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So werden Politiker aus der Region Döbeln angefeindet und so reagieren sie

Die Zahl der Anfeindungen, Drohungen und Übergriffe auf Lokalpolitiker steigt. Was die „Allianz gegen Hass und Rassismus“ dagegen tun will.

Von Heike Heisig & Sylvia Jentzsch & Lea Heilmann
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Im Februar wurde ein Grünen-Büro in Leipzig angegriffen, ähnliches ist auch in Mittweida passiert. Doch die Übergriffe fangen nicht erst bei Sachbeschädigung an, sondern schon bei Beleidigungen und Bedrohungen.
Im Februar wurde ein Grünen-Büro in Leipzig angegriffen, ähnliches ist auch in Mittweida passiert. Doch die Übergriffe fangen nicht erst bei Sachbeschädigung an, sondern schon bei Beleidigungen und Bedrohungen. © Lausitznews

Region Döbeln. Im Februar organisierte der SPD-Lokalpolitiker Michael Müller in Thüringen eine Demonstration gegen Rechtsextremismus Zwei Wochen später verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf sein Haus. Ungefähr in dem gleichen Zeitraum wurde das Büro von Bernhard Herrmann (Grüne) in Mittweida angegriffen. Die Scheibe wurde an mehreren Stellen beschädigt.

Angriffe, Drohungen, Übergriffe auf Lokalpolitiker – die Zahl der Anfeindungen ist in den vergangenen Jahren mehr geworden, sagte Doktor Alexander Yendell von der Universität Leipzig. Zwischen 2014 und 2016 führte er eine Bevölkerungsumfrage durch.

Die wichtigste Erkenntnis: Vor allem Rechtsextreme sind gewaltbereiter und das Vertrauen in staatliche Institutionen noch geringer geworden. „Das hat sich mit der Pandemie verschärft. Zur Zeit gibt es ja auch weitere Konflikte wie Krieg und Inflation“, sagte Yendell.

Landrat Dirk Neubauer erhält Drohmails

Die Übergriffe fangen aber nicht erst bei Sachbeschädigungen an, sondern auch schon bei Drohungen oder Beleidigungen. Auch das mussten schon einige Kommunalpolitiker aus der Region Döbeln erleben. So berichtete Landrat Dirk Neubauer (parteilos) von „digitaler Post“: „Da ist von Heimsuchung zu Hause die Rede oder: ‚ich weiß, wo dein Haus wohnt‘ oder ‚du armseliges Stück Sch...“.

„Und wenn man das öffentlich macht, um darauf hinzuweisen, was hier passiert, wird man wieder beleidigt“, sagte der Landrat weiter. Waldheims Bürgermeister Steffen Ernst (FDP) erzählte von verbalen Angriffen. Dass er bedroht werde, sei aber übertrieben.

Dem Bürgermeister von Roßwein, Hubert Paßehr (CDU) , ist eine Situation nachhaltig im Kopf geblieben. Am 3. Oktober 2022 hat er auf der Montagsdemo gesprochen, war erst frisch im Amt. „Ich habe das Wort Demokratie kaum ausgesprochen, da war es nicht mehr so friedlich auf dem Markt“, erinnerte er sich. Das sei schon eine sehr ungute Erfahrung gewesen, sagte er weiter, aber erst ihm Nachhinein habe er sie als bedrohlich empfunden.

Paßehr betonte aber auch, dass dies keine Roßweiner gewesen seien und es vor allem darum ging, Stimmung zu machen. Der Großteil der Bürgermeister in der Region sei glücklicherweise noch keinen Bedrohungen ausgesetzt gewesen. Gleichwohl nehmen sie aber natürlich das, was politisch Engagierten passiert, wahr.

Übergriffe könnten Menschen davon abhalten, sich politisch zu engagieren

So sei die Familie von Leisnigs Bürgermeister Carsten Graf nach dem mutmaßlichen Brandanschlag auf das Haus von Michael Müller schon verunsichert beziehungsweise beunruhigt gewesen. „Wir sollten wirklich einmal überlegen, wie wir miteinander umgehen“, appellierte er.

Professor Alexander Yendell sieht die Zunahme von Übergriffen und Beleidigungen gerade in der Kommunalpolitik als sehr problematisch an. „Es könnte einige abhalten, sich politisch zu engagieren oder für Ämter zu kandidieren“, so Yendell und führte weiter aus: „Gerade, wenn gute Kandidaten, die für die Gesellschaft oder Politik wichtig sind, sich nicht mehr für die Gesellschaft einsetzen, was macht das dann mit dem demokratischen Diskurs? Wenn Politiker sich nicht mehr trauen, frei zu sprechen, werden wichtige Themen überhaupt nicht mehr kommuniziert.“

Gegen die Grünen wurden laut Studien die meisten Angriffe registriert, auf Platz Zwei liegt bereits die AfD. Das zeige, dass sich Gewalt und Gegengewalt auch immer mehr verschärft haben. „Extreme haben immer das Bedürfnis, dass sich ein Gewaltkonflikt entwickelt, auch das sollte man angehen“, sagte er. So richte sich die Gewalt von links sehr oft gegen rechts. Gleichzeitig betonte er aber auch, dass die Gefahr von Linksextremismus für die Gesellschaft deutlich geringer sei als die von Rechtsextremismus.

Yendell weiß aus eigener Erfahrung, dass Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, auch sehr schnell abstumpfen, wenn es um Drohungen geht. „Man weiß, man müsste das anzeigen, weil es eine Bedrohung ist, aber dann wird man nachlässig, weil es schon so inflationär ist“, sagte er. Gerade die Prävention, um solche Angriffe zu minimieren, sei lange verschlafen worden. „Obwohl wir seit 80 Jahren wissen, dass für die Demokratie ständig etwas getan werden muss“, sagte der Professor weiter.

Mittelsachsen ist Bundesprojekt beigetreten

Um dem entgegenwirken zu können, braucht es laut Yendell mehrere Ansätze. So ist eine konsequentere Strafverfolgung genauso wichtig wie der bessere Schutz von Kommunalpolitikern. Auch die Förderung des demokratischen Diskurses sowie Bildungsprogramme zur Bekämpfung von Extremen sieht er als essenziell an.

„Es ist auch wichtig, den Menschen deutlich zu machen, was passiert, wenn sie eine rechtsextreme Partei wählen. Solche Parteien bedeuten immer Destruktivität. Rechtsextreme brauchen immer einen Feind, wenn einer nicht mehr da ist, suchen sie sich einen neuen. Da wird niemand verschont, auch sie selbst nicht“, so Yendell weiter.

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Um Kommunalpolitiker in Mittelsachsen besser zu schützen, ist der Landkreis vergangenes Jahr dem Bundesprojekt „Kommunale Allianz gegen Hass und Rassismus“ beigetreten. Nicht nur Anfeindungen gegenüber politisch aktiven Personen werden häufiger, so Neubauer. Auch gegenüber Beschäftigten der Kreisverwaltung werden immer wieder Grenzen überschritten.

So soll gemeinsam mit Beschäftigten von verschiedenen Fachbereichen an einem Übergriffsmanagement gearbeitet werden. Zudem soll mit Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen eine Tool Box entwickelt werden, die Handlungsmöglichkeiten aufzeigt und Wege eröffnet, aus belastenden Situationen herauszukommen. „Wir brauchen diese Menschen, daher wird dieses Modul ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit sein“, sagte Neubauer.