"Es kommt so viel Müll zusammen"

Dresden. Bei Orthopädin Gudula Keller sieht es aus wie in jeder anderen Praxis. Ein Wartezimmer, ein Röntgenraum, eine Patientenliege. Nur eine Kleinigkeit fällt auf: Wo sonst Zeitschriften die Leseecke schmücken, steht bei Gudula Keller eine Klima-Kiste, gefüllt mir Büchern zum Umweltschutz. Keller engagiert sich für das Klima. Auch ihre Praxis soll nun klimaneutral werden.
Eigentlich hat bei der Ärztin alles mit den eigenen Kindern angefangen. Vor zwei Jahren will die Tochter plötzlich nicht mehr fliegen und der Sohn kein Fleisch mehr essen. Beide beginnen sich bei Fridays for Future zu engagieren. Auf einmal müssen sich die Eltern den kritischen Fragen der Kinder stellen. Was macht ihr eigentlich für den Klimaschutz? Gudula Keller beginnt sich damit zu beschäftigen, als Ärztin interessiert sie besonders der Fakt Gesundheit. Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Menschen und was kann sie als Ärztin dagegen tun?
"Die Klimakrise gefährdet auch unsere Gesundheit"
Schnell wird klar, es gibt noch mehr Gleichgesinnte, die sich engagieren wollen. Zusammen gründen sie im Jahr 2019 eine Dresdner Gruppe namens "Health for Future". 20 aktive Mitglieder zählen dazu. "Die Klimakrise gefährdet auch unsere Gesundheit. Es wird zur Zunahme von Allergien, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Hitzeschlägen kommen. Auch tropische Vektorkrankheiten wie das Denguefieber oder das Zika-Virus, die durch Mücken übertragen werden, können hier in Deutschland mehr auftreten", sagt Keller. "Wenn wir etwas für das Klima tun, dann auch für die Gesundheit."
Schnell wurde der Ärztin aber auch klar: Der Gesundheitssektor selbst trägt zur Klimakrise bei. "Etwa fünf Prozent der Emissionen in Deutschland kommen aus dem Bereich", so Keller und beugt sich über ein Blatt Papier. Darauf hat sie für sich bilanziert, wie hoch ihr CO2-Ausstoß in der Praxis ist. 75 Tonnen jährlich. Ein durchschnittlicher Bürger in Deutschland verbraucht laut Umweltbundesamt elf Tonnen Kohlenstoffdioxid. Um das Pariser Klimaziel zu erreichen, müsste sich der Wert auf etwa ein bis zwei Tonnen minimieren, so das Umweltbundesamt.

45 Prozent der Emissionen machen die Medikamente aus
Was viel klingt, hat Gudula Keller schon reduziert. "Ich nehme nur noch recyceltes Papier und habe die ganze unerwünschte Werbung abbestellt", beginnt Keller ihre Maßnahmen aufzulisten. Den Stromanbieter hat sie gewechselt, Internetseite sowie Mailpostfach werden jetzt von einem ökologischen Unternehmen betrieben. "Eigentlich ist das alles kein Akt, aber man muss sich erstmal überwinden."
Mit ihren Kollegen geht sie jetzt jedes Mal nach Feierabend durch die Räume und dreht alle Heizungen runter, schaut, ob die Geräte ausgeschaltet sind. Mit den wenigen und kleinen Maßnahmen hat sie ihren CO2-Haushalt schon deutlich reduzieren können. Warum er trotzdem so hoch ist?
Gudula Keller deutet auf die Bilanz: 45 Prozent der Emissionen machen die Medikamente aus. "Das kann ich nicht beeinflussen." Transport und Produktion der Tabletten würden viele Ressourcen verbrauchen. "Gerade auch durch Reimporte, das heißt: Die zum Beispiel in Holland hergestellten Medikamente werden extra erstmal nach Osteuropa exportiert, damit sie dann dort von der EU wieder für billiges Geld aufgekauft werden können." Die Ärztin fände ein Ampelsystem für Arzneimittel gut. Je nachdem, wie ökologisch sie produziert wurden, gäbe es dann eine grüne oder rote Farbe dafür.
Ihren zweitgrößten Beitrag zum CO2-Fußabdruck kann die Ärztin auch nur bedingt beeinflussen. Es geht um Patientenwege, sie machen knapp 40 Prozent der Emissionen aus. "Ich schreibe zwar auf meiner Webseite, dass ich meine Patienten bitte, mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit der Bahn zu kommen. Vorschreiben kann ich es ihnen aber nicht", so die Orthopädin, die schon allein aus fachlicher Sicht für mehr Bewegung ist. "Ich empfehle all meinen Patienten das Gärtnern, das ist gut für den Körper und bringt uns wieder näher an unsere Lebensmittel."

Vieles kann die Ärztin nicht beeinflussen
Wie viele Emissionen ihre Praxis ausstößt, hat Gudula Keller mithilfe eines CO2-Rechners ermittelt. Diesen entwickelte Larissa Knauf von der Dresdner Umwelt-Stiftung "Wilderness International". Damit können nicht nur Arztpraxen, sondern auch Privatpersonen, Firmen oder Schulen kostenlos erfahren, wie viel CO2 sie ausstoßen und wie sie die Zahl reduzieren können.
Um die Tonnenbeträge zu kompensieren, empfiehlt die Umwelt-Stiftung, Waldprojekte finanziell zu unterstützen. Das hieße für Gudula Keller, sie müsse 900 Euro spenden, um ihre Praxis klimaneutral nennen zu dürfen. Ob sie den gesamten Betrag bezahlen möchte, weiß sie noch nicht: "Die Hürde dabei ist, dass ich auf die Medikamente und den Patientenweg wenig Einfluss nehmen kann. Dafür kann ich nichts." Auch so wäre es ihr lieber, wenn sich die Emissionen vermeiden ließen. Das Geld zu spenden, um eine klimaneutrale Praxis haben, sei nur eine Geste. "Ich will Lösungen."
Was sie genauso wenig beeinflussen kann, versteckt sich in den Praxisregalen: verpackte Einwegpinzetten, Handschuhe, Spritzen, Einwegschutzanzüge. "Es kommt so viel Müll zusammen und der Trend geht in keine gute Richtung." Wie sie das lösen kann, weiß sie noch nicht. Früher hatte sie einen Sterilisator, mit dem Gerät werden Operationsbestecke desinfiziert. Dafür braucht sie aber noch andere Praxen, die sich das Gerät mit ihr teilen und vielleicht auch etwas zum Umweltschutz beitragen möchten.