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Oben ohne ist in vielen Bädern in Sachsen erlaubt: Keine falsche Scham

In den Freibädern in Dresden dürfen auch Frauen seit Neuestem Brust zeigen. Doch wer macht das eigentlich – und was sagen die, die ohnehin immer FKK machen? Ein Besuch dort, wo Ausziehen erlaubt ist.

Von Doreen Reinhard
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In mehreren deutschen Städten ist das Oben ohne-Baden jetzt auch Frauen gestattet.
In mehreren deutschen Städten ist das Oben ohne-Baden jetzt auch Frauen gestattet. © plainpicture/Ingrid Michel

Es war nur eine kleine Nachricht, doch sie überraschte: Im Mai diesen Jahres gaben die Dresdner Bäder bekannt, dass ab sofort alle in den Schwimmbädern der Städtischen Gesellschaft oben ohne schwimmen dürfen. Ja, alle: Männer und Frauen.

Brust frei im Schwimmbad? Ist das Freiheit oder Provokation? Sorgt die neue Regel für Empörung? Freuen sich manche, endlich störende Bikinis fallenzulassen? Fühlen sich andere davon gestört? Doch wer in diesem Sommer damit rechnet, in Freibädern vielen Frauen oben ohne zu begegnen, der irrt.

Es ist ein schwüler Nachmittag, Anfang der Woche, die Wiesen am Stausee Dresden-Cossebaude sind locker gefüllt. Zwei Frauen in bunten Bikinis stehen tropfend auf ihren Handtüchern, Textilliegewiese, zwischen Pommesbude und Kinderbecken. Agnieszka Gajda und Marina Langlitz waren gerade im Stausee schwimmen. Nun wundern sie sich, als man sie fragt, ob sie schon die neue Regel kennen. Nein, nichts mitbekommen.

„Worum geht es da?“, fragt Agniezska Gajda. Dass es nun eine offizielle Erlaubnis dafür gibt, das Oberteil abzulegen, wussten sie nicht. Wollen sie das denn? Die beiden Frauen, Ende 30 und Mitte 40, schütteln die Köpfe. „Dafür bin ich zu schüchtern. Im Urlaub habe ich das schon gemacht, aber hier nicht, weil mich vielleicht Bekannte sehen könnten“, sagt Marina Langlitz. Ihre Freundin sieht das auch so. Die Neuerung finden sie trotzdem gut. „Wenn andere Frauen das machen wollen, ist das völlig okay“, sagt Agniezska Gajda. „Die Männer sind hier schließlich immer oben ohne und manche haben auch Brüste.“

Erst toleriert, jetzt offiziell erlaubt

An der Anzeige am Eingang steht: 28 Grad Lufttemperatur, 21 Grad im Wasser. Dazu gibt es Aushänge mit Verhaltensregeln, auch die Kleiderordnung in Symbolen: Badehose und Shorts für Männer, Badeanzug, Bikini oder Burkini für Frauen. Die Comic-Frauen auf dem Zettel haben bedeckte Brüste.

Die neue Oben ohne-Regel steht nur in der ellenlangen Badordnung daneben, als kleingedruckter Satz unter Punkt 28: „Die Badekleidung muss lediglich die primären Geschlechtsmerkmale vollständig bedecken.“ Dieser Hinweis wurde kürzlich hineingeschrieben. Im Freibadtrubel wird das kaum jemand lesen.

FKK hat eine lange Tradition in Ostdeutschland. Wie im Freibad Cossebaude, wo die Badegäste finden: „Nacktsein ist hier keine große Sache.“
FKK hat eine lange Tradition in Ostdeutschland. Wie im Freibad Cossebaude, wo die Badegäste finden: „Nacktsein ist hier keine große Sache.“ © SZ/Veit Hengst

Dabei sind diese wenigen Worte die Folge hitziger Debatten. Es geht um Nacktheit, darum, wie man in der Öffentlichkeit, in einer Freibad-Gemeinschaft damit umgeht. Es dreht sich um Männer und Frauen, um Gleichberechtigung und Diskriminierung. Die Oben ohne-Regel ist ein Ergebnis von Diskussionen der vergangenen Jahre. Einige halten sie für überflüssig. Andere für genau richtig. Und wieder andere kennen sie schlicht noch gar nicht.

Frauen ohne Oberteil habe man schon vorher „toleriert“, heißt es von der Leitung der Dresdner Bäder. Nun dürfen sie auch offiziell ablegen, das wurde in Badeordnungen kürzlich aktualisiert, „vor dem Hintergrund einer aktuell öffentlich geführten Debatte“, heißt es von den Dresdner Bädern. Etliche Badbetriebe in ganz Deutschland haben sich in den letzten ein, zwei Jahren für diese Neuerung entschieden. Es ist gewissermaßen eine Welle entstanden.

Auch in anderen sächsischen Freibädern wurde darüber diskutiert. In Leipzigs Bädern wird „oben ohne“ toleriert, doch die Hausordnung wurde nicht extra geändert. Die Stadt Chemnitz erlaubt in ihren Bädern auf Liegeweisen „oben ohne“ für Frauen, allerdings nicht in Schwimmbecken. Und in anderen Bädern, etwa im Erzgebirge, gibt es teilweise FKK-Bereiche, doch im Textil-Gelände ist Brust zeigen für Frauen weiterhin verboten.

Die Oben ohne-Regel in Sachsen

  • „Die Badekleidung muss lediglich die primären Geschlechtsmerkmale vollständig bedecken.“ – das steht in Punkt 28 der Dresdner Badordnung. Die Oben ohne-Regel betrifft nicht nur Freibäder, sondern alle Dresdner Schwimmbäder. Die restliche Badebekleidung muss allerdings der „Norm“ entsprechen: Bikini, Badeanzug, Burkini, Tankini, Badehose oder Aqua-Shirt sind erlaubt. Auch dürfen Männer die Brust bedecken, teilen die Dresdner Bäder mit.
  • In Leipziger Bädern wird „oben ohne“ toleriert, eine extra Regel gibt es nicht.
  • Die Stadt Chemnitz erlaubt in ihren Bädern auf Liegeweisen „oben ohne“ für Frauen, nicht aber im Schwimmbecken. In der Chemnitzer Stadtverwaltung werde derzeit eine entsprechende Lockerung diskutiert. Eine finale Entscheidung stehe aber noch aus, hieß es.

Doch was war eigentlich der Auslöser für all diese Diskussionen? Ein Vorfall im Sommer 2021, an einem Wasserspielplatz in Berlin. Dort hatte Gabrielle Lebreton, eine gebürtige Französin, die schon lange in der Hauptstadt lebt, mit ihrem kleinen Sohn einen Nachmittag verbracht. Was sie dort erlebt hat, schilderte sie verschiedenen Medien so: Sie saß mit nacktem Oberkörper auf einer Decke. Ein Verstoß, so sahen das jedenfalls Sicherheitskräfte, andere Badegäste hätten sich an ihrer nackten Brust gestört. Sie forderten Lebtron auf, sich zu bedecken oder den Platz zu verlassen. Als sie sich weigerte, wurde die Polizei gerufen.

Auch die Beamten forderten sie auf, sich anzuziehen. Lebtron verließ das Bad. Wütend. Und zog vor Gericht, weil sie sich diskriminiert fühlte. Warum sollte sie etwas nicht dürfen, was Männer ständig machen, ihren Oberkörper nackt zeigen? Ihr sei klar, sagte sie der Wochenzeitung „Die Zeit“, dass es gesellschaftlich einen Unterschied gebe zwischen Männern und Frauen mit unbekleidetem Oberkörper. „Aber für mich – und ich lehre das auch meinen Sohn – ,nein, gibt es diesen Unterschied nicht. Bei Männern wie bei Frauen ist die Brust ein sekundäres Geschlechtsmerkmal. Aber Männer haben die Freiheit, sich bei Hitze ihrer Kleidung zu entledigen, und Frauen haben sie nicht.“

Gabrielle Lebreton beruft sich auf das Antidiskrimierungsgesetz des Landes Berlin und verlangt eine Entschädigungszahlung. Zunächst wurde ihre Klage zurückgewiesen, mittlerweile ist sie in Berufung. Sie gründete auch die Initiative „Gleiche Brust für alle“, eine „intersektionale feministische Bewegung, die gegen die Sexualisierung der Brust und für Gleichberechtigung kämpft“. Lebreton wird für ihre Hartnäckigkeit gefeiert, von progressiven, feministischen Stimmen. Von anderen Seiten gibt es Spott und Häme.

Echte Freiheit nur beim FKK

Auf einer Wiese in Dresden, ganz hinten am Stausee Cossebaude, sind schon immer alle gleich nackt. Im FKK-Bereich haben an diesem Nachmittag ein Dutzend Menschen ihre Handtücher ausgebreitet, man sitzt in größeren Abständen. Hier erlebt man, für wie viel Gesprächsstoff die neue Regel sorgen kann. Kurze Frage, wie man das denn hier sieht, sofort entflammt eine Diskussion, bei der FKKler zusammenrücken.

Claudia und Karl, 72 und 68 Jahre alt, haben im Radio davon gehört und sind gar nicht begeistert. „Ich finde diese neue Regel idiotisch. Bei uns muss alles reglementiert werden, was man darf und was nicht“, sagt Claudia. „Das hat doch nichts mit Gleichberechtigung zu tun, nur weil man oben ohne in einem Bad rumläuft.“ Ihr Begleiter Karl nickt, das sieht er auch so. Im Textilbereich würde Claudia nicht ohne Oberteil liegen, sagt sie, „weil da vielleicht Menschen sind, die komisch gucken“. Lieber geht sie in den FKK-Bereich, „hier läuft jeder nackt rum, da fühle ich mich nicht belästigt.“

Claudia und Karl kommen aus Baden-Württemberg, seit einigen Jahren leben sie in Sachsen. Als Freibad-Fans fühlen sie sich hier wohler als in der alten Heimat. „Bei uns im Westen war das nicht so verbreitet mit FKK, da waren die Ostdeutschen freier.“ Genau, sagt Robert, „wir sind als Kinder damit aufgewachsen, Nacktsein ist hier keine große Sache“. Sein Handtuch liegt gegenüber, er hat zugehört und kommt heran, das Thema interessiert ihn. Besser gesagt: Es nervt ihn. „Man sollte sich doch um andere Themen kümmern. „Wir liegen hier nackt, die anderen im Textilbereich. Soll doch jeder machen, wie er will.“

Dass der Wegfall des Bikini-Gebots in Dresden nicht ganz so exzessiv genutzt wird, halt also vielleicht noch ganz andere Gründe: In Sachsen hat FKK eine lange Tradition und wird freudig gelebt. Wer sich gern ausziehen möchte, kann dies in extra ausgewiesenen Bereichen tun. Wie in allen Bädern mit FKK-Bereich ist dieser auch in Cossebaude abgetrennt von dem Bereich für diejenigen, die sich lieber verhüllen. Die einen möchten vielleicht doch nicht so viel Haut sehen – und diejenigen, die lieber nackt baden, wollen nicht von denen mit Badeanzug angeschaut werden.

Der Sichtschutzzaun im Freibad Dresden-Cossebaude erhitzt die Gemüter: FKK-Gäste fühlen sich durch ihn vor Gaffern geschützt, andere finden ihn hässlich.
Der Sichtschutzzaun im Freibad Dresden-Cossebaude erhitzt die Gemüter: FKK-Gäste fühlen sich durch ihn vor Gaffern geschützt, andere finden ihn hässlich. © SZ/Veit Hengst

Darum gibt es auch in Cossebaude einen Zaun mit Planen, der den FKK-Bereich vom Volleyballfeld trennt. In Cossebaude wird rege über diesen Zaun diskutiert. War der schon immer da?, fragen die FKKler. Claudia findet das okay. Robert ist es egal, „von mir aus können die Dinger da sein oder nicht“. So entspannt sei sie da nicht, entgegnet Claudia. „Das seht ihr Männer vielleicht anders, aber ich habe hier auch schon mal Gaffer erlebt, die durch den Zaun geguckt haben, deshalb finde ich die Planen gut.“

Wer sich halb oder ganz auszieht, will nun mal nicht unbedingt angeguckt werden. Tatsächlich gibt es den Sichtschutz zum FKK-Bereich erst seit Neuestem wieder, sagt Susanne Krüger, die Badleiterin in Cossebaude. Er war lange da, dann habe man ihn abgenommen, nun wieder am Zaun befestigt. „Den Sichtschutz haben sich einzelne FKK-Gäste wieder gewünscht“, sagt sie. Also habe man ihn wieder drangemacht, aus Rücksicht auf diese Rückmeldungen. Belästigungen habe es nicht gegeben. Auch sonst gebe es am Stausee keine Probleme, ruhiger Betrieb. Dass es seit Neuestem die Oben ohne-Regel gibt, habe sich herumgesprochen. „Ich werde ab und zu von Gästen danach gefragt“, sagt Krüger. Aber bisher legen kaum Frauen im Textilbereich ihre Oberteile ab.

Georg-Arnhold-Bad: Nur selten, dass Frauen oben ohne baden

„Keine falsche Scham!“, hatte Gabrielle Lebreton, die Frau in Berlin, die diese Debatte unfreiwillig ausgelöst hatte, vor einigen Monaten in einem Kommentar im queeren Magazin „Siegessäule“ gefordert. Es störe sie, dass es nun immer mal heiße, durch die neue Bäder-Regel hätten Frauen „neue Rechte“. Dabei gehe es ihr um „Gerechtigkeit, um die Gleichbehandlung von Frauen. „Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass es auch heute noch ein Risiko für weiblich gelesene Personen ist, sich mit nacktem Oberkörper in der Öffentlichkeit zu bewegen, ganz besonders für Einzelpersonen“, schreibt Lebreton. „Die Einschüchterungsversuche reichen von freundlichen Aufforderungen, uns wieder anzuziehen über fragwürdige Witze und Fotos ohne Zustimmung bis hin zu Vergewaltigungsdrohungen.“

Mitten im Dresdner Zentrum, im Georg-Arnhold-Bad, sind Badesachen zumindest teilweise erwünscht: unten mit, oben ohne. Einen FKK-Bereich gab es hier noch nie, aber nun ist da die neue Regel, auch hier steht sie im Kleingedruckten am Eingang. Es ist allerhand Trubel an diesem Nachmittag, aber auch hier keine Frau ohne Oberteil zu sehen. Das komme ohnehin nur selten vor, sagt Stefan Heidel, stellvertretender Badleiter. Und wenn, sei das bisher „immer völlig okay gewesen, nun hat man es noch mal offiziell gemacht“.

Am Rand des Schwimmbeckens sitzt Hussein, 14 Jahre, mit seiner Mutter. Er war gerade im Wasser, sie entspannt auf einer Liege. Seine Mutter, die ihren Namen nicht sagen möchte, trägt ein langes Gewand und ein Kopftuch. Die Familie stammt aus Syrien, sie sind Muslime, seit sieben Jahren leben sie in Deutschland. Sie kommen oft zum Baden hierher, auch seine Mutter geht gern ins Wasser, in einem Schwimmkleid, das erlaubt die Badordnung. „Aber heute habe ich es vergessen“, sagt sie. Sie würde ihren nackten Körper nicht in der Öffentlichkeit zeigen. Würde es sie stören, wenn Frauen mit nackten Brüsten neben ihr liegen? „Das wäre kein Problem“, sagt sie. „Das soll jeder für sich selbst entscheiden.“

Auch Sarah und Hussein sind aus Syrien, beide 27 Jahre alt. Das Paar albert im Wasser herum, küsst sich. Sie trägt einen schwarzen Badeanzug mit langen Ärmeln, „der Style gefällt mir“. Auch sie sind Muslime, liberal aufgewachsen. Beide hatten von der Oben ohne-Regel vorher nicht gehört, dagegen haben sie nichts. „Wenn jemand das macht, geht mich das nichts an“, sagt Sarah. „Es wird für manche vielleicht komisch sein, wenn sie so etwas sehen. Aber man kann sich daran gewöhnen, denke ich.“

Bei einer Gruppe junger Männer, auf einer Decke auf der Liegewiese, war diese Sache an diesem Nachmittag schon mal Thema. Sie finden alle: kein Aufreger, soll jeder machen, wie er will. „In einer erwachsenen, aufgeklärten Gesellschaft sollte das eigentlich normal sein“, findet einer von ihnen, „Die Frage ist nur, ob wir wirklich so eine Gesellschaft sind.“