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Die Top Ten der Dresdner Forschung

Erfindungen und Entdeckungen, über die wir 2018 berichteten: Aus den Nachrichten aller Fachgebiete hat das SZ-Wissens-Ressort diese Favoriten ausgewählt:

Von Frank Essegern & Jana Mundus & Stephan Schön
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Schmuckgegenstände und Werkzeuge aus Bronze finden Archäologen in Sachsen oft. Aber erst seit 2018 wissen sie, wer die Bergleute für die nötigen Rohstoffe wirklich waren.
Schmuckgegenstände und Werkzeuge aus Bronze finden Archäologen in Sachsen oft. Aber erst seit 2018 wissen sie, wer die Bergleute für die nötigen Rohstoffe wirklich waren. © Christian Juppe

1. Viel älter als gedacht

Jahrtausende alte Spuren: Wissenschaftler vom Landesamt für Archäologie weisen im Erzgebirge einen bronzezeitlichen Bergbau nach. Bereits vor 4 000 Jahren wurde in der Nähe des heutigen Schellerhau Zinn abgebaut. Dort, wo die Rote Weißeritz fließt. Nirgendwo sonst in ganz Europa konnten Wissenschaftler bisher ältere Spuren von Bergbau finden. Selbst die bisher weltweit ältesten im Iran und in der Türkei fallen etwa in diese Zeit.

Es müssen Tonnen von Zinn jedes Jahr gewesen sein. Das Erzgebirge war ein zentraler Lieferant für ganz Europa. Und die Sachsen, oder präziser, die, die damals hier lebten, bekamen dafür Gold und Bernstein, Felle, Honig und Tiere. Das Erzgebirge war das Industriegebiet fürs Elbtal und die böhmische Ebene, ein Katalysator für die Entwicklung der gesamten Region. Es bildete die Voraussetzungen für den sprunghaften Aufstieg in der Bronzezeit. Die Bevölkerungszahl stieg rasant. Siedlungen wurden gegründet.

Wiederentdeckt wurden die alten Gruben vom Flugzeug aus mit extrem präzisen Laserscannern. Durch die Baumkronen hindurch konnten so die Bodenstrukturen auf zwei Zentimeter genau in 3-D vermessen werden. Die Archäologen wurden fündig. Inzwischen waren mehrere Universitäten und auch das Geoforschungs-Zentrum Potsdam mit im Team. Die Forscher staunten Zentimeter für Zentimeter mehr über den Fundort. Jetzt wurde nötig, was die moderne Naturwissenschaft zu bieten hatte. Physik und Chemie. Geochemie und Geologie. Es ging um winzige Spuren von Holzkohle, Pollen, Sedimenten. Nur wenige verkohlte Holzreste blieben bis heute erhalten. Doch die reichten für die Altersbestimmung mittels Kohlenstoffdatierung. Das Ergebnis ist sensationell: Diese Bäume und Gräser wuchsen vor etwa 4 000 Jahren im Erzgebirge.

2. Im Eden

Paul Zabel steht mit geerntetem Kohlrabi im Gewächshaus Eden-ISS.
Paul Zabel steht mit geerntetem Kohlrabi im Gewächshaus Eden-ISS. © DLR/dpa

Er ist der südlichste Gärtner der Welt. Paul Zabel ist Mitarbeiter des Dresdner TU-Instituts für Luft- und Raumfahrtsysteme. Zabel gehört zum zehnköpfigen Überwinterungsteam in der Station des Alfred-Wegener-Instituts am südlichen Pol der Welt.  Im Container-Gewächshaus Eden-ISS züchtet er Gurken, Salat und Tomaten. Dieses Projekt soll ergründen, was technisch nötig ist, um Weltraummissionen und Expeditionen im Eis mit Gemüse zu versorgen. Der Weg nach Eden führt durchs Weiß. An manchen Tagen hat es Paul Zabel schwer. Klirrende Kälte mit Temperaturen um minus 40 Grad Celsius begleiten ihn dann auf dem Weg zur Arbeit. Während er seine Vormittage meist im warmen Labor der Antarktis-Forschungsstation Neumayer III verbringt, geht er nach dem Mittagessen zu seinen Pflanzen.   400 Meter sind es von dort zum Eden-ISS Gewächshaus. Keins mit Glaswänden oder -dach, sondern eins in einem Container. Der Mitarbeiter an der Professur für Raumfahrtsysteme an der TU Dresden züchtet hier Gemüse und Kräuter. Die kleinen Pflanzen sind Teil einer großen Mission. In wenigen Tagen wird Paul Zabel seine Forschungsergebnisse im DLR-Institut in Bremen vorstellen.

3. Neue Erze

Aus 150 Tonnen komplexer Erze, die aus dem Besucherbergwerk Zinnkammern Pöhla im Erzgebirge  entnommen wurden, wollen Forscher Metalle auf wirtschaftliche Weise gewinnen..  
Aus 150 Tonnen komplexer Erze, die aus dem Besucherbergwerk Zinnkammern Pöhla im Erzgebirge  entnommen wurden, wollen Forscher Metalle auf wirtschaftliche Weise gewinnen..   © HZDR

Wertloses Gestein wird zum wichtigen Rohstoff. 2018 hat ein industrienaher Großversuch unter Leitung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf begonnen. Dessen Institut für Ressourcentechnologie (HIF) ist es gelungen, wichtige Metalle aus bisher unbrauchbarem Erz zu bekommen. Es geht um Zinn, Zink, Indium. Dies ist jedoch in Minerale eingebaut und verwachsen. Das Komplexerz wird grob zerkleinert, automatisch sortiert mit neuer Sensortechnik. Danach wird alles Nutzbare fein gemahlen auf Körnchen von Millimeterbruchteilen. In einem Schaumbad schwebend sollen sich letztlich wie bisher schon üblich die guten von den schlechten Körnchen trennen. Eine der weltgrößten, aber bisher nicht nutzbaren Zinnlagerstätten im Erzgebirge würde dadurch für den Abbau interessant. Schon jetzt hat  Projektpartner Saxore Bergbau GmbH bei Pöhla eine Aufsuchungsgenehmigung. Eine Abbaugenehmigung würde dann wohl folgen. Etwa 15 Millionen Tonnen sogenannter Komplexerze mit gutem Zinngehalt liegen in dem Gebiet. Ähnliches, bisher nicht nutzbares Gestein, befindet sich aber auch an vielen anderen Stellen im Erzgebirge.

4. Gene der Welt

Spix's Scheibenflügel-Fledermaus (Thyroptera tricolor) – eine der Wirbeltierarten, deren Erbgut Wissenschaftler hochpräzise entschlüsseln wollen.
Spix's Scheibenflügel-Fledermaus (Thyroptera tricolor) – eine der Wirbeltierarten, deren Erbgut Wissenschaftler hochpräzise entschlüsseln wollen. © MPG/Sébastien Puechmaille

Das weltweit größte Genom-Projekt startet 2018 in New York, Cambridge – und Dresden. Es sind die drei führenden Forschungszentren, die nun eine digitale Arche bauen. Dabei geht es um die komplette Erbsubstanz aller auf der Erde lebenden Wirbeltiere. Ihr Erbgut soll fehlerfrei und vollständig erfasst werden. Das Dresdner Max-Planck-Institut CBG und das Zentrum für Systembiologie sind am internationalen Vertebrate Genomes Project beteiligt. Es soll alle 66 000 Wirbeltier-Arten analysieren. Das in Dresden entwickelte Verfahren ist 60-mal schneller als jenes der Konkurrenz. Auf diese Weise wird für die Menschheit nun eine Genom-Arche geschaffen. Sie wird die Erbinformationen der Wirbeltiere dauerhaft für künftige Generationen zur Verfügung stellen. Auch dann, wenn die eine oder andere Art längst ausgestorben ist.

5. Transport mit Spermien

Spermien als Transportmittel. Die Visualisierung zeigt die drei Methoden: durch ein chemisches Trägermaterial (l.), durch die Drehbewegung einer Helix aus Metall (Mitte) und durch einen Biohybriden in Röhrchenform, der aus superdünnem Metall besteht. 
Spermien als Transportmittel. Die Visualisierung zeigt die drei Methoden: durch ein chemisches Trägermaterial (l.), durch die Drehbewegung einer Helix aus Metall (Mitte) und durch einen Biohybriden in Röhrchenform, der aus superdünnem Metall besteht.  © Mariana Medina-Sánchez/Wiley

Es sind Mikrotransporter, die im Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) konstruiert werden. Winzige Spiralen, gebaut aus wenigen Molekülen. Es geht dabei auch um Spermien, die mit solchen Mikrotransportern auf direktem Wege hin zur Eizelle transportiert werden. Am IFW ist Wissenschaftlern genau das im Laborversuch gelungen. Mit winzigsten magnetischen Strukturen oder kleinsten Röhrchen aus einer Metallmembran werden Samenzellen unter dem Mikroskop zum Bestimmungsort dirigiert. Die Methode soll in Zukunft bei Unfruchtbarkeit helfen. Sie könnte aber durch die zellgenaue Platzierung von Medikamenten auch Krankheiten heilen.

6. Attackierter Tumor

Fraunhofer startet in Sachsen ein medizinisches Großprojekt. Es geht um die Schaffung gezähmter Tumor-Killerzellen. 3,5 Millionen Euro stehen für Elite-NK zur Verfügung. Physiker und Mediziner, Zellbiologen und Strahlenexperten, Ingenieure und Genetiker der Fraunhofer-Institute FEP in Dresden und das IZI in Leipzig arbeiten dafür zusammen. Tumor-Killerzellen greifen den Tumor an, aber sie selbst vermehren sich ebenso ungebremst. Die Forscher wollen diese NK-Zellen erst im Labor vermehren, dann so verändern, dass sie sich im menschlichen Körper nicht mehr vermehren können. Der dafür nötige dosierte Beschuss mit Elektronen zerstört die DNA dieser Zellen.

7. Gesundheits-Check im All

Alexander Gerst auf der ISS  während einer Versuchsreihe, die Dresdner TU-Forscher entwickelt haben. 
Alexander Gerst auf der ISS  während einer Versuchsreihe, die Dresdner TU-Forscher entwickelt haben.  © Alexander Gerst/Esa/Nasa/dpa

Dresden im All. Das TU-Institut für Luft- und Raumfahrttechnik hat mit der Cortex Biophysik GmbH einen Gesundheits-Check entwickelt. Getestet wurde der von Alexander Gerst in der Raumstation und am Boden im TU-Institut von Probanden. Es gibt eine Atemmaske mit nur kurzen Schläuchen zum mobilen Sensor. Dazu einen Brustgurt, Sensoren an Körper und Kopf. Kleiner und leichter als jedes andere vergleichbare Gerät ist dies und würde in eine Laptoptasche passen. Alexander Gerst hat acht Mal diesen Versuch im All gemacht und das immer für eine halbe Stunde auf dem Fahrradergometer. Zwei zusätzliche Versuchsreihen hat er damit der TU Dresden geschenkt. Jetzt werden die medizinischen Daten von den Projektpartnern in Berlin ausgewertet. Metabolic Space erkennt den Stoffwechsel und damit nicht nur die Fitness, sondern auch Krankheiten, bevor sie so richtig ausbrechen. Foto: Esa/Nasa

8. Künstliches Denken

Der neue Supercomputer soll wie das menschliche Gehirn arbeiten: vernetzt, schnell und effizient. Seit 2013 wird an ihm gebaut. Für das europaweite Großprojekt, das Human Brain Project, werden 470 Millionen Euro von der EU investiert. Über 100 Einrichtungen in Europa arbeiten am Projekt.Die Elektronik für den Megarechner entsteht in Dresden. 2018 präsentierten die Wissenschaftler von der Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik der TU Dresden ihren sogenannten Spinnaker-Chip. Der hat eine Rechenleistung von 36 Milliarden Anweisungen pro Sekunde und Watt. Bis 2020 soll ein Chip entstehen, mit dessen Hilfe letztendlich die Arbeit von 80 Milliarden Neuronen im Gehirn nachgeahmt werden kann. Aus dem gesammelten Wissen rund um das Gehirn sollen neuartige Computer entstehen. Wie das lebendige Vorbild sollen sie extrem leistungsstark sein und dabei möglichst wenig Energie verbrauchen. Denn auch in dieser Frage ist die menschliche Schaltzentrale einzigartig. Das Gehirn benötigt für seine hochkomplexe Arbeit weniger Energie als eine 60-Watt-Glühbirne. In einem dritten Schritt will das Projekt das gesammelte Wissen über das Gehirn verfügbar machen. Damit Wissenschaftler weltweit mit dem Datenmaterial die großen Rätsel rund um die Materie in unserem Kopf entschlüsseln können.

9. Wie sich das Gehirn faltet

Wie bildet sich das typisch menschliche Gehirn? 
Wie bildet sich das typisch menschliche Gehirn?  © fotolia

Dresdner Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut CBG haben herausgefunden, wie es zur typisch menschlichen Gehirnbildung kommt. Sie konnten in Laborversuchen mit menschlichen Spenderzellen zeigen, wie das Gehirn wächst und sich faltet. Sie können erklären, wie sich unsere gefaltete Großhirnrinde bildet, die eine entscheidende Voraussetzung für Sprache und Denken ist. Dies alles ist Grundlagenforschung, die aber langfristig zu medizinischen Anwendungen führen soll. Je mehr die Wissenschaftler  darüber wissen, wie Nervenzellen entstehen, sich teilen und organisieren, desto besser können sie eine Therapie entwickeln. Es geht um die künftige Produktion künstlicher, aber körpereigener Nervenzellen. Patienten mit Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer könnte so geholfen werden. Viele Forschungsjahre sind bis dahin noch nötig. Ein Anfang ist aber gemacht. 

10. Gedruckter Satellit

Das riesige Bauteil für den Weltraum kommt aus dem Drucker. Drei Meter im Durchmesser, bis zu 30 Zentimeter dick. So groß hat noch niemand in 3-D gedruckt. Im Jahr 2028 soll das europäische Weltraumteleskop Athena starten. Dresdner Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik (IWS) lassen dafür Schicht für Schicht das Bauteil für die hochsensiblen Teleskop-Sensoren entstehen. Mit dem Millionen-Euro-Forschungsprojekt der Europäischen Raumfahrtagentur Esa setzt sich das IWS weltweit an die Spitze des 3-D-Druckens von Metallen. Extra große Roboterarme werden im Dresdner Speziallabor das Bauteil aus Metallpulver per Laserstrahl Schicht für Schicht entstehen lassen. 1 062 einzelne Waben müssen darin präzise angeordnet sein. Kleine Hohlräume, in die später die sensiblen Sensoren, die Augen des künftigen Röntgen-Teleskops eingesetzt werden. Damit kann dieses Weltraum-Teleskop dann die gigantischen Vorgänge um die Schwarzen Löcher betrachten. Es liefert Bilder eines für uns sonst unsichtbaren Universums. Es blickt bis ins Zentrum der Galaxien hinein. Röntgenbilder geben zudem entscheidende Hinweise auf die uns noch unbekannte Dunkle Materie im All. Derzeit gibt es kein vergleichbares Teleskop, und von der Erde aus ist das Weltall im Röntgenlicht nun mal nicht zu sehen.