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DDR-Zeitschichten werden freigelegt

Ein Teilstück des Wandbildes „Lebensfreude“, das Gerhard Richter 1956 im Deutschen Hygiene-Museum malte, wird unter elf Farbschichten hervorgeholt.

Von Birgit Grimm
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Restaurator Albrecht Körber demonstriert bei einem Pressetermin des Hygiene-Museums die Arbeit zur partiellen Freilegung des Wandbildes "Lebensfreude"  des Malers Gerhard Richter.
Restaurator Albrecht Körber demonstriert bei einem Pressetermin des Hygiene-Museums die Arbeit zur partiellen Freilegung des Wandbildes "Lebensfreude" des Malers Gerhard Richter. © Robert Michael/dpa

Typisch DDR, werden jetzt manche sagen. Das graue Image des sozialistischen deutschen Staates scheint sich zu bestätigen in den Farbtönen des Wandbildes „Lebensfreude“: Helles Braun, Sand, Grautöne. Krachend bunt wird’s nicht, zumindest nicht an dieser Stelle, die bisher zu sehen ist. Aber das kann auch an der Strandszene liegen, die sich das Deutsche Hygiene-Museum Dresden ausgesucht hat, um sie freilegen zu lassen von den insgesamt 63 Quadratmetern, die der berühmte Maler Gerhard Richter 1956 als Diplomarbeit in einem Treppenhausfoyer des Museums schuf. Dafür bekam er eine glatte Eins, eine Aspirantenstelle und ein Atelier in der Dresdner Hochschule für Bildende Künste, sagte Ivo Mohrmann, Professor im Studiengang Restaurierung ebendieser Hochschule, gestern bei der Vorstellung des Restaurierungsprojekts.

Baugebundene Kunst für den Wiederaufbau

In den 1950er-Jahren muss so viel Unterstützung für einen jungen Künstler wie ein Sechser im Lotto, wie ein Ritterschlag gewesen sein. Richter war talentiert, und er hat alles richtig gemacht: Die Kulturpolitik der DDR schwor die Künstler darauf ein, aus ihren Elfenbeintürmen herauszukommen und sich beim Wiederaufbau der kriegszerstörten Städte nützlich zu machen. Wandmalerei war ein wichtiges Ausbildungsfach an der Kunstakademie. „Alle Kunstdiplome waren damals baugebunden“, sagt Mohrmann.

Richters Wandbild war seit 1979 nicht mehr zu sehen. Fotos gibt es nur in Schwarzweiß. Als er 1994 gefragt wurde, ob man die „Lebensfreude“ wieder ans Licht der Öffentlichkeit holen dürfe, lehnte er ab. Offenbar fürchtete er einen Karriereknick, wenn seine sozialistisch-realistischen Jugendsünden zu sehen sein werden. Drei Jahrzehnte gingen seitdem ins Land, die DDR wird differenzierter betrachtet und Richter ist wohl auch gelassener geworden, zumal man seiner „Lebensfreude“ wirklich nicht bescheinigen kann, dass es sich hierbei um platte SED-Propaganda handele. Als „festlich heiter, froh stimmend und zugleich beruhigend“ beschrieb Gerhard Richter 1956 in der Zeitschrift „Farbe und Raum“ seine Intention. 1961, kurz vor dem Mauerbau, floh er aus der DDR.

In dieser Nahaufnahme sieht man sehr gut Richters Maltechnik mit den senkrechten Pinselstrichen.
In dieser Nahaufnahme sieht man sehr gut Richters Maltechnik mit den senkrechten Pinselstrichen. © Foto: Andreas Rost

Mehrere Farbschichten übereinander

Ivo Mohrmann erklärte, dass Richters Lehrer Heinz Lohmar seine Studenten angeregt habe, eine entsprechende Technik zu entwickeln, die er in Frankreich kennengelernt hatte: die sogenannte Teppichmalerei. Richter konnte sich schnell damit anfreunden. Bei dieser Maltechnik werden die Pinselstriche senkrecht verzahnt. Deutlich sehen kann man das auf dem kleinen Wandstück, das die Restauratoren Albrecht Körber und Susann Förster seit Dezember freigelegt haben. Sie haben die Fläche in Quadrate von zehn mal zehn Zentimetern unterteilt. Zehn bis elf Farbschichten verdecken die „Lebensfreude“, und für jede braucht man ein anderes Lösungsmittel. Die Restauratoren müssen extrem vorsichtig arbeiten, um die zarten, in dünner Lasur aufgetragenen Kaseinfarben, mit denen Richter einst malte, zu erhalten. Die entsprechenden Materialanalysen lieferte das Labor der Hochschule für Bildende Künste Dresden, die mit dem Hygiene-Museum schon mehrere Restaurierungsprojekte zu einem guten Ende brachte. Finanziell unterstützt wird das 220.000 Euro teure Projekt von der Wüstenrot- und von der Ernst-von-Siemens-Kunststiftung.

Von 1956 bis 1979 war das komplette Wandgemälde "Lebensfreude" zu sehen. Hier der Zustand von 1969. Es befindet sich im Treppenhaus Süd des Hygiene-Museums.
Von 1956 bis 1979 war das komplette Wandgemälde "Lebensfreude" zu sehen. Hier der Zustand von 1969. Es befindet sich im Treppenhaus Süd des Hygiene-Museums. © Deutsche Fotothek

Neue Ausstellung "VEB Museum"

Die Restaurierungsarbeiten erfolgen bei laufendem Museumsbetrieb. Besucher sind eingeladen, sich selbst ein Bild zu machen. Doch mehr als diese Strandszene in Richters Bild, das auf 15 Metern Länge die Geschichte eines Paares vom Kennenlernen bis zur Geburt des ersten Kindes erzählt, wird vorerst nicht freigelegt werden. Iris Edenheiser, Direktorin des Hygiene-Museums, versteht die Freilegung nur des Mittelteils von Richters Wandgemälde als Sinnbild für die „partielle Freilegung von DDR-Geschichte“. Richters Wandbild sei eine der wichtigen Zeitschichten im Haus, sagt sie. Edenheisers Team gibt ab 9. März in der Ausstellung „VEB Museum“ Einblicke in die Geschichte des Hauses und in die der Institution im 20. Jahrhundert, die über eine lange Zeit Gläserne Figuren produzierte und in alle Welt exportierte und außerdem Lehrmittel herstellte.

Es gibt im Hygiene-Museum auch ein Wandbild mit dem Titel „Gesundheit“. Immer wieder wird behauptet, dass es ebenfalls von Gerhard Richter gemalt wurde. Aus verschiedenen Gründen wird es nicht freigelegt werden, zumal Richters Urheberschaft nicht erwiesen ist.

Deutsches Hygiene-Museum Dresden, Lingnerplatz 1, geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr.