Besondere Einblicke in Dresdens Unterwelt

Dresden. Im Untergrund der Altstadt sind nicht nur Reste der alten Stadt- und der Festungsmauer erhalten. Bauleute sind dort immer wieder auf Spuren der Vergangenheit gestoßen. Die sind auch vis-a-vis der Semperoper direkt unter dem Theaterplatz erhalten. Denn dort ist Dresdens ältester Kanal, durch den heute noch Regenwasser fließt. Dass er bereits so alt ist, hat Kanalnetzchef Frank Männig von der Stadtentwässerung herausgefunden.
Der älteste Kanal unter dem Theaterplatz
Die Italiener leisteten nicht nur beim Bau der Hofkirche Wertarbeit in Dresden. Denn unter dem Theaterplatz gibt es ein noch genutztes sehr altes kleines Kanalnetz. Nach Männigs Recherchen wurde es zwischen 1739 und 1755 angelegt, als auch die Hofkirche gebaut wurde. Deren italienischer Architekt Gaetano Chiaveri hatte dafür Handwerker und Künstler aus seinem Heimatland nach Dresden geholt.
Auf dem heutigen Theaterplatz errichteten sie nach dem Prinzip der Dombauhütten zahlreiche Häuschen. Im Volksmund wurde der kleine Stadtteil mit seinen Werkstätten, Unterkünften und Schenken bald Italienisches Dörfchen genannt. "Diese italienischen Handwerker haben offenbar den Kanal mit gebaut", sagt Männig. Für die damalige Zeit liegt der aus Sandsteinquadern errichtete Hauptkanal mit drei Metern sehr tief. Die Hauptröhre ist 1,40 Meter hoch, die flacher liegenden Querkanäle 50 Zentimeter.

In den Plänen der Stadtentwässerung war für das kleine, etwa 200 Meter lange Kanalsystem das Baujahr 1871 ausgewiesen. Eine ehemalige Kollegin hatte Männig jedoch erzählt, dass es deutlich älter sein muss. Sein Forscherdrang war geweckt. „Ich habe mich danach intensiv damit befasst“, nennt der Abwasserfachmann den Ursprung. Er schaute sich alte Stadtpläne an und stellte fest, dass die Kanäle nicht zur Bebauung des Theaterplatzes im späten 19. Jahrhundert passten. Sehr wohl jedoch zur Struktur des Italienischen Dörfchens und des Morettischen Opernhauses, das daneben stand. Von dort wurde also offenbar das Abwasser durch diese Kanäle abgeleitet. Alte Stadtkarten und Ansichten würden das belegen. Später führte ein Hinweis auf einen alten Lageplan aus dem Landesamt für Denkmalpflege Sachsen zur Bestätigung dieser Vermutungen.

„100-prozentig ist damit zumindest belegt, dass der Kanal vor 1800 gebaut wurde. Die Kanalstruktur passt aber genau zur damaligen Gebäudestruktur des Italienischen Dörfchens“, erklärt der Experte. Auf dem Einstiegsschacht liegt ein gusseiserner Deckel. An der Aufschrift wird noch heute sichtbar, dass er von der Firma C.E. Rost auf dem Rosenweg in der Wilsdruffer Vorstadt stammt. 1878 wurde der Rosenweg in Rosenstraße umbenannt. Also ist der Schachtdeckel mindestens 143 Jahre alt und zählt damit zu den ältesten Dresdens.
Die Trichter-Kunst am Seetor
Seit 2011 lädt das Kunstwerk „Der Trichter“ Passanten am Dr.-Külz-Ring zum Hinabsteigen ein. Die begehbare Installation der Berliner Kunstprofessorin Franka Hörnschemeyer führt über eine Treppe, die mit einer trichterförmigen Betonwand eingefasst ist, hinab. Hinter einer Plexiglasscheibe sind an der Ecke von Dr.-Külz-Ring und Seestraße Teile des Abwasserkanals und des historischen Seetors zu sehen. Zuvor hatte es einen internationalen Wettbewerb gegeben, den die Stadt ausgeschrieben hatte.

Hinweisen soll das Werk auf eine sonst versteckte, aber bedeutende Ingenieurleistung der Dresdner. Im 19. Jahrhundert gehörte Dresden zu den ersten Städten in Deutschland, die ein Kanalsystem für das Abwasser bauten. Der freigelegte Abwasserkanal wurde bereits 1869 zur Ableitung der Abwässer zur Elbe gebaut, erklärt Kanalnetzchef Frank Männig. „Er ist ein Zeugnis der Zeit der Industrialisierung, als Dresden stark gewachsen war.“ So war die Bevölkerung von rund 61.000 im Jahr 1850 auf über 300.000 um 1900 gestiegen.

Dresden hatte im 19. Jahrhundert wichtige Verkehrsanbindungen erhalten. So wurde 1848 die Eisenbahnstrecke Dresden-Pirna als erster Abschnitt der Strecke Richtung Böhmen in Betrieb genommen. Am 6. April 1851 war die Eröffnungsfahrt der „Sächsisch-Böhmischen Staatseisenbahn“ von Dresden über Bodenbach nach Prag. Der Generalbauplan von 1862 steckte die Entwicklung der Stadt ab. Er sah die ringförmige Gliederung des Stadtgebietes mit zwei konzentrisch angelegten Ringstraßen vor. Er sollte ein unkontrolliertes Wachstum der Stadt verhindern.
„1865 entstand der Generalentwässerungsplan“, erläutert Männig. „Er enthielt auch die Konzeption für den Bau dieses Hauptkanals vom Zentrum in Richtung Südhang.“ Mit seinem Baujahr 1869 ist er einer der ältesten Kanäle Dresdens. Aber bereits in den 1880er-Jahren war er zu klein. Deshalb wurde ein größerer Kanal unter der heutigen Reitbahn- und Marienstraße in Richtung Zwinger errichtet. Dennoch ist der am „Trichter“ sichtbare alte Kanal noch heute in Betrieb. Durch ihn fließt Abwasser aus dem Gebiet der Prager Straße.
Das Abwasser-Bauwerk im alten Festungsgraben
Zwischen 2018 und 2020 hat die Stadtentwässerung ein unterirdisches Trenn- und Steuerbauwerk unter dem Rathenauplatz an der Carolabrücke errichtet. Es ist 15 Meter lang und hat ein 2,50 Meter hohes Wehr, das teils beweglich ist. Dort können bis zu 4.100 Kubikmeter Abwasser in einem großen Kanal gestaut werden. Somit wird die Elbe bei Regen vor übermäßiger Belastung von ungereinigtem Mischwasser geschützt. Läuft es nach einiger Zeit dennoch über die hohe seitliche Überlaufschwelle, filtern feine Siebe Schmutz heraus. Ist der Regen vorbei, kann das Abwasser wieder zur Kaditzer Kläranlage geleitet werden. „So muss das überschüssige Abwasser nicht in die Elbe geleitet werden und der Fluss wird geschützt“, erklärt Kanalnetzchef Männig.

Für das Projekt hatte die Stadtentwässerung rund 3,5 Millionen Euro investiert. Das Bauwerk liegt im alten Festungsgraben, der um das Jahr 1810 verfüllt wurde.
Unter dem Rathenauplatz verläuft ein 2,80 Meter hoher Hauptkanal, durch den das Abwasser aus einem großen Einzugsgebiet kommt, das von der Südvorstadt bis Mockritz reicht. Außerdem mündet dort die bei der Verfüllung des Festungsgrabens gebaute „Wallgrabenschleuse“ ein, der zweitälteste Kanal Dresdens, erläutert Männig. Sie führt vom Rathaus über den Pirnaischen Platz bis zum Rathenauplatz. Durch die Wallgrabenschleuse fließt der Kaitzbach in die Elbe.

Bei Hochwasser gibt es einen zusätzlichen Schutz, um einen Rückstau der Elbe und des Kaitzbachs zu verhindern. „Dafür ist im Auslasskanal in die Elbe ein Hochwasserschieber installiert, der bei einem Pegel von 4,80 Metern schließt“, sagt Männig. In dem Fall wird der Kaitzbach Richtung Kläranlage geleitet.