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War das Dresdner Hygiene-Museum in der DDR ein volkseigener Betrieb?

Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden begibt sich mutig in seine DDR-Geschichte. Die neue Sonderschau „VEB Museum“ ist wie eine Werkbesichtigung und erinnert daran, dass das Institut auch ein Exportbetrieb war.

Von Birgit Grimm
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War das Deutsche Hygiene-Museum in der DDR nur Museum? Die neue Sonderschau "VEB Museum" erzählt die Geschichte(n).
War das Deutsche Hygiene-Museum in der DDR nur Museum? Die neue Sonderschau "VEB Museum" erzählt die Geschichte(n). © dpa

Einst war sie eine Sensation, heute wird sie als Relikt einer längst vergangenen Zeit bestaunt: die gläserne Frau in der Dauerausstellung des 1912 gegründeten Deutschen Hygiene-Museums Dresden (DHMD). Die gläsernen Figuren – auch Kühe, Genossen Bauern! – waren einst Weltwunder der Technik, ein Meilenstein in der Gesundheitserziehung, weil man in ihr Innerstes schauen kann. Gebaut wurden sie in einer Einrichtung, die sich Museum nannte, auch eine Dauerausstellung hatte, aber in der DDR das staatliche Institut für Gesundheitserziehung war und wie ein volkseigener Betrieb geführt wurde.

Neunte und letzte ihrer Art: Eine der in den Cellonwerkstätten des DHMD produzierten Gläserne Kühe, hergestellt 1982/83 für den Export nach Venezuela.
Neunte und letzte ihrer Art: Eine der in den Cellonwerkstätten des DHMD produzierten Gläserne Kühe, hergestellt 1982/83 für den Export nach Venezuela. © Foto: Gunther Binsack

Über dem Eingang der neuen Sonderausstellung mit dem so irreführenden wie zutreffenden Titel „VEB Museum“ prangt der goldene historische Schriftzug mit den Fragmenten der blauen Leuchtlinien. Das Fragezeichen hinter dem Wort Museum meint: So, wie wir heute das Hygiene-Museum kennen und schätzen, entwickelte es sich erst seit den 1990er-Jahren. In der DDR produzierte es dröge Ausstellungen mit strenger Ansage. Das Wort „edutainment“, also Bildung durch Unterhaltung, war noch nicht erfunden. Viel mehr aber produzierten in den Werkstätten, Ateliers und Büros 300 Menschen gläserne Figuren, Lehrtafeln, Modelle von Krankheitsbildern, Körpermodelle des sozialistischen Menschen, Aufklärungsfilme, Broschüren, Plakate ...

So ein Plakat in der Eckkneipe - konnte das den Alkoholmissbrauch verhindern? Es wurde 1959 von Joachim Rother entworfen.
So ein Plakat in der Eckkneipe - konnte das den Alkoholmissbrauch verhindern? Es wurde 1959 von Joachim Rother entworfen. © Deutsches Hygiene-Museum

Das Haus war trotzdem gut besucht – sowohl die Ausstellung, als auch die Gaststätte und vor allem der Festsaal, in dem von der Parteiversammlung bis zum Jazzkonzert vielerlei Veranstaltungen stattfanden. Als Exportbetrieb war das Hygiene-Museum ein wichtiger Devisenlieferant für die notorisch klamme DDR und wurde mit allem, was die Produktion am Laufen hielt, jederzeit gut versorgt.

Zwischen Festsaal und Frauenruheraum

Die Kuratorinnen Sandra Mühlenberend und Susanne Wernsing haben mit der Szenenbildnerin Susanne Hopf und dem Bühnenbildner Mathis Neidhardt einen Werksrundgang inszeniert. Sie schicken die Besucherinnen und Besucher in diverse Räume der Institution vom Vorzimmer bis in den Festsaal, vom Direktorat bis in die Werkstätten, vom Restaurant bis in den Frauenruheraum. So verknüpfen sie interne Geschichte(n) des Hauses mit gesellschaftlichen Entwicklungen und binden das DHMD einerseits ins Weltgeschehen, andererseits in den gelebten DDR-Alltag ein.

Manchmal führen sie dabei aber auch auf überraschendes Terrain: Wer im Vorzimmer die Sekretärin erwartet, die über alles und jeden Bescheid weiß und Besucher schmoren lässt, bis der Chef sich bequemt, wird staunen: Das Vorzimmer steht hier als Sinnbild für den Rückzug aus heiklen Themen wie Umweltverschmutzung, also für jene Räume, in denen Beschwerden ignoriert wurden. Wer sich in der DDR nicht traute, kann hier endlich mal eine Eingabe schreiben. Nichtbeantwortung garantiert.

Dramatische Situation 1990/91

Im VEB Glaskunst Lauscha wurden 1982 diese Glasaugen fürs Hygiene-Museum handwerklich gefertigt.
Im VEB Glaskunst Lauscha wurden 1982 diese Glasaugen fürs Hygiene-Museum handwerklich gefertigt. © Deutsches Hygiene-Museum

Mit ehemaligen Direktoren und Mitarbeiterinnen wurden Interviews geführt, die die Etappen aus verschiedener Sicht beleuchten. Doch ausgerechnet in den hochdramatischen Monaten 1990/91, als die Produktion an einen Hamburger Unternehmer verkauft, Entlassungen verkündet und wieder zurückgenommen wurden, und schließlich einige Monate später 240 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von einem Tag auf den anderen auf der Straße landeten, fehlen Zeitzeugen. Deren Lebenswege habe man nicht verfolgen können, sagt Kuratorin Susanne Wernsing. Wollen sie nicht sprechen? Das wäre verständlich. Oder verschaffen sie ihrem Frust längst woanders lautstark Gehör? Zwei, die weiterarbeiten durften, erinnern sich – allerdings an anderer Stelle in der Schau – an ihre gemischten Gefühle: Schockstarre. Hilflosigkeit. Verhaltene Freude. Scham und Mitgefühl gegenüber den Kollegen, die gehen mussten. Trotz dieser Fehlstelle ist „VEB Museum“ eine mutige, sehenswerte Ausstellung, in der viele in ihren Erinnerungen schwelgen können. Dafür sorgt nicht nur Kundi. Das Maskottchen, das Tipps zum Zähneputzen und Händewaschen gab und mit seinem Fernrohr den größten Dreckspatz und den kleinsten Keim entdecken konnte, steht prominent im ersten Raum. Als Kundi in den 90er-Jahren in den Ruhestand geschickt wurde, begann eine neue Epoche im Deutschen Hygiene-Museum. Aber damit sollen sich die Historiker im nächsten Jahrtausend beschäftigen.

Kundi, der freundliche Gesundheitswächter, war in den 80er-Jahren das Maskottchen des Hygiene-Museums.
Kundi, der freundliche Gesundheitswächter, war in den 80er-Jahren das Maskottchen des Hygiene-Museums. © dpa

Hier und heute ist die Frage, wie wir uns an die DDR erinnern, immer noch gut für Debatten. Die will diese Ausstellung neu befeuern und hat dafür das spannende Rahmenprogramm „89ff. Das lange Leben der DDR“ aufgelegt. Wer nach dem Ausstellungsbesuch Mitteilungsbedarf hat, kann vor Ort folgende Fragen beantworten: Ist die Wende zu Ende? Und: Wurde die in der DDR propagierte Solidarität auch im gesellschaftlichen Alltag gelebt?

  • VEB Museum“ bis 17. November im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, Lingnerplatz 1; geöffnet Di –So, Feiertage 10 bis 18 Uhr.