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Ermittlungen gegen drei Verdächtige nach Sylter Rassismus-Eklat

Nach dem rassistischen Gegröle in einer Sylter Bar ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen drei Personen. Auch in einem weiteren Fall auf Sylt gibt es einen Verdächtigen.

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Blick auf das Lokal "Pony" in Kampen: Seit Donnerstagabend wird ein kurzer Video-Clip zigfach in den sozialen Medien geteilt, junge Gäste einer Party grölen auf Sylt rassistische Parolen .
Blick auf das Lokal "Pony" in Kampen: Seit Donnerstagabend wird ein kurzer Video-Clip zigfach in den sozialen Medien geteilt, junge Gäste einer Party grölen auf Sylt rassistische Parolen . © dpa

Berlin. Nach dem rassistischen Gegröle mehrerer Party-Gäste eines Lokals auf Sylt ermittelt die Flensburger Staatsanwaltschaft gegen eine Frau und zwei Männer. Das bestätigte ein Sprecher der Behörde am Mittwoch.

Genauere Angaben zu den Personen machte der Sprecher nicht. Es werde wegen des Verdachts der Volksverhetzung ermittelt, gegen einen der Männer außerdem wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. In einem anderen Fall werde gegen einen Mann ermittelt im Zusammenhang mit einer Attacke gegen eine Frau in Kampen, die zuvor rassistisch beleidigt worden sein soll.

Auf dem kurzen Video, das am Donnerstag vergangener Woche viral gegangen war und zu Pfingsten entstanden sein soll, ist zu sehen und zu hören, wie junge Menschen zur Melodie des mehr als 20 Jahre alten Party-Hits "L’amour toujours" von Gigi D'Agostino rassistische Parolen grölen.

Scheinbar völlig ungeniert und ausgelassen singen sie "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!". Ein Mann macht eine Geste, die an den Hitlergruß denken lässt. Von den Umstehenden scheint sich niemand daran zu stören.

Die rassistischen Gesänge alarmieren die Politik und schüren Sorgen vor einem Rechtsruck hierzulande und Schäden für die Demokratie. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sagte am Wochenende: "Wer so rumpöbelt, ausgrenzt und faschistische Parolen schreit, greift an, was unser Land zusammenhält."

Konsequenzen für Beteiligte

Für einige Beteiligte hatte das Gegröle ein schnelles Nachspiel: Die Werbeagentur-Gruppe Serviceplan Group erklärte, sie habe einen beteiligten Mitarbeiter fristlos entlassen.

Auch die Hamburger Influencerin Milena Karl entließ nach eigenen Angaben eine Mitarbeiterin, die dabei war. "Abgesehen von dem ohnehin abscheulichen Inhalt des Videos hat es mich schockiert, verletzt und enttäuscht, zu sehen, dass eine der Personen aus dem Video mit mir in einem Anstellungsverhältnis stand", schrieb sie in einer Instagram-Story. Sie habe das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung aufgelöst und distanziere sich ausdrücklich "von sämtlichen Personen, die in diesem Video auftreten". "Ich bin selbst Migrantin und als werdende Mutter steht alles, was in diesem Video zu sehen ist, für eine Gesellschaft, in der ich mein Kind nicht großziehen möchte."

Ein alter US-Schulbus steht als Ausschank neben der Gaststätte "Pony", die sich nun durch Gegröle von "Prosecco-Nazis" in den Schlagzeilen wiederfindet.
Ein alter US-Schulbus steht als Ausschank neben der Gaststätte "Pony", die sich nun durch Gegröle von "Prosecco-Nazis" in den Schlagzeilen wiederfindet. © dpa/Axel Heimken

Die Betreiber des Lokals schrieben dazu auf Instagram: "Hätte unser Personal zu irgendeinem Zeitpunkt ein solches Verhalten mitbekommen, hätten wir sofort reagiert. Wir hätten umgehend die Polizei verständigt und Strafanzeige gestellt. Das haben wir mittlerweile tun können." Bei der Party waren mehrere Hundert Gäste, wie Geschäftsführer Tim Becker im ZDF sagte.

DJ Gigi D'Agostino, dessen Song verhunzt wurde, stellte klar, dass sich dieser ausschließlich um Liebe drehe. "In meinem Lied "L'amour toujours" geht es um ein wunderbares, großes und intensives Gefühl, das die Menschen verbindet", teilte D'Agostino auf dpa-Anfrage mit. Zentral sei zudem die Freude über die Schönheit des Zusammenseins.

Wirtschaftsminister Habeck äußerte sich bestürzt über das Skandal-Video. Die Szenen seien verstörend und absolut inakzeptabel, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Mit Blick auf die Feiern zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes sagte Habeck, Deutschland habe es geschafft, zu einer starken Demokratie zu werden, die auf Respekt und Pluralität gebaut sei. "Das zu schützen ist unsere Aufgabe." Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz fragte: "Was geht eigentlich in den Köpfen dieser Leute vor, das ist doch auch mit Alkoholkonsum nicht mehr zu erklären."

Am Freitag hatte auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Parolen als "ekelig" und "nicht akzeptabel" bezeichnet. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Wer Nazi-Parolen wie "Deutschland den Deutschen – Ausländer raus" grölt, ist eine Schande für Deutschland".

Vorfälle auch in Bayern und Niedersachsen

Auch der Club Rotes Kliff im Nobelort Kampen berichtete von einem "Rassismus-Vorfall" zu Pfingsten. Die betroffenen Personen seien des Clubs verwiesen worden und hätten jetzt Hausverbot, schrieben die Betreiber am Freitag auf Instagram.

Doch Sylt ist kein Einzelfall. Schon in den vergangenen Monaten gab es immer wieder Vorfälle, bei denen zu dem Lied Nazi-Parolen gerufen wurden - etwa in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern. In der Oberpfalz ermittelte die Polizei nach einem möglichen Vorfall bei einem Faschingszug im Februar.

In Erlangen skandierten - wie auf Sylt - zwei Männer auf der Bergkirchweih rassistische Parolen zum Lied "L'amour toujours". Wie die Polizei am Samstag mitteilte, bekamen die Verdächtigen im Alter von 21 und 26 Jahren am Freitagabend ein Betretungsverbot - der Staatsschutz leitete Ermittlungen ein.

Schon am Freitag wurde bekannt, dass es ebenfalls an Pfingsten in Niedersachsen zu einem ähnlichen Fall kam. Auch auf dem Schützenfest im niedersächsischen Löningen westlich von Cloppenburg wurden rassistische Parolen gegrölt, auch zu "L’amour toujours", auch dort ermittelt der Staatsschutz.

SPD zieht Insta-Post zurück

Die SPD wollte am Freitag mit einem Instagram-Post Front machen gegen das rassistische Partygegröle auf Sylt - stieß aber vor allem auf Unverständnis und Kritik und korrigierte sich schließlich. Mit Bezug auf die dort gerufenen Parolen hatte die Partei auf der Plattform unter schwarz-rot-goldenem Banner ursprünglich geschrieben: "Deutschland den Deutschen, die unsere Demokratie verteidigen." Nach einer Vielzahl negativer Reaktionen wurde der Post aber gelöscht. Eine Parteisprecherin bestätigte am Freitagabend auf Anfrage den Inhalt der nicht mehr abrufbaren Nachricht.

Stattdessen schrieb die Partei (Rechtschreibung wie im Original): "Wir haben gerade einen Post veröffentlicht mit dem wir auf's Schärfste verurteilen, was wir alle in einem Video aus Sylt gesehen haben. Dabei haben wir es nicht geschafft, einen Ton zu treffen, der alle mitnimmt. Dafür möchten wir uns aufrichtig entschuldigen. Uns geht es darum, klar zu machen, dass wir dieses Land nicht den Rechtsextremen und Hasspredigern überlassen wollen."

Expertin sieht in Sylt-Video Normalisierung rechtsextremer Inhalte

Aus Sicht der Expertin Pia Lamberty zeigt das Sylt-Video eine Normalisierung rechtsextremer Inhalte in der Gesellschaft. "Ohne dass es irgendeine Form von Widerspruch gibt, werden die sozialen Normen einfach gebrochen", sagte die Co-Geschäftsführerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), das Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz untersucht. "Menschen können ohne Scheu in der Öffentlichkeit extreme Parolen äußern." Der Song "L'amour toujours" sei mittlerweile immer mehr mit den rassistischen Parolen verknüpft, sagte Lamberty. "Das macht ja auch was im Gehirn." So schafften Rechtsextreme eine Akzeptanz solcher Parolen in der breiten Gesellschaft.

Für die Cemas-Expertin verdeutlicht der Fall: "Rechtsextremismus ist nicht nur ein Problem, das man in Ostdeutschland sieht oder bei Menschen, die ein geringeres Einkommen haben, sondern auch bei höheren Schichten." Das Bedrohliche für Betroffene sei vor allem die strukturelle Macht, die diese Personen potenziell einmal ausüben könnten. Das Video zeige: "Rassismus geht auch von Menschen aus, die an Universitäten studiert haben oder in Managementpositionen stehen." Rechtsextremismus und rassistische Einstellungen seien etwas, was man in der gesamten Gesellschaft finde. (dpa)