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Die Nachbarschaftsbäcker

Gemeinsames Backen soll aus Fremden Freunde machen. Die Initiatoren hoffen auf Nachahmer.

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© Sven Ellger

Von Katalin Valeš

Nachbarn in der Johannstadt wollen sich besser kennenlernen. Der Türöffner: selbst gebackenes Brot. Die Idee dafür hatte Torsten Görk, Gründer der Dresdener Initiative Kornkreise, als ihm Nachbarin Ute Pawelke das Rezept für ein sogenanntes Drei-Minuten-Brot zusteckte. Drei Minuten Zutaten zusammenrühren, eine Stunde im Ofen backen, abkühlen lassen, fertig. Der 38-Jährige holte die Backform raus und legte los: wiegen, rühren, kneten – genau sein Ding.

„Wenn der Ofen einmal an ist, kann ich auch gleich zwei Brote reinschieben“, dachte sich der gelernte Zimmermann, der auch mal für eine Weile als Energieberater tätig war. Heute arbeitet er auf 20-Stundenbasis als Quartiersmanager in der Johannstadt. Das zweite Brot schenkte er Nachbarin Pawelke. Die 52-Jährige lebt zwei Häuser weiter in einer Wohngemeinschaft. Damit war die Idee für ein ungewöhnliches Nachbarschaftsnetzwerk geboren: Zwei Brote backen und eins davon mit den Nachbarn teilen. „Brotbacken verbindet“, ist Görk überzeugt.

Vor drei Jahren gründete er zusammen mit sechs weiteren Idealisten den Verein BewusstSinn. Die brotbackende Nachbarschafts-Initiative Kornkreise war das erste Vereinsprojekt. Johann Wellbrok ist einer der Mitgründer. Auch er lebt, wie Görk und Pawelke, in der Hertelstraße. Oft backen sie zusammen, so wie heute. „Ursprünglich wollten wir, dass sich die Leute regelmäßig absprechen und abwechseln“, erzählt Wellbrock. Nebenbei wiegt er Dinkel- und Hafermehl ab. „Doch im Alltag konnten das nur Wenige umsetzen. Und das nicht auf Dauer, sondern nur hin und wieder“, fügt Nachbarin Pawelke hinzu, während sie Kürbis- und Sonnenblumenkerne abwiegt. Dass ihre Anfangsidee nicht wirklich funktioniert hat, entmutigte die Nachbarn aus der Hertelstraße nicht. Im Gegenteil: Der Duft von frisch gebackenem Brot inspirierte sie zu weiteren Plänen. Schnell zog die anfängliche Idee – der Name Kornkreise schien Programm – immer weitere Kreise: Schon bald engagierten sich Görk und die anderen nicht mehr nur für ein lebendiges Viertel.

Nachhaltigkeit erlebar machen

Zwar nebenbei, aber durchaus gewollt, betreiben sie mittlerweile ehrenamtlich auch Bildungsarbeit für nachhaltige Ernährung und ein friedliches Miteinander. Für Kindergärten und Vereine bieten sie Workshops an, Firmen können das gemeinsame Brotbacken als Veranstaltung für die Belegschaft buchen, um das Betriebsklima zu verbessern. Außerdem backen sie auf öffentlichen Veranstaltungen, wie dem Bönischplatzfest oder den Interkulturellen Tagen im Johannstädter Kulturtreff im September. „So kam eins zum anderen. Wir haben gemerkt, dass wir mehr erreichen, wenn wir uns im größeren Kreis und in der Öffentlichkeit zum Backen treffen“, erzählt Wellbrock. Es wird gelacht, geplaudert und über die Mengen der verwendeten Getreidesorten philosophiert.

Heute wird der Brotteig im Garten von Ute Pawelke angerührt – für sie ist das ein sinnvoller Vorwand, um sich zu treffen. Während Johann Wellbrok die Backform aus Ton einfettet, streut Torsten Görk eine Prise Meersalz mit jodhaltigen Algen in den Teig. Oft kommt das frische Brot gar nicht zu Hause an, sondern wird sofort gegessen. „Am liebsten mit Butter und Salz“, sagt Johann Wellbrok. „Nee, mit Fruchtaufstrich,“ widerspricht Ute Pawelke und grinst. Torsten Görk zieht selbst gemachte Aufstriche mit Zutaten aus dem eigenen Garten vor. Der regionale Anbau oder zumindest zu wissen, wo seine Lebensmittel herkommen, ist Görk wichtig – auch bei den Zutaten für sein Brot. Weil er nicht das Mehl vom Discounter verwenden wollte, schaute er sich nach Mühlen um, die ihre Produkte biologisch anbauen und ökologisch sinnvoll verarbeiten. Mit der Rätze-Mühle bei Bautzen fanden die passionierten Hobbybäcker ein traditionelles Familienunternehmen, das ihren Anforderungen zu entsprechen schien. „Dort werden auch alte Sorten wie Hafermehl oder Emmer angeboten. Wir beziehen unser Mehl für unsere Aktionen jetzt direkt von dort“, erzählt Görk stolz von seiner Entdeckung.

Es fühlt sich richtig an für ihn. Nach einem Projekt wie diesem hat er lange gesucht. „Einerseits regen wir Menschen dazu an, ihre Komfortzone zu verlassen, andererseits unterstützen wir das kleine Handwerk vor Ort.“ Neben seinem Job bei der Stadt absolviert er im Fernstudium eine Ausbildung zum Permakultur-Designer. „Da geht es unter anderen darum, regionale Kreisläufe zu schließen und die Dinge möglichst nachhaltig anzubauen und zu verwerten“, erklärt er.

Große Zukunftspläne

Wie viele sich schon von der Initiative inspirieren lassen haben und gelegentlich ein Brot für die Nachbarn mitbacken, lässt sich für Görk schwer überblicken: „Wir kontrollieren das nicht. Die Infos und die Rezepte sind frei zugänglich auf unserer Internetseite und wir erzählen viel davon.“ Er schätzt die Zahl der Nachbarschaftsbäcker auf ungefähr 20, wovon ungefähr zehn sehr aktiv seien. In Zukunft soll der Verein noch professioneller werden. Der Plan: „Die Firmen zahlen marktübliche Preise, wenn sie uns für ihre Mitarbeiter-Veranstaltungen buchen, das wiederum finanziert die gemeinnützigen Projekte“, sagt Görk. Anfragen und Aufträge namhafter Dresdner Firmen gebe es bereits. „Langfristig wollen wir auch Stellen und Praktikumsplätze schaffen“, so der Initiator. Dann könnten sogar Einige damit ihr eigenes Brot verdienen.

www.szlink.de/Brotbacken