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Grünes-Gewölbe-Prozess: Staatsanwalt will Haft und einen Freispruch

Am 45. Sitzungstag schließt das Landgericht Dresden endlich die Beweisaufnahme. Der letzte Akt im Prozess um den Diebstahl von Sachsens Diamantenschatz hat begonnen – mit Überraschungen.

Von Alexander Schneider
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Über einem Jahr nach Beginn des Prozesses rund um den Diebstahl aus dem Grünen Gewölbe in Dresden beginnen am Freitag die Vorträge der Plädoyers.
Über einem Jahr nach Beginn des Prozesses rund um den Diebstahl aus dem Grünen Gewölbe in Dresden beginnen am Freitag die Vorträge der Plädoyers. © Archiv/Jens Schlueter/AFP Pool/dpa

Dresden. Auch wenn die Staatsanwaltschaft den Angeklagten nicht alles abgenommen hat, fühlt sie sich an die Verfahrensabsprache gebunden. Mehr als zwei Stunden lang plädierten die Vertreter der Anklage am Freitag am Landgericht Dresden.

Sie stellten den spektakulären Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe am 25. November 2019 so dar, wie er aus ihrer Überzeugung abgelaufen ist. Für fünf der sechs Angeklagten forderten sie Freiheitsstrafen bis zu sechs Jahren und acht Monaten und blieben damit im Rahmen des Deals vom Januar - wegen besonders schwerer Brandstiftung, gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls mit Waffen, gemeinschädlicher Sachbeschädigung und Brandstiftung. Einzig Ahmed Remmo (25) sei freizusprechen, er habe ein Alibi - hier gelte: im Zweifel für den Angeklagten.

Am Tag der Tat: "Wir waren entsetzt, erschüttert"

"Wir alle wissen noch, was wir am 25. November gemacht haben", sagte Oberstaatsanwalt Christian Kohle in der Einleitung seines Plädoyers. Er habe ausgerechnet an einer jährlichen Tagung zum Thema Organisierte Kriminalität teilgenommen. Dort ging es um Lagebilder und Strategien – doch es sei alles andere gewesen: „Wir waren nicht bei der Sache, haben alle ungläubig auf unsere Handys geschaut: Einbruch ins Grüne Gewölbe! Wir waren entsetzt, erschüttert“. Eine beispiellose Jagd habe begonnen.

Am 17. November 2020 folgte einer der größten Polizeieinsätze, den Berlin je gesehen habe. Drei Angeklagte wurden verhaftet. Doch von der Beute habe jede Spur gefehlt, so Kohle.

Der Prozess gegen die sechs Angeklagten habe Anfang 2022 unter hohen Sicherheitsvorkehrungen begonnen, man habe sogar Ausschreitungen für möglich gehalten. Die Hauptverhandlung sei unerwartet ruhig und ohne Zwischenfälle verlaufen. Kohle: "Dafür bin ich dankbar."

War der Deal falsch?

Ende 2022 war die Beweisaufnahme so gut wie abgeschlossen, als am 1. Dezember das Telefon klingelte und Verteidiger einen Deal wollten: Strafrabatt für die Herausgabe eines Großteils des Schmucks. "Am 16. Dezember passierte dann das, was viele ein kleines Weihnachtswunder nannten", so der Ankläger. Die Herausgabe der Beute sei eine große Freude gewesen, es habe aber auch kritische Stimmen gegeben, weil man sich von Kriminellen nicht Bedingungen diktieren lassen sollte.

„War unsere Entscheidung falsch?“, fragt Kohle zu dem geschlossenen Deal. „Rein rechtlich nicht. Aber moralisch, prozesstaktisch oder kriminalpolitisch? Das weiß ich nicht, aber es gab gute Gründe und ich würde heute wieder so entscheiden.“ Es habe keine Spur zur Beute gegeben. Kohle sprach von einer "lange geplanten und mit großer Skrupellosigkeit begangenen Tat". Die im Raum stehenden Strafen seien nicht mild – aber sie waren ein Anreiz, den Schmuck herauszugeben: "Wir sollten alle etwas demütiger sein." Rund sechs Jahre Haft seien kein Pappenstiel.

Staatsanwalt sieht noch immer Widersprüche

Kohles Kollege Christian Weber wies auf zahlreiche Widersprüche in den Einlassungen der Angeklagten hin. Daher gehe die Staatsanwaltschaft auch jetzt noch davon aus, dass Abdul Majed Remmo (24) - anders als er selbst und Mitangeklagte behaupten - am Einbruch beteiligt war und nicht nur Werkzeuge dafür gestohlen habe.

Wissam Remmo (26) wurde von Weber als einer der Hauptplaner der Tat beschrieben – möglicherweise gemeinsam mit Ahmed Remmo. Beide seien erheblich vorbestraft, hätten schon als Jugendliche gemeinsam viele Straftaten begangen, zuletzt den Diebstahl der Goldmünze aus dem Bode-Museum: „Sie konnten sich aufeinander verlassen.“ Ebenfalls eine tragende Rolle käme Rabieh Remmo (29) zu, der früh von Wissam eingeweiht worden sei.

Für Wissam und Rabieh Remmo forderte Weber jeweils sechs Jahre und acht Monate Haft. Bashier Remmo (27), für ihn wurden fünf Jahre und zehn Monate gefordert, sei später eingestiegen – vielleicht, weil Ahmed kurzfristig ausgefallen sei, vermutete Weber.

Für die zur Tatzeit heranwachsenden Zwillinge Mohamed und Abdul Majed Remmo forderte die Staatsanwaltschaft Jugendstrafen, für Mohamed viereinhalb Jahre und für Abdul Majed sechs Jahre – darin enthalten sei eine Verurteilung aus 2018 von einem Jahr.

Viele Details, räumte Weber ein, seien bis zuletzt unklar geblieben. Die Staatsanwaltschaft gehe jedoch davon aus, dass nur ein Mittäter noch unbekannt sei.

Eine Anwältin des Freistaats Sachsen forderte das Gericht auf, die Angeklagten zur Zahlung des Schadens zu verurteilen.

Das Urteil soll am 16. Mai verkündet werden

Der Prozess wird am Dienstag, 2. Mai, mit den Plädoyers der Verteidiger fortgesetzt. Der zunächst für den 28. April geplante Fortsetzungstermin wurde aufgehoben, nachdem mit den Verteidigern geklärt werden konnte, ihnen genüge ein Tag für ihre Schlussvorträge und das sogenannte Letzte Wort der Angeklagten.

Das Urteil soll wie geplant am Dienstag, 16. Mai, verkündet werden.

Am Morgen des Tattages brannte es im Pegelhaus der Augustusbrücke. Dadurch wurde die historische Schatzkammer Sachsens im Residenzschloss stromlos.
Am Morgen des Tattages brannte es im Pegelhaus der Augustusbrücke. Dadurch wurde die historische Schatzkammer Sachsens im Residenzschloss stromlos. © Archiv/Roland Halkasch

Die sechs Angeklagten im Alter von 24 bis 29 Jahren sind Deutsche und gehören alle der arabisch-stämmigen Großfamilie Remmo aus Berlin an. Zwei Männer, Wissam und Ahmed Remmo, verbüßen derzeit eine Jugendhaftstrafe in Höhe von viereinhalb Jahren für den Diebstahl einer zwei Zentner schweren Goldmünze. Die Wagenrad-große "Big Maple Leaf" im Wert von rund vier Millionen Euro war im März 2017 bei einem ähnlich spektakulären Einbruch aus dem Bode Museum in Berlin gestohlen worden.

Als Wissam Remmo am 25. November 2019 in Dresden die Diamanten aus dem Grünen Gewölbe stahl, lief in Berlin noch seine Hauptverhandlung in Sachen Goldmünze. Am 27. November 2019 hatte er eine weitere Hauptverhandlung am Amtsgericht Erlangen wegen des Diebstahls von akkubetriebenen Hydraulikscheren bei der Herstellerfirma Lukas. Mit einem solchen Lukas-Gerät soll auch die Gitterstäbe des Dresdner Grünen Gewölbes einige Tage vor dem Einbruch durchtrennt worden sein.