Dippoldiswalde
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Nach der großen Flut: Als die Talsperre Malter gebaut wurde

Viele kennen die Anlage bei Dippoldiswalde als Urlaubsparadies. Seit 110 Jahren steht nun die Malter-Talsperre, gebaut wurde sie damals nur aus einem bestimmten Grund.

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Blick auf Niedermalter vor der Zerstörung. Ansichtskarte um 1900.
Blick auf Niedermalter vor der Zerstörung. Ansichtskarte um 1900. © Repro: Matthias Schildbach

Von Matthias Schildbach

Sie ist ein Ort der schönsten Sommervergnügen geworden, Generationen erinnern sich an Badevergnügen, Campingplatzaufenthalte und herrliche Ferienerlebnisse in ihrer Umgebung: unsere „Sperre“, die Talsperre Malter. Kaum einer weiß mehr, dass da, wo heute Fische schwimmen, einst das Dorf Niedermalter gestanden hat und sich der Bau der Talsperre gerade zum 100. Male jährt.

Seit jeher war der Wasserlauf der Roten Weißeritz von großen Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet. Es gab Sommer, da war die bei Zinnwald-Georgenfeld entspringende Rote Weißeritz nahe am Versiegen. Dann traten in periodischen Abständen Hochwasser auf, so in den 1840er-Jahren und 1858. Die Jahre 1862 und 1863 waren wiederum derart trocken, dass sich die Bewohner entlang des Dippoldiswalder Obertorplatzes und der Herrengasse beim Stadtrat über wenig und schlechtes Wasser beklagten. Die Pumpe am Obertorplatz und die alten hölzernen Rohrleitungen versagten immer wieder. Die Mühlen- und Industrieanlagenbesitzer, derer es viele im „Tal der Mühlen“ entlang der Weißeritz gab, schlossen sich zusammen und beantragten beim königlichen Finanzministerium den Bau von Rückhalteteichen, um Wasserreservoirs zu schaffen.

1866 beschloss die Stadt, eiserne Rohrleitungen im Wert von 15.000 Talern zu bauen. Die kriegerischen Ereignisse des Jahres – am 15. Juni erklärte Preußen Sachsen den Krieg – verzögerten jedoch die Ausführung. Im November 1867 waren sie dann fertiggestellt, mit einer Festlichkeit auf dem Rathaus.

Fast 30 Jahre sollte es dauern, bis das Thema wieder aktuell wurde. 1892 wurde ein Verein gegründet, der zum Ziel hatte, das Wasser der Weißeritz an verschiedenen Stellen anzustauen und diese Maßnahmen gegenüber der sächsischen Staatsregierung einzufordern. Damit sollten Wasserreserven gebildet, vor Hochwasser geschützt und die immer mehr in den Fluss abgeleiteten Fabrikabwässer verdünnt werden. Im Februar 1893 debattierte auch einmal die Kreishauptmannschaft, die damalige Landkreisverwaltung, über das Anliegen, doch erst nach dem verheerenden Juli-Hochwasser 1897 rutschte das Anliegen auf der Prioritätenliste ganz nach oben.

Ausschlaggebendes Julihochwasser 1897

Es war ein mieser Sommer gewesen, den Bauern verdarb die Ernte schon auf den Feldern. Seit drei Wochen regnete es. Am 30. Juli 1897 stieg der Pegel der Weißeritz immer schneller, inzwischen 20 cm pro Stunde. In Schmiedeberg riss der Fluss eine eiserne Brücke mit sich und unterbrach die Telegrafenverbindung nach Dippoldiswalde. Doch das sollte erst der Anfang sein. Seit Menschengedenken, so versicherte ein 85-jähriger Dippoldiswalder Bürger dem Reporter der Weißeritz-Zeitung, habe es solch ein Hochwasser nicht gegeben. Von Schellerhau bis hinunter nach Löbtau richtete der über die Ufer getretene Fluss massiven Schaden an. Brücken waren fortgerissen, Häuser eingestürzt. Die Weißeritz hatte das Bachbett verlassen, Kies und Geröll abgelagert und sich neue Wege gegraben.

„Besonders die Maltermühle und Kaufmann Lotzes Haus hatten den Hauptanprall abzuhalten. Letzteres büßte bald die Hälfte seiner Vorderfront ein, sodass Laden und Stuben dem Auge wie bei einer Puppenstube offen daliegen.“ So berichtete die Weißeritzzeitung am 3. August 1897 exemplarisch über Niedermalter in einer Notausgabe. Allein im Rabenauer Grund sollen 15 Bahnbrücken weggerissen worden sein, die gesamte Trasse der Weißeritztalbahn war, nur 16 Jahre nach ihrer Entstehung, völlig demoliert. Eine der Lokomotiven parkte auf sicherem Gleis zwischen Spechtritz und Seifersdorf ruhig auf den Schienen, „sie war mit ihrer Bedienungsmannschaft allerdings in einer verzweifelten Lage, denn von ihr aus sind die Schienen mit den Schwellen einige Meter weit vom Bahndamm abgedrückt worden und führen direkt ins Wasser unter die Brücke.“

Eindruck einer Katastrophe: Momentaufnahme vom Hochwasser 1897 in Deuben.
Eindruck einer Katastrophe: Momentaufnahme vom Hochwasser 1897 in Deuben. © Repro: Matthias Schildbach

Dieses Unwetter hatte in der ganzen Region, vor allem zwischen Weißeritztal bis hinüber ins Elbsandsteingebirge für entsetzliche Schäden gesorgt. Entlang der Roten Weißeritz waren 320 Häuser vernichtet, 19 Menschen getötet und 6 Millionen Mark Schaden angerichtet. Das entspräche in etwa heutigen 30 bis 40 Millionen Euro.

Die Staatsregierung zog ihre Schlüsse aus der Katastrophe. Ab 1901 wurden unter dem Talsperrenkommissar Dr. Arnold Streit (1867-1940) Untersuchungen im Weißeritztal angestellt, eine Talsperre anzulegen. In Betracht kamen die Standorte Schellerhau, das Pöbeltal, Malter und Oelsa. Neben dem Hochwasserschutz sollten bei einer neu entstehenden Talsperre auch die Brauchwasserbereitstellung und Energieerzeugung eine Rolle spielen.

Ansichtskarte von der Baustelle: Nordseite der Staumauer. Links kommt der Umlaufstollen aus dem Berg, der die Weißeritz während der Bauarbeiten an der Mauer vorbeileitete.
Ansichtskarte von der Baustelle: Nordseite der Staumauer. Links kommt der Umlaufstollen aus dem Berg, der die Weißeritz während der Bauarbeiten an der Mauer vorbeileitete. © Repro: Matthias Schildbach

Großbaustelle Malter

1908 wurde die Weißeritztalsperrengesellschaft gegründet und in Malter ein Talsperren-Bauamt eingerichtet. Ein Jahr später, 1909, begann der Bau. Das Erste, was entstand, war der Vortrieb eines 200 Meter langen Umlaufstollens durch den Fels, durch den die Weißeritz während der Bauarbeiten geleitet wurde.

Unausweichlich wurde für die Bewohner von 45 Gebäuden und drei Mühlen - der Roten Mühle, der Tennertmühle und der Malter-Mühle von Niedermalter - der Talsperrenbau zu einem traurigen Erlebnis. Ihre Häuser standen im Bereich des Staubeckens. Auch einzelne Gebäude, die zu Paulsdorf, Seifersdorf und Dippoldiswalde gehörten, waren betroffen. Sie wurden enteignet und entschädigt, es mussten 135 Hektar Land durch die Talsperrengesellschaft angekauft werden. Dafür wurden 1,35 Millionen Mark aufgewendet, ein stattliches Vermögen, das heute wohl an die 10 bis 15 Millionen Euro reichen würde. Die meisten Betroffenen fanden in den Nachbarorten ein neues Zuhause.

1910 wurde die Weißeritzbahn auf einer Länge von sieben Kilometer aus dem Weißeritztal hinauf auf trockenes Gelände verlegt. Die neue Trasse lag zumeist parallel zur alten. Aufgrund des bergigen Geländes mussten dafür 140.000 Kubikmeter Erde bewegt werden, vier Bahnbrücken und die Bahnhöfe Seifersdorf und Malter neu errichtet werden. Am 15. April 1912 fuhr der erste Zug auf neuem Gleis.

Die Architekten der 36 Meter hohen und 193 Meter breiten Staumauer waren die Dresdner William Lossow (1852-1914) und dessen Schwiegersohn Max Hans Kühne (1874-1942), sie hatten sich gegen 51 konkurrierende Vorschläge durchsetzen können. Aus Kühnes Hand stammten Entwürfe vieler heute noch bekannter Gebäude und Bauwerke, wie das Windberg-Denkmal in Freital, die Zinnwalder Kirche, das Dresdner Schauspielhaus oder der Leipziger Hauptbahnhof. Im Herbst 1911 wurde der Grundstein für die Staumauer gelegt. Als Material diente Biotitgneis, der aus einem Steinbruch nahe der Staumauer Malter gewonnen wurde. Auf die Innenseite der Steinmauer wurde eine 70 Zentimeter dicke Betonschicht aufgetragen.

Die Baustelle im Jahr 1911. Links im Bild wird am Fundament der Staumauer gearbeitet. Die Weißeritz verschwindet im gegenüberliegenden Berghang, sie wurde durch einen 200 Meter langen Umlaufstollen an der Staumauer vorbeigeleitet.
Die Baustelle im Jahr 1911. Links im Bild wird am Fundament der Staumauer gearbeitet. Die Weißeritz verschwindet im gegenüberliegenden Berghang, sie wurde durch einen 200 Meter langen Umlaufstollen an der Staumauer vorbeigeleitet. © Rechte: Deutsche Fotothek

Die neue Straßentrasse wurden westlich auf die Hänge verlegt, dafür entstanden zwei neue Brücken. Teils sind noch heute alte Wegeverläufe erkennbar: Die Straße „Am Bad“ in Paulsdorf, die heute zum Erlebnisbad führt, verlief vor dem Talsperrenbau hinunter ins Tal zur Malter-Mühle. Ihr Standort war einst dort, wo heute die Gäste des Strandbades Paulsdorf baden, etwa 60 Meter vom Strand entfernt. Oder da, wo heute die von Seifersdorf kommende Straße am Strandbad ankommt, führte die Straße steil hinunter zu den Häusern von Niedermalter, wo die meisten von ihnen standen.

Auf der Baustelle arbeiteten zeitweise über 1.000 Arbeiter, sie sollen aus mehr als zehn Ländern Europas gekommen sein. Vor allem bei der Errichtung der am Felshang gelegenen Stützwände und Bahnbrücken bediente man sich italienischer Spezialisten. Für den Bau der beiden Talsperren Klingenberg und Malter, sie entstanden fast zeitgleich, wurden Anleihen im Umfang von 14,3 Millionen Mark ausgegeben. Die Staatsregierung gewährleistete die Verzinsung und Tilgung für einen Zeitraum von 80 Jahren, als bis in die 1990er-Jahre.