Alter Leipziger Bahnhof: Kritik an zu wenig Mitbestimmung

Dresden. Es wird noch Jahre dauern, ehe die ersten Bewohner in das neue Stadtquartier am Alten Leipziger Bahnhof einziehen werden. Die nächsten Monate aber werden entscheidend dafür sein, wie das neue Quartier aussehen wird. Wer aber darf mitreden und wer mitentscheiden? Zuerst soll eine 48-köpfige Gruppe gebildet werden.
Wer gehört zu dieser Gruppe und was macht sie?
Die Gruppe soll innerhalb von 1,5 Jahren die Vision erarbeiten, was die Planer und Architekten später umsetzen sollen. Sie besteht aus den acht Mitgliedern der Stadtratsfraktionen, aus vier Mitgliedern der Stadtbezirke Neustadt und Pieschen, und aus zwölf Vertretern der Stadtverwaltung.
Des Weiteren sollen sechs Bürger aus der Stadt Dresden mitreden dürfen. Interessierte können sich bis zum 4. Februar über die Internetseite der Stadt www.dresden.de (Stichwort "Alter Leipziger Bahnhof") um einen Platz bewerben. Die Auswahl erfolgt möglichst repräsentativ nach Alter, Geschlecht und Wohnort per Losverfahren.
Weiterhin sind die zwölf Eigentümer beteiligt sowie sechs Interessensvertreter, unter anderem vom Akteursnetzwerk Leipziger Bahnhof.
Wie können sich Bürger einbringen?
Der mehrjährige Entwicklungsprozess am Alten Leipziger Bahnhof erfolgt durch eine sogenannte "Stellvertreterbeteiligung". Das bedeutet, die Gruppe aus 48 Bürgern und Bürgerinnen entscheidet als Stellvertreter der Stadt darüber, was auf dem Gelände entstehen soll. Im Anschluss entscheidet der Stadtrat über diesen Rahmenplan. Eine aktive Mitbestimmung bleibt den Bürgern also weitestgehend vorenthalten.
Alle, die nicht in die 48-köpfige Gruppe kommen, können ihre Ideen bis zum 4. Februar per Mail an [email protected] senden. Im Herbst wird es dann eine zweitägige Planungswerkstatt auf dem Gelände geben, wo sich Bürger mit den Planern unterhalten können. Die Verantwortlichen verweisen darauf, jeder Bürger könne sich jederzeit mit Ideen an die 48-köpfige Gruppe wenden. Nebenbei wird es eine eigene Beteiligungswerkstatt für Kinder und Jugendliche geben.
Welche Ideen gibt es bisher für den Alten Leipziger Bahnhof?
Der Stadtbezirksrat Neustadt hat einen eigenen Vorschlag an Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) übergeben. Er fordert Kultur- und Freiräume für Jugendliche auf der Fläche des Alten Leipziger Bahnhofs zu errichten und bereits bestehende kulturelle Angebote wie die Blaue Fabrik oder die Hanse 3 zu erhalten.
Nicht-kommerzielle Clubs, Bandprobenräumen und Ateliers sollen auf einem Teil der Fläche priorisiert werden. Außerdem fordert der Stadtbezirksrat, den bestehenden Wagenplatz auf dem Gebiet zu tolerieren. Parks sollen von Anfang mit eingeplant werden. Der Fahrradclub ADFC Dresden erinnert daran, ein radfreundliches Quartier mit einem Radweg zwischen der Neustadt und Pieschen zu schaffen.
Welche Ansprüche hat die Stadt Dresden an das Quartier?
"Gemeinwohlorientiert, bezahlbar, familienfreundlich, grün, autoarm, generationenübergreifend, klimaneutral, identitätsstiftend, multifunktional" - all diese Adjektive soll das neue Stadtquartier erfüllen. Geplant ist eine Mischung aus Wohnen, Gewerbe und Kultur.
Derzeit prüft die Stadt bereits folgende Visionen: eine Skatehalle, ein Spielplatz, ein Jüdisches Museum, eine Kleingartensparte, einen Erinnerungsort zum Gedenken an die Shoa sowie ein Zentrallager für die Städtischen Museen. Bereits bestehende Grünanlagen sowie das denkmalgeschützte Bahnhofsgebäude sollen erhalten bleiben.

Wie sind die Reaktionen darauf?
Bei einer Veranstaltung vergangene Woche durften sich Bürger zu den Plänen äußern, 350 Interessierte nahmen daran teil. Viele lobten die Möglichkeit der Beteiligung, doch einigen geht es nicht weit genug. "Wir dürfen mitreden, aber nicht mitentscheiden", fasst ein Bürger zusammen. Ein anderer fragt, wie gemeinwohlorientiert das Areal sein kann, obwohl private Interessen im Vordergrund stehen. Einige fordern von der Stadt, Teile der Flächen zu kaufen.
Die Bewohner des Wagenplatzes äußerten sich besorgt, ob sie weiterhin dort leben können. Baubürgermeister Stephan Kühn (Grüne) hat hier auf die Schwierigkeiten in der Bauordnung verwiesen. Ausweichflächen stehen laut Kühn derzeit nicht zur Verfügung. Man wolle aber eine Lösung finden.

Wem gehört eigentlich der Alte Leipziger Bahnhof?
Die 27 Hektar große Fläche gehört zwölf Eigentümern. Darunter befindet sich als größte Eigentümerin die Firma Globus, die das Gelände an die Sachsen Energie im Tausch gegen ein Gelände an der Hamburger/Bremer Straße abgibt. Der Stadtbezirksbeirat Neustadt fordert diesbezüglich den Oberbürgermeister auf, dem
aktuellen Eigentümer kein "Rückabwicklungsrecht" im Vertrag einzuräumen.
Außerdem verlangt er von der Stadt, selbst Eigentümerin von einem Teil der Fläche zu werden. "Die Sachsen Energie hat richtigerweise immer auch das Ziel, Gewinne zu erzielen." Sie habe deshalb wenig Interesse an einer Nutzung, mit der Lärmprobleme und andere Folgen sozialer und kultureller Einrichtungen einhergehen, so der Stadtbezirksrat.
Weitere Eigentümer an der Fläche sind:
- Alter Schlachthof Immobilien GmbH & Co. KG
- Aust, Bauer & Semmelmann GbR
- Dathe
- Grüne Villa
- Kehl
- L2 Projekt
- Procom (Sanitärporzellan)
- Q1 Immobilien
- SIV Immobilien-Holding GmbH (Kaufland)
- Weisbach
- Agrotechnik