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Neue Ausstellungen: Zwischen Heimat und Hiersein, DDR und Welt

Künstlerinnen und Künstler aus Asien und Afrika tauchen ein in die Archive der Staatlichen Kunstsammlungen und machen aus ihren Entdeckungen drei Ausstellungen. Im ersten Teil untersucht vinit agarwal die Beziehungen zu Indien.

Von Birgit Grimm
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Filmstill "OYOYO" von 1980: Regie führte Chetna Vora, Kamera Lars Barthel.
Filmstill "OYOYO" von 1980: Regie führte Chetna Vora, Kamera Lars Barthel. © Filmuniversität Babelsberg, Konrad Wolf (Hochschule für Film und Fernsehen der DDR), 1980KD

Der Hallenser Maler Karl Erich Müller, der den indischen Nationaldichter Rabindranath Tagore schätzte und auch porträtierte, bereiste Ende der 1960er-Jahre Indien, Pakistan, Nepal und Sri Lanka. Dort zeichnete und aquarellierte er. Auch das Dresdner Kupferstich-Kabinett nahm Arbeiten von ihm in die Sammlung auf. Dort blieben sie im Depot – bis vinit agarwal sie entdeckte und sie nun im Dresdner Albertinum zeigt. Der indische Künstler und Kurator hat die erste von drei „Sequenzen“ kuratiert. „Bis zum Sonnenaufgang“ heißt die Schau, die das Ergebnis eines Forschungsprojekts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ist und lokale Kunstgeschichte mit den globalen Reflexionen darauf vereint – oder umgekehrt.

Müllers Reisen wurden in der DDR schon kurz nach seiner Rückkehr stark reflektiert. Er war ein gefragter Interviewpartner, wie zahlreiche Zeitungsausschnitte in der Ausstellung zeigen. Der Wunsch, seine Geschichten aus exotischen Ländern zu drucken und von den Begegnungen mit den Menschen dort zu lesen, war groß.

Aarti Sunder zeichnete auf Reispapier mit Graphit diese acht Meter lange "Panorama 1" als Reflexion auf den Film "OYOYO" von Chetna Vora.
Aarti Sunder zeichnete auf Reispapier mit Graphit diese acht Meter lange "Panorama 1" als Reflexion auf den Film "OYOYO" von Chetna Vora. © Aarti Sunder

Dresdner Alte Meister in Neu Delhi

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) hatten dann in den 1980er-Jahren offenbar gute Beziehungen zu Indien. Eine hochkarätige Schau mit Gemälden Alter Meister reiste 1984 nach Neu Delhi. Als „Gegengabe“ kam indisches Kunsthandwerk des 16. bis 18. Jahrhunderts 1985 ins Albertinum. Fotos, offizielle Schreiben, Ausstellungskataloge fand vinit agarwal im Archiv, weil er gezielt danach suchte und weil er manches wusste, was hierzulande in Vergessenheit geriet. Erhellend fürs Publikum wäre es freilich, wenn die Ausstellung diesen Kulturaustausch auch ins politische Weltgeschehen einordnen würde. Erinnert zu werden, wie es war, ist nett. Besser wäre zu erfahren, warum es hat sein können, dürfen, sollen.

Aber das war offenbar nicht der Plan. Ein Blick von außen auf die SKD war gewünscht, historische Erkundungen aus Sicht eines Künstlers waren das Ziel. „Visuelle Forschung“ nennt SKD-Forschungsleiterin Doreen Mende diese Arbeitsweise.

Dieser eine Raum im Albertinum lohnt dennoch. Denn vinit agarwal, der in Jaipur das internationale Oralities Research Lab leitet, hat einen Film entdeckt und auf dessen Basis zwei Kunstwerke in Auftrag gegeben. Aarti Sunder gestaltet eine raumgreifende Zeichnung nach dem Film „OYOYO“, den Chetna Vora 1980 im Studentenwohnheim in Berlin-Karlshorst drehte.

Liebe und Heimweh gestickt in Wort und Bild

Wer in der DDR in den 80er-Jahren studiert und im Studentenheim mit ausländischen Kommilitonen gewohnt hat, wird sich in dem Schwarzweiß-Dokumentarfilm wiederfinden. Chetna Vora (1958 – 1987) hat an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg Regie studiert und im 3. Studienjahr Studierende aus Äthiopien, Chile, Guinea-Bissau und der Mongolei im Wohnheim und über ihr Leben befragt.

Moses März greift Filmszenen und Gesprächsfetzen auf und lässt daraus eine Textilkarte, ein riesiges Gefühls-Diagramm machen, auf dem nicht nur Themen wie Liebe und Heimweh in Wort und Bild Wellen schlagen, sondern auch Orte in der DDR benannt sind, in denen sich regelmäßig die Kulturen der Welt begegneten wie das Internationale Dokfilmfestival in Leipzig oder das Festival des politischen Liedes in Berlin. Das Besondere dieser Textilarbeit: Acht Frauen aus einem Dorf im westlichen Rajasthan nahe der indisch-pakistanischen Grenze haben diese Karte genäht, gestickt, gepatcht. Diese Frauen beherrschen ihr Handwerk. Das sieht man. Was man nicht sieht: Dass sie weder die deutsche noch die englische Sprache beherrschen.

  • Bis 28. April im Albertinum Dresden. Am 6. Februar, 16.30 Uhr Rundgang mit vinit agarwal auf Englisch, Treffpunkt im Lichthof.