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Die schwierige Suche nach den Erben

Etwa 1 500 Objekte kamen von 1933 bis 1942/43 in die Görlitzer Sammlung für Kultur und Geschichte - ein großer Teil aus jüdischem Besitz. Ein zweijähriges Projekt hat ihre Herkunft erforscht.

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© Miriam Schönbach/dpa

Von Miriam Schönbach

Görlitz. Vorsichtig, mit weißen Handschuhen nimmt Katarzyna Zinnow ein Glas aus einem Regal im Depot des Kulturhistorischen Museums in Görlitz. „Das Aussehen von Steinglas erinnert an Halbedelsteine. Es wurde im 19. Jahrhundert von Friedrich Egermann in der Glasmacherstadt Nový Bor entwickelt“, sagt die Kunsthistorikerin. In den vergangenen zwei Jahren war sie in Inventarbüchern und im Magazin auf der Suche nach NS-Raubkunst unterwegs. Das Steinglas der Sammlung Wilhelm Perlhöfter gehört zu ihren Fundstücken.

Andächtig stellt Zinnow das Stück wieder zwischen die anderen zerbrechlichen Objekte. Wie ein Puzzle haben sie und eine weitere Herkunftsforscherin die Geschichte der Objekte aus den Jahren 1933 bis 1942/43 zusammengetragen. „Etwa 1 500 Objekte wurden in dieser Zeit angekauft, wobei angekauft in Anführungsstriche gesetzt werden muss“, sagt die Projektmitarbeiterin. Denn neben Schenkungen, Nachlässen und Tauschgeschäften fallen besonders die „Überweisungen aus Schlesien“ ins Auge.

Dahinter verbergen sich unrechtmäßig beschlagnahmte Kunstwerke - vom Gemälde bis zum Kunstgewerbe jüdischer Sammler. Diese Unternehmer prägten zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Kunst- und Kulturszene in Schlesien. Die Nationalsozialisten enteigneten ihre Betriebe, beschlagnahmten ihre Kunstgüter und deportierten viele in Konzentrationslager. „Anderen gelang noch die Flucht aus Deutschland, manche nahmen sich das Leben“, sagt Zinnow. Schätzungsweise 600 000 Kunstwerke wurden zwischen 1933 und 1945 von Deutschen in Europa gestohlen oder zum Spottpreis erworben.

Kolonialwaren-Großhändler Wilhelm Perlhöfter wird zum Beispiel nach dem Novemberpogrom von 1938 in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Nach seiner Freilassung wandern er und seine Familie nach Großbritannien aus. Seine Sammlungen werden „gesichert und weiterverwertet“, wie es damals hieß. „Es ist erstaunlich, welche Persönlichkeiten Schlesiens sich am Kunstraub beteiligten, nicht nur als kleines Rädchen, sondern als treibende Kraft“, sagt Kai Wenzel, Kunsthistoriker am Museum. Zu diesen Mitläufern zählt neben den Leitern der Museen in Breslau, Nysa, Bytom und Prudnik auch der langjährige Görlitzer Museumschef Siegfried Asche.

Asche gelingt es auf „penetrante Art, die Situation auszunutzen, und die Besonderheiten nach Görlitz zu lotsen“, sagt Wenzel. Er bringt ein Gemälde von Lovis Corinth genauso in sein Museum wie Arbeiten von Adolf Dressler, Fritz von Uhde, Wilhelm Trübner, Albert Weisgerber, Jules Dupré, Alexander Kanoldt, Konrad von Kardorff, Carlo Mense sowie Skulpturen von Georg Kolbe. Ordentlich verzeichnet er jeden Neuzugang in den lückenlos überlieferten Inventarbüchern. Manche Kunstgegenstände gibt er weiter, worauf der Hinweis „Tausch“ hinweist. Da verliert sich ihre Spur.

Von den 1500 Objekten haben die Görlitzer Herkunftsforscher eindeutig 115 Fälle als NS-Raubkunst identifiziert. „Aber nur neun sind im Bestand, fünf Verdachtsfälle gibt es, bei denen wir nicht ausschließen können, ob es Raubkunst ist. Der Rest gilt als Kriegsverlust“, sagt die Provenienzforscherin. Rund 80 Prozent der geraubten Objekte sind nach Schätzungen durch die Auslagerung des Museums ab 1941 in umliegende Herrenhäuser verschwunden und zerstört worden. Manches kam nach dem Ende des Kriegs nur noch kaputt zurück, wie der Deckelpokal. Am Fuß hat das Glas eine Fehlstelle.

Der Pokal stammt aus der Sammlung von Max Pinkus, ein enger Freund des Schrifststellers Gerhard Hauptmann. Dem Textilunternehmer gehörten eine Bibliothek mit etwa 25 000 Bänden und eine kostbare Sammlung von Kunstgewerbe, Gemälden und Skulpturen. Pinkus starb 1934, seine Söhne emigrierten nach England. Mit der Familie will sich Zinnow weiterbeschäftigen.

Die Stadtrat von Görlitz hat beschlossen, dass die Fundstücke restituiert werden sollen. „Das heißt, die Nachfahren sollen recherchiert und die Objekte zur Rückgabe angeboten werden“, sagt Wenzel. Seit der Wende seien schon 15 Ansprüche angemeldet worden. Davon gaben es eine Restitution in sieben Fällen, die anderen gelten als Kriegsverluste.

Parallel werden die Entdeckungen in der Lost-Art-Datenbank des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste in Magdeburg veröffentlicht. Die Einrichtung zur Erforschung von NS-Raubgut hat mit der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen das Görlitzer Projekt gefördert. Die Ergebnisse zeigt ab 16. Februar eine Kabinettausstellung im Kaisertrutz. Neben den neun gefundenen Objekten werden Reproduktionen der bereits restituierten und seit 1945 verschollenen Kunstwerke ausgestellt. (dpa)