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Treibjagd im Osterzgebirge: Dascha geht steil

Der Wald wird immer dichter. Um Wild aufzutreiben, sind Hunde unentbehrlich. Ein kleiner Dackel mischt den Bärenfelser Spitzberg auf.

Von Jörg Stock
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"Die Jagd wird weiblicher." Kristina Funke und ihre Dackeldame Dascha erklimmen den Ansitz auf dem Bärenfelser Spitzberg. Gleich geht das Treiben los.
"Die Jagd wird weiblicher." Kristina Funke und ihre Dackeldame Dascha erklimmen den Ansitz auf dem Bärenfelser Spitzberg. Gleich geht das Treiben los. © Egbert Kamprath

Dascha bellt. 66 Laute die Minute. Wir hören es nicht, aber die App auf dem Handy zählt mit, dank Sensor an Daschas Halsband. Kreuz und quer zieht der Hund seine Spur übers Display, auf einem Fleck jenseits der Kuppe. Da ist was im Busche, sagt Kristina Funke, womöglich Rotwild. Große Hirsche lassen sich von kleinen Dackeln nur schwer beeindrucken. Aber Dascha ist hartnäckig. "Irgendwann verlieren sie die Nerven."

Nerven, Geduld und das entscheidende Stück Glück, darum geht es bei der Treibjagd, die jetzt Saison hat. Der Sachsenforst, größter Waldbewirtschafter im Freistaat, setzt jedes Jahr um die 250 solche Bewegungsjagden an, bei denen die Jäger systematisch im Gelände postiert werden, während Treiber und Hunde ihnen die Beute zuspielen.

"Unter schwierigen Bedingungen die Jagd zum Erfolg führen." Referent Marcel Thomae organisiert Drückjagden im Forstbezirk Bärenfels.
"Unter schwierigen Bedingungen die Jagd zum Erfolg führen." Referent Marcel Thomae organisiert Drückjagden im Forstbezirk Bärenfels. © Egbert Kamprath

Seit mehr als dreißig Jahren geht Waldbau so: verschiedene Baumarten, verschiedene Altersstufen, verschiedene Etagen. Millionen kleiner Bäume wurden unter die großen gepflanzt, der natürliche Nachwuchs wurde gefördert. Reh und Hirsch haben mehr zu fressen und mehr Plätze zum Verstecken. Das fördert ihre Vermehrung, was wiederum den Druck auf die Bäume erhöht, die angeknabbert und abgeschält werden.

Zukunftswald mit dem Gewehr verteidigen

Jagd muss daher sein, sagt Utz Hempfling, der Landesforstpräsident. Mit der Bejagung stelle man sicher, dass der Waldumbau, aber auch die Wiederbewaldung der vielen Schadflächen gelinge. "Zu hohe Wildtierbestände können die Anstrengungen der Forstleute, vielfältige Wälder für kommende Generationen aufzubauen, vereiteln."

Der Schnee hat den Hochsitz in Beschlag genommen. Kristina Funke zückt den Besen und schafft sich freie Bahn.
Der Schnee hat den Hochsitz in Beschlag genommen. Kristina Funke zückt den Besen und schafft sich freie Bahn. © SZ/Jörg Stock

Ein Schwerpunkt der Wildschäden in der Region Weißeritz und Elbsandstein ist laut Sachsenforst das Osterzgebirge. Die meisten der über zwanzig Treibjagden, die der Forstbezirk Bärenfels dieses Jahr abhält, finden in den oberen Lagen statt, dort, wo die Rothirsche ihr Revier haben. So ist es auch heute. Marcel Thomae, Jagdorganisator des Forstbezirks, hat 75 Schützen, 20 Treiber und 25 Stöberhunde versammelt, um Waldgebiete im Pöbeltal und südlich der Talsperre Lehnmühle zu bejagen, etwa acht Quadratkilometer Fläche.

Die Wilddichte im Forstbezirk schätzt Thomae im Großen und Ganzen als passend ein. Die maßgeblichen Baumarten könnten weitgehend ohne Abwehrmaßnahmen wachsen. Weißtannen jedoch müssten stellenweise noch geschützt werden. Ihre Wipfeltriebe behandelt man mit Schaffett, was sie ungenießbar macht. Das Rotwild ist eine Herausforderung, räumt der Forstmann ein. "Da müssen wir dran bleiben."

Hund im Handy: Mittels Tracker kann Jägerin Funke genau sehen, was ihr Hund jenseits des Bärenfelser Spitzbergs treibt.
Hund im Handy: Mittels Tracker kann Jägerin Funke genau sehen, was ihr Hund jenseits des Bärenfelser Spitzbergs treibt. © SZ/Jörg Stock

Kristina Funke ist eine, die dran bleibt, mit Dascha, ihrer sechsjährigen Dackeldame. Der Hund ist ein Eigengewächs der Försterin. Daheim in Schellerhau betreibt sie die Zucht. Sie macht auch im Sächsischen Teckelklub mit und urteilt über die Gebrauchsfähigkeit von Dackeln als Jagdhelfer. Die Qualität der Rasse steht für sie außer Frage. "Dieser unbändige Findewille begeistert mich."

Ein Dackel macht Hockstrecksprünge

Heute sind die Bedingungen hart. Die Schneeschicht in diesem Waldstück am Bärenfelser Spitzberg ist so dick, wie der Dackel hoch ist. Nach menschlichen Maßstäben macht Dascha ununterbrochen Hockstrecksprünge. Und das schon seit einer Stunde. Während der Hund gut dreihundert Meter entfernt mit dem Schnee kämpft, kämpfen wir, im schneidenden Wind auf der Kanzel sitzend, mit der Kälte.

"Die Nerven behalten." Reporter Jörg Stock wartet auf den Knall. Diesmal versperrt der Waldnachwuchs Jägerin Funkes Schussfeld.
"Die Nerven behalten." Reporter Jörg Stock wartet auf den Knall. Diesmal versperrt der Waldnachwuchs Jägerin Funkes Schussfeld. © Egbert Kamprath

Frost ist gar nicht so schlecht, findet Kristina Funke. Da bleibt man munter. Aufgeregt wegen der Jagd ist sie, anders als ihr Hund, nicht mehr. Das war vor 25 Jahren noch anders, als ihr Jagdschein frisch und der erste Rehbock geschossen war. Beim Aufbrechen des Tiers floss auch eigenes Blut. Vor lauter Aufregung war die Messerklinge im Daumen gelandet.

Wenn schon Fleisch, dann Wild

Verlassen hat das Jagdfieber die Försterin keineswegs. Wenn sie Wild sieht, kommt es mit Macht zurück. Ein Gefühl, das sich schwer beschreiben lässt. Jedenfalls ist es gut, es zu haben. "Das zeigt, dass man nicht abgestumpft ist", sagt sie, "dass man Achtung vor dem Tier hat." Würde sie das alles kaltlassen, sie würde nicht mehr zur Jagd gehen. Eigentlich keine Option. Tage wie heute empfindet sie als Privileg. "Da muss man nicht im Büro hocken."

Die Bärenfelser Jagd erbringt dreimal Rotwild und 16 Rehe. Traditionell wird den erlegten Tieren der letzte Bissen ins Maul gelegt.
Die Bärenfelser Jagd erbringt dreimal Rotwild und 16 Rehe. Traditionell wird den erlegten Tieren der letzte Bissen ins Maul gelegt. © Egbert Kamprath

Kristina Funke arbeitet im Forstbezirk als Sachbearbeiterin und Waldpädagogin. Aufgewachsen bei Dohna, wollte sie eigentlich in die Landwirtschaft, in den Obstbau, so wie die Eltern. Wenn sie jetzt hier auf dem Ansitz hockt, findet sie, ist sie vom Landwirtsberuf gar nicht weit weg. "Wir nutzen eine natürliche Ressource, aus der ein tolles Produkt wird." Auf Funkes Esstisch ist es Usus: Wenn Fleisch, dann Wild.

Jagdschein für den Hund gemacht

Jäger gibt es im Landkreis immer mehr. 2017 waren es gut 1.100. Heute sind es fast 1.500 Waidmänner und Waidfrauen. Die Jagd wird weiblicher. Kristina Funke spricht von etwa 15 Prozent Jägerinnen im Forstbezirksbereich. Die Lust auf Natur und auf ein gesundes Lebensmittel fördern ihrer Meinung nach den Trend. Aber auch der Hund, speziell bei den Frauen. Als Hundeprüferin erlebt sie Frauen, die den Jagdschein praktisch ihrem Hund zuliebe gemacht haben.

Beim Verblasen des Wildes: Daniel Siebeneicher, Stephan Göbel und André Patsch (v.r.) sorgen mit ihren Hörnern für das richtige Ambiente.
Beim Verblasen des Wildes: Daniel Siebeneicher, Stephan Göbel und André Patsch (v.r.) sorgen mit ihren Hörnern für das richtige Ambiente. © Egbert Kamprath

So ist das mit der Treibjagd: Lange kommt nichts, und dann plötzlich Action: Ein Reh, eine Ricke, läuft geradewegs auf unseren Hochsitz zu. Jagdfieberzeit! Kristina Funke, eben noch reglos im dicken Mantel eingemummt, hat schon die Büchse im Anschlag und schießt - doch nicht. Das Tier hat genau hinter einer dicken Fichte gestoppt und geht keinen Meter mehr.

Immer stehen die Rehe hinter Bäumen. Die Försterin kennt das. "Ich weiß nicht, wie die das machen." Sie lauert. Das Reh zieht nach links, jetzt von kleinen Fichten gedeckt. Die Mündung des Gewehrs wandert mit, wandert auch mit, als das Tier zwischen Ebereschenstangen steht. Wieder kein Schuss möglich. Das Geäst könnte die Kugel abfälschen und wer weiß wohin leiten.

"Nicht geschossen ist auch gejagt." Kristina Funke und Dackel Dascha machen sich diesmal ohne Beute auf den Heimweg.
"Nicht geschossen ist auch gejagt." Kristina Funke und Dackel Dascha machen sich diesmal ohne Beute auf den Heimweg. © SZ/Jörg Stock

Nach zwei, drei Minuten ist das Ringen entschieden. Das Reh ist weg. Ärger bei der Jägerin? Nein, sagt Kristina Funke. Hätte sie die Nerven verloren, einen blöden Schuss angebracht, das Tier verletzt, eine Nachsuche verschuldet, dann hätte sie sich geärgert. Pech nur für Dascha, die auf der Rehfährte hockstreckspringend angebellt kommt. "Tut mir leid, dass ich deine Arbeit nicht belohnt habe." Dieser Jagdtag wird kein Fangtag mehr. Aber Jagdtage kommen noch viele.

Wild aus den Wäldern des Landkreises kauft man unter anderem hier oder hier.