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Pöbeltal: Darum werden die Zapfen der Weißtanne geerntet

Die Samen der Weißtanne sind gefragt, denn der Baum spielt eine wichtige Rolle im Waldumbau. Der größte Altbestand Sachsens steht im Pöbeltal.

Von Siiri Klose
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Zapfenpflückerin Caroline Hunger bereitet ihre Kletterausrüstung vor.
Zapfenpflückerin Caroline Hunger bereitet ihre Kletterausrüstung vor. © Egbert Kamprath

Caroline Hunger prüft, ob der große Sack richtig an ihrem Klettergurt befestigt ist, zieht noch einmal die Schlaufen fest, und dann geht's los. Als wäre es kaum anstrengender als eine Leiter, steigt sie im Seil nach oben, ein wippender Schritt nach dem anderen. Den Baum berührt sie dabei nicht.

"Baumschonendes Klettern. Keine Steigeisen, keine Verletzungen der Rinde", hatte vorhin schon Thomas Tunger erklärt, der schon seit 30 Jahren solche Baumwipfel-Touren für den Sachsenforst unternimmt und das Dreierteam anführt, das dieses Jahr im Pöbeltal auf Samenernte gehen.

Nachwuchs verträgt viel Schatten

Denn die Weißtannen hier sind sachsenweit einzigartig: "Im Pöbeltal wächst der größte Altbestand von Weißtannen in Sachsen", erklärt Kristine Funke, Sachsenforst-Sprecherin beim Forstbezirk Bärenfels. Ungefähr 150 Jahre alt sind die Bäume. In den achtziger Jahren haben sie den sauren Regen überlebt, und die Borkenkäfer, die die Fichten befallen, interessieren sich nicht für sie.

Um Zapfen zu pflücken, muss Thomas Tunger bis ganz hoch in den Wipfel.
Um Zapfen zu pflücken, muss Thomas Tunger bis ganz hoch in den Wipfel. © Egbert Kamprath
Dank ihrer Flügel samen die Weißtannen weit aus.
Dank ihrer Flügel samen die Weißtannen weit aus. © Egbert Kamprath
Zapfenplücker Paul Winter beim Aufstieg - ungefähr eine viertel Stunde braucht er bis oben.
Zapfenplücker Paul Winter beim Aufstieg - ungefähr eine viertel Stunde braucht er bis oben. © Egbert Kamprath
In der Scheune vom Forstamt Bärenfels lagern die Zapfen bis zum Abtransport.
In der Scheune vom Forstamt Bärenfels lagern die Zapfen bis zum Abtransport. © Egbert Kamprath

Kristina Funke zeigt auf den Waldboden, den unzählige kleine Tannenbäumchen besiedeln: "Die haben sich selbst ausgesät. Im Schatten der Altbäume wachsen sie kaum. Aber sobald sie mehr Licht kriegen, fangen sie an, sich zu strecken."

Richtiger Erntezeitpunkt ist eine Kunst

Vor allem diese Schattentoleranz der Weißtannen macht sie jetzt zu einem der wichtigsten Säulen für den Waldumbau: "Sie sorgen für Verjüngung unter dem Altbestand." Weißtannen bilden eine Herzwurzel aus und sind damit nicht derart abhängig von Regen wie die flach wurzelnden Fichten. "Nur in der Kahlschlagwirtschaft waren die Weißtannen nicht konkurrenzfähig", sagt Funke. Sie wuchsen einfach nicht so schnell. Deshalb sind sie aus vielen Wäldern verschwunden.

Den richtigen Zeitpunkt für die Ernte zu finden, ist eine Kunst: Einerseits müssen die Samen reif sein. Doch anders als Douglasien-, Kiefern-, Fichten- oder Lärchenzapfen wird sich kein Weißtannenzapfen auf dem Waldboden finden lassen. "Die fallen nicht im Ganzen runter, sondern zerfallen am Baum", sagt Kristina Funke. Deshalb der Aufwand mit dem Hochsteigen.

Zweite Ernte in Folge

Wegen des trockenen Sommers haben zwar Eichen und Buchen kaum Früchte angesetzt, aber in die Weißtannen kann der Sachsenforst gerade bereits das zweite Jahr in Folge Zapfenpflücker schicken. "Eigentlich tragen sie nur alle zwei Jahre", sagt Funke. Zur Demonstration hat sie einen Zapfen mitgebracht und aufgeschnitten. "Hier lässt sich gut erkennen, dass dieses Jahr viele Hohlräume dabei sind." So üppig wie letztes Jahr, als die Ausbeute bei 2,1 Tonnen dicht mit Samen gefüllte Zapfen lag, wird es dieses Jahr nicht werden.

Die Ernte lohnt sich trotzdem: 100 Kilogramm pro Tag sammelt ein Pflücker. Nach den fünf Pflück-Tagen liegen 1,5 Tonnen in der Scheune vom Forstamt Bärenfels und duften intensiver als jedes Fichtennadelschaumbad. Klebrig vor Harz ist die grüne Oberfläche, und tatsächlich zerfallen die Zapfen sofort in einzelne Schuppen und Samenkörner, sobald man sie anfasst.

Nach drei bis vier Jahren als Tännchen zurück in den Wald

Caroline Hunger ist inzwischen schon außer Rufweite und ihrem Ziel ungefähr 30 Meter weiter oben in der Baumkrone deutlich näher gekommen. Dort oben lässt die Weißtanne ihre Tannenzapfen wachsen. Hunger holt einen der gefalteten Säcke aus ihrem Sack holen und fängt an, ihn mit Zapfen zu füllen. "Wenn einer voll ist, werfen wir ihn einfach runter", hatte sie vorhin noch gesagt. "Natürlich warnen wir vorher."

In Bärenfels erhalten die Zapfen noch ein Stammzertifikat von der unteren Forstbehörde, das noch einmal den genauen Ernteort ausweist. Denn damit ist auch gesagt, auf welche Klima- und Bodenbedingungen die Pöbeltaler Weißtannen angepasst sind und wo sie daher auch am besten wachsen werden.

Die nächste Station ist die Staatlichen Samendarre in Flöha, um Zapfen von Samen zu trennen. Drei bis vier Jahre wachsen die neuen Weißtännchen dann in Baumschulen heran. Theoretisch könnte der Sachsenforst den Samen auch an andere Bundesländer abgeben, praktisch braucht er aber nahezu alles selbst: "Allein im Forstbezirk Bärenfels pflanzen wir pro Jahr eine Million Bäume", sagt Funke. Darunter sind auch 120.000 Weißtannen. Und natürlich die, die im Schatten der Alten im Pöbeltal darauf warten, dass ihre Stunde zum Großwerden kommt.