein weiteres braucht. Aber Strobl widmet sich einem Phänomen, das tatsächlich noch genauerer Betrachtung wert ist. Sie nennt es "radikalisierten Konservatismus" und meint damit traditionelle, bürgerliche Konservative, die im Kampf um den Machterhalt anfangen, Rechtspopulisten und Rechtsextreme nachzuahmen.

Kritiker in der Spießerrolle

Strobl betrachtet vor allem zwei Beispiele: Donald Trump und Sebastian Kurz. Die jüngste Wendung in der österreichischen Politik konnte verständlicherweise noch nicht den Weg in Strobls Buch finden. Die Machtergreifung der radikalisierten Konservativen erfolgt in zwei Schritten: Zunächst erobern sie die Führung der etablierten Rechtspartei, dann bringen sie diese an die Macht.

Dabei nutzen sie eine Strategie, die Strobl überzeugend in sechs Elemente zergliedert. Durch "bewusste Regelbrüche" und "Grenzüberschreitungen" inszenieren Politiker dieses Typs sich als Außenseiter, obwohl sie tatsächlich längst zum Establishment gehören. Trotzdem fliegen ihnen bald die Herzen all jener zu, die den eingefahrenen Politikbetrieb verachten. Linke geraten dagegen in eine missliche Lage: Gezwungen, überkommene Normen zu verteidigen, um den Durchmarsch der Rechten zu stoppen, sehen sie plötzlich ziemlich alt aus: "Durch die Regelbrüche umgibt man sich mit dem Nimbus des Revoluzzers, während den Kritikern, die auf die Einhaltung von Regeln und Anstand pochen, nur die Spießerrolle bleibt."

Aus Sicht von Natascha Strobl war auch das Auftreten von Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz ein Beispiel für die Radikalisierung der Konservativen.
Aus Sicht von Natascha Strobl war auch das Auftreten von Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz ein Beispiel für die Radikalisierung der Konservativen. © Sven Simon

Um die rechte Hälfte der Gesellschaft dauerhaft hinter sich zu versammeln, sind weitere Mittel nötig. Dazu zählt die radikale "Polarisierung": Unablässig werden Feindbilder bedrohlich ausgepinselt, vom Muslim über den Antifa-Aktivisten bis zum faulen Arbeitslosen. Einer "Kulturkampflogik" in der Tradition von Carl Schmitt folgend, wird ein völkisches "Wir" gegen diese "Anderen" in Stellung gebracht.

Der Bindung der Anhänger dient auch der Personenkult: So wie Donald Trump die anfangs skeptische Republikanische Partei fast vollständig zum Anhängsel seiner selbst machte, zwang Sebastian Kurz die ÖVP dazu, sich ihm gänzlich zu unterwerfen. Politische Parteien verwandeln sich in Sekten, die bedingungslos einem Guru folgen. Strobl hätte an dieser Stelle den Mut haben sollen, deutlicher kritisch anzumerken, dass sich auch auf Seiten des politischen Gegners spiegelbildlich ähnliche Phänomene der Personalisierung und Tribalisierung zeigen.

Einmal im Besitz der Exekutive, greifen die radikalisierten Konservativen alle Institutionen an, die ihre Macht beschränken: Sie machen das Parlament verächtlich und versuchen, die Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen. Noch wichtiger ist ihnen der "Kampf gegen das etablierte Mediensystem". Strobl zitiert Trumps ehemaligen Berater Steve Bannon, der sich offen zur Taktik bekannte, "den Raum mit Scheiße zu fluten". Ein Dauerfeuer von Provokationen, Lügen und Beleidigungen macht für das große Publikum die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge, Vernunft und Wahnsinn unsichtbar.

Am Ende hat der radikalisierte Konservatismus eine alternative "Parallelrealität" für seine Anhänger geschaffen, die – wie beim Sturm auf das Kapitol in Washington – nur noch gewaltsam auf die Wirklichkeit treffen kann. Wer sich intensiv mit der Neuen Rechten beschäftigt, dem werden manche Thesen in Natasha Strobls Buch bekannt vorkommen. Die Stärke der Autorin liegt aber darin, Erkenntnisse der kritischen Politikwissenschaft einem größeren Publikum verständlich zu machen. Strobl weiß, dass auch der "radikalisierte Konservatismus" selbst kein neues Phänomen ist. Man kann, wie die Autorin, in die Zeit der Weimarer Republik zurückblicken. Man kann sich aber auch einfach in der Welt umschauen. In Krisenzeiten, wenn die Herrschaft der traditionellen Eliten ernsthaft bedroht scheint, ist der Faschismus seit jeher eine Option bürgerlichen Machterhalts.

Keine Rückkehr in die gute alte Zeit

Eine bloße Rückkehr in die vermeintlich gute alte Zeit der liberalen Demokratie predigt die Autorin daher auch nicht: "Der Nachkriegswohlfahrtsstaat mit seiner Sozialpartnerschaft und den großen Koalitionen, mit seinem Kult der bipartisanship und den immer gleichen grauen Männern aus den immer gleichen Kaderschmieden ist kein Ideal, das sich unbedingt zurückzuerkämpfen lohnt." Stattdessen wünscht sich Strobl eine "postkapitalistische Welt". Wo die herkommen soll, verrät sie allerdings nicht. Aber wen gäbe es, der das gegenwärtig zu sagen wüsste?

  • Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse. Suhrkamp, 192 Seiten, 16 Euro