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In Seyde von der schiefen Bahn geholt

In jungen Jahren hat René Dorn "viel Scheiße gebaut". Dann kam er in die Wohngruppe nach Seyde ins Erzgebirge, wo er nach Jahren gerne wieder hinfährt.

Von Franz Herz
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Renè Dorn ist vor 25 Jahren in die Wohngruppe nach Seyde gekommen. Er war als Jugendlicher auf die schiefe Bahn geraten und hat in Seyde Wichtiges für sein Leben gelernt.
Renè Dorn ist vor 25 Jahren in die Wohngruppe nach Seyde gekommen. Er war als Jugendlicher auf die schiefe Bahn geraten und hat in Seyde Wichtiges für sein Leben gelernt. © Egbert Kamprath

Ohne Seyde hätte ich vielleicht nur einen Abschluss der 6. Klasse, sagt René Dorn, der heute 39 Jahre alt ist. Er war vor 25 Jahren eines der ersten Kinder, die in die gerade neu eröffnete Wohngruppe der Kinderarche in dem Ortsteil von Hermsdorf im Erzgebirge kamen.

Einen Tag später wieder abgehauen

Nun liegt Seyde idyllisch auf dem Erzgebirgskamm. Aber das ist bestimmt nicht, was ein Jugendlicher aus Dresden sucht. „Ich bin schon einen Tag später wieder abgehauen. Da haben mich die Erzieher kurz vor Schmiedeberg wieder aufgesammelt“, erinnert sich René Dorn. Es blieb nicht der einzige Versuch auszubüxen. Aber dann waren bald Ferien und die gesamte Wohngruppe machte einen Ausflug in einen Freizeitpark. „Da musste ich mit“, sagt Dorn. Und von dort an hat er sich in der Gruppe wohler gefühlt.

Wichtig, dass er aus seiner Clique herausgekommen ist

Seine Mutti war sehr jung mit ihm schwanger geworden. Dann stand eine Adoption des Jungen zur Debatte. Damit war aber seine Oma nicht einverstanden. Sie wollte ihren Enkel nicht aus der Familie weggeben, übernahm die Vormundschaft und die Erziehung. Aber sie war damit überfordert. Der Junge kam in schlechte Gesellschaft.

„Ich habe dann viel Scheiße gebaut“, erzählt er. Als er mit 14 seine letzte Straftat begangen hatte, kam er erst nach Arnsdorf und schließlich in die Kinderarche nach Seyde. Er war damals verunsichert, hatte Angst vor allem Neuen. „Aber es war wichtig, dass er aus seiner damaligen Clique herausgekommen ist“, sagt Annette Bracklow-Junge, die damals schon als Erzieherin in der Kinderarche in Seyde gearbeitet hat.

Gelernt, Ordnung zu halten, Aufgaben zu machen

Die Erzieher mussten aufpassen, dass der Junge auch in die Schule gegangen ist. Mehr als einmal ist es passiert, dass er zwar in Seyde in den Bus eingestiegen, dann aber sitzen geblieben und bis Dresden durchgefahren ist. „Wir haben ihn dann in die Schule begleitet, erst mit dem Bus, dann sind wir hinterhergefahren, um zu sehen, ob er richtig ausgestiegen ist“, erinnert sich Bracklow-Junge.

Die Mühe hat sich gelohnt. „Hier habe ich gelernt, Ordnung zu halten, meine Aufgaben zu machen“, sagt Dorn.

Rene Dorn (2.v.l.) besucht seine ehemalige Wohngruppe in Seyde. Hauswirtschafterin Regina Walter (li.) und Erzieherin Annette Bracklow-Junge kennen, seit er vor 25 Jahren hier gewohnt hat. Julia Mauersberger (2.v.r.) leitet heute die Wohngruppe.
Rene Dorn (2.v.l.) besucht seine ehemalige Wohngruppe in Seyde. Hauswirtschafterin Regina Walter (li.) und Erzieherin Annette Bracklow-Junge kennen, seit er vor 25 Jahren hier gewohnt hat. Julia Mauersberger (2.v.r.) leitet heute die Wohngruppe. © Egbert Kamprath

Er hat sich dann wohlgefühlt in dem Haus im Erzgebirge. Es ist ein ehemaliges Bauernhaus, das zu DDR-Zeiten als Ferienheim der HO Bautzen genutzt wurde, berichtet Regine Walther. Sie ist seit Bestehen des Hauses als Wirtschafterin für das leibliche Wohl der Kinder verantwortlich. Nach der Wende kaufte ein Privateigentümer das Haus und vermietet es an den Verein „Kinderarche Sachsen“, der hier die therapeutische Wohngruppe betreibt. Acht Kinder können hier Platz finden und seit Gründung der Wohngruppe vor 25 Jahren hat die Einrichtung insgesamt 94 Kinder betreut.

René Dorn ist einer von ihnen. Er hat später ein Fahrrad bekommen und von Seyde aus viele Ausflüge in die Umgebung gemacht. Er hat sich dann richtig wohlgefühlt, bis er nach zwei Jahren die Wohngruppe verlassen hat.

Mit dem Führerschein konnte er als Fahrer arbeiten

Sein Lebensweg danach war immer noch nicht geradlinig. Eine Lehre hat er abgebrochen. Er hatte verschiedene Jobs. Nachdem seine Mutter gestorben war, löste das bei ihm wieder eine Krise aus, die er in einer Tagesklinik bewältigte.

Mit dem Geld aus der Erbschaft seiner Mutter bezahlte er die Fahrschule. Nun besaß er einen Führerschein, konnte als Fahrer arbeiten, was er immer gewollt hatte. Aber auch hier musste er Hürden überwinden. Bei einem Pizzadienst musste er fast sieben Tage die Woche durcharbeiten. Das hielt er nicht durch und kündigte. Dann arbeitet er beim Behindertenfahrdienst der Malteser auf Stundenbasis, erst als mitfahrender Betreuer, dann selbst als Fahrer.

Der Kontakt in die Wohngruppe hält seit 25 Jahren

Seit vergangenem Jahr hat er eine feste Anstellung als Taxifahrer. Das sollte ihm auch ein besseres Einkommen bringen, aber in der Corona-Pandemie blieb das niedriger als erwartet. Jetzt hofft Dorn auf die Zeiten nach der Pandemie.

Den Kontakt in die Wohngruppe nach Seyde hat er in all den Jahren gehalten. Annette Bracklow-Junge bekommt regelmäßig zum Geburtstag einen Anruf. Und jetzt hat er auch wieder vorbeigeschaut, 25 Jahre nachdem er selbst zum ersten Mal hier angekommen ist.

Kinderarche hat 40 Wohngruppen in ganz Sachsen

Das war 1996. Die Kinderarche als Verein hatte das Kinder- und Jugendhilfezentrums "Oberlößnitz" Radebeul betrieben und kurz vorher in Seyde eine Außenwohngruppe gegründet. Hier war der Rahmen ruhiger und familiärer als in dem großen Heim. Heute betreibt die Kinderarche in ganz Sachsen 13 Kindertagesstätten und 40 Wohngruppen. Die zwei nächstgelegenen sind in Lichtenau und Niederbobritzsch, informiert Julia Mauersberger, die Leiterin dieser Wohngruppen.

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Das Angebot in Seyde ist vor allem für Kinder geeignet, die Ruhe brauchen oder Abstand zu ihrer bisherigen Umgebung gewinnen sollen. Dabei hilft ihnen oft der Umgang mit Tieren wie Hasen oder Schafen. Der schlechte Handyempfang in Seyde ist für die Entwicklung der Kinder dabei oft hilfreich.

Derzeit haben Erzieher und Kinder an einem gemeinsamen Projekt: 25 Jahre Wohngruppe Seyde. „Wir werden mit geladenen Gästen feiern, die Erzieher mit den Kindern, unsere Therapeuten bereiten verschiedene Angebote vor“, erzählt Julia Mauersberger. „Das wird ein Sommerfest im Juli, für das wir auf gutes Wetter hoffen.“ Das kann für die Kinder eine gute Erinnerung werden, so wie sie auch René Dorn an Seyde hat.