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"Die Kunst war wie ein Lebensmittel"

Teil 3 des SZ-Interviewprojekts "Kunstszene Ost": Punkige Frauenbilder von Angela Hampel sorgten in den 80er-Jahren auch im Westen für Aufsehen.

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Die Malerin Angela Hampel mischt sich nicht nur mit ihrer Kunst ins Zeitgeschehen ein.
Die Malerin Angela Hampel mischt sich nicht nur mit ihrer Kunst ins Zeitgeschehen ein. © Thomas Kretschel

Dresden. Angela Hampel, geboren 1956 in Räckelwitz bei Kamenz, lernte zunächst Forstfacharbeiterin und arbeitete auch als Kraftfahrerin, ehe sie an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste Malerei studierte. "Partnerschaft" war ihr Diplomthema, das sie bis heute weiterführt. In Mythologie und Geschichte, auf Reisen, auf Bergtouren und in unserer bedrohten Umwelt findet sie Inspirationen für ihre Gemälde, Grafiken, Installationen und Performances. Angela Hampel gründete 1990 die Künstlerinnenvereinigung Dresdner Sezession 89 mit. Sie lebt und arbeitet in Dresden.

Die 80er-Jahre werden in Dresden als Aufbruch in der Kunst beschrieben: Weg von der politischen Instrumentalisierung hin zur Individualität. Sie malten Punkerinnen. Woher kam das?

Aus meinem Inneren, aus meiner Anschauung der Welt. Das waren Reflexionen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, aber nicht vordergründig angelegt, um gegen den Stachel zu löcken. Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob das jetzt subversiv ist. Das war einfach der Versuch, künstlerisch umzusetzen, was ich dachte über die Zustände, über die Umstände. Ich wollte mich ja auch weiterentwickeln, besser werden in meiner Kunst. Ich bin keine Berufsoppositionelle. Es war nie mein Ziel, die DDR abzuschaffen oder in den Westen zu gehen. Ich war eines der "armen Mädels", die den Sozialismus verbessern wollten.

War das für Sie der Grund, in den Verband Bildender Künstler der DDR einzutreten?

Nein, du musstest im Verband sein, um als Künstler arbeiten zu können und eine Steuernummer zu bekommen. Ich habe 1982 mein Studium beendet und wurde Kandidat des Verbandes. Man hat 400 Mark bekommen pro Monat und konnte in aller Ruhe seinen Stil entwickeln und schauen, wohin die Reise geht. Nach anderthalb Jahren gab es eine Ausstellung, nach drei Jahren eine Aufnahmeprüfung. Ich wurde mit einer Gegenstimme aufgenommen.

Von wem kam die?

Von Rudolf Sitte, dem Bruder von Willi Sitte. Es hat mich unheimlich gekränkt, dass er meinte, meine Bilder hätten einen antisozialistischen Inhalt. Ich wähnte mich bei den "Guten". Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Und das hat Rudolf Sitte nicht gesehen?

Nein. Und das war nicht spaßig.

Waren ihm Ihre Bilder zu punkig?

Das kann sein. Ich selbst habe den Punk ja gar nicht als antisozialistisch gesehen. Einerseits habe ich mit Sascha Anderson sogenannte Untergrundbücher gemacht, andererseits aber Gerhard Bondzin nicht verdammt – obwohl er in meinen Augen ein Funktionärskünstler war. Aber das war – nur auf andere Art – auch Sascha Anderson, der Stasi-Informant. Bondzin hat neben dem, was er offiziell ablieferte, wunderbare Holzschnitte gemacht. Man sollte alle Facetten eines Menschen sehen.

Seit 1984 arbeiten Sie mit der Dresdner Galerie Mitte zusammen. Welche Rolle spielte Ihre erste Ausstellung dort?

Ich habe damals einen schweren Fehler gemacht, weil ich mit einem Mann ausstellte. Es hieß dann: Er hat die Ausstellung gemacht, und da war noch so ein Mädel dabei. Da habe ich zum ersten Mal mitbekommen, was das ist: Diskriminierung. Ich war immer "die von dem" oder "die mit den schönen schwarzen Haaren". Ich wurde selten über meine Arbeit definiert. Damals habe ich angefangen, mich mit Gleichberechtigung und Feminismus zu beschäftigen. Das war überlebenswichtig.

Sind Ihre Frauenfiguren deshalb so stark?

Meine Frauenfiguren speisen sich aus vielen Quellen, so aus Geschichte und Mythologie und natürlich auch aus meinen Erfahrungen. Ich habe mich ansatzweise mit diesen Figuren identifiziert, mit Penthesilea, Kassandra. Auch waren durch die vielen, guten Schriftstellerinnen und deren Geschichten genügend Leitbilder da. Ich denke an Maxie Wander und an Irmtraud Morgner. Sie waren wesentliche, frühe Schlüsselfiguren für die weibliche Emanzipation in der DDR.

Besonders intensiv war Ihr Kontakt zu Christa Wolf und zu Elke Erb. Wie kam das?

Christa Wolfs "Kassandra" erschien 1984, und das Buch hat mich umgehauen. Mehrere Grafiken habe ich dazu gemacht, all meinen Mut zusammengenommen und bin zu ihr gefahren, um ihr die Blätter zu zeigen. Mit klopfendem Herzen stand ich vor der Tür. Ich hatte das große Glück, dass ihr meine Arbeit gefiel. Das hat mich motiviert, mich weiter damit zu befassen. Penthesilea und Medea kamen hinzu. Dann lernte ich Elke Erb in Wuischke bei Bautzen kennen. Dort war ich sehr gerne. Ihre Texte waren eigen und anfangs sehr schwierig für mich. Dann sind sie in mich, in mein Herz gefallen – und herausgekommen sind Bilder.

War es für das Publikum eine große Anstrengung, sich mit mythologischen Figuren wie Penthesilea und Kassandra zu beschäftigen?

Ich denke nicht, denn die tauchten doch auch bei anderen Künstlern auf. "Medea" gab es von Pasolini. Im "Prometheus" von Fühmann gab es starke Frauen, und "Penthesilea" kam im Staatsschauspiel Dresden in einer immer ausverkauften Inszenierung von Wolfgang Engel heraus. Ganz zu schweigen von den vielen Bezügen in der Malerei. In einer Ausstellung von Gudrun Trendafilov, Steffen Fischer und mir im Club Passage war Wolfgang Engel zum Gespräch da, und der Raum war knackevoll. Auch kannten sich die Künstler untereinander: Maler, Dichter, Schauspieler, Tänzer. Das klingt jetzt ein bissel kitschig, wenn ich sage: Das war wie eine große Familie – mit all ihren Macken. Man wusste voneinander, und man hat sich oft aufeinander bezogen. Dadurch haben sich andere, neue Welten eröffnet. Das alles passierte vor oder mit Publikum.

Neben starken Frauenfiguren und Tieren treten auch immer Clowns in den Arbeiten von Angela Hampel auf.
Neben starken Frauenfiguren und Tieren treten auch immer Clowns in den Arbeiten von Angela Hampel auf. © Torsten Leupold

War das Publikum damals klüger als heute?

Klüger vielleicht nicht, aber definitiv wurde den Leuten der Weg zur Kunst leichter gemacht. In der DDR galt lange Zeit: Die Kunst dem Volke! Also mussten die Künstler unters Volk und die Brigaden zur Kunst. Viele Kollegen leiteten einen Zeichenzirkel in den großen Betrieben. Die Zirkel von Wolfgang Petrovsky in Bitterfeld und von Klaus Drechsler in Pirna existierten bis nach der Wende. Hinzu kam: Die Kunst hatte eine andere Funktion als jetzt. Sie war ein Lebensmittel. In der Presse wurden ja keine Problemdiskussionen geführt. Diese Rolle übernahm die Kunst und dürfte in Einzelfällen damit auch überfordert gewesen sein. Aber es entstanden großartige Kunstwerke. Was man gemacht hat, war daher immer auch politisch.

Wie sahen nach der Aufnahme in den Verband die Ausstellungsmöglichkeiten für Sie aus?

Gut. Es gab in Dresden zwar kaum private, aber pro Stadtbezirk eine Galerie. Auch größere Betriebe hatten Galerien sowie der Kulturbund. Es gab den Staatlichen Kunsthandel, der das Monopol hatte. Und es gab das Zentrum für Kunstausstellungen, das internationale Ausstellungen organisierte. Ich war 1984 das erste Mal im Westen. Meine Arbeiten waren unter anderem auch in Brasilien, in Japan, Italien, Finnland und in der Schweiz ausgestellt.

Wurde dort auch Kunst verkauft?

Ja, über den Staatlichen Kunsthandel und einzelne private Galerien. Es war später auch möglich, zu reisen. Wir brachten ja Devisen. Wir bekamen zehn Prozent des Verkaufserlöses in DM, der Rest wurde in DDR-Mark ausgezahlt.

Angela Hampel: "Die Ratten verlassen das sinkende Schiff" (Ausschnitt)
Angela Hampel: "Die Ratten verlassen das sinkende Schiff" (Ausschnitt) © Torsten Leupold

Konnten Sie von Ihrer Kunst leben?

Ja. Das war und ist ein großes Glück. Ich habe immer nur so viel verkauft, wie ich für meinen Lebensunterhalt unbedingt brauchte. Ich wollte meine Bilder behalten. Da wir so niedrige Mieten hatten, konnte ich damit gut leben.

Warum sind Sie mit Installationen und Performances von der Fläche in den Raum gegangen?

Ich sah im dreidimensionalen Arbeiten mehr Möglichkeiten, mich auszudrücken und mit dem Publikum in Kontakt zu kommen. Eine Installation kann man begehen, man kann sie anfassen, sie macht mitunter auch Geräusche und bewegt sich. Die Wirkung, die man mit einer solchen Arbeit erzielen kann, ist wesentlich größer, wenn man sie gut macht. Mit den Themen, die uns am Herzen lagen – Frauen, Umwelt, Gesellschaft – hat das meist funktioniert.

Wie darf man sich das vorstellen?

In der Ausstellung "A-ORT-A" in der Stadtbezirksgalerie Nord hatte ich mit Steffen Fischer, Matthias Jackisch und Maja Nagel in einer Installation das Thema Reisen umgesetzt. Am Boden lagen drei Figuren, eingewickelt in Turnmatten. De Fenster waren zugeschüttet mit Sand. Dazu ein kleines Köfferchen mit einem Seil. In der Installation "Offene Zweierbeziehung", ebenfalls mit Steffen Fischer, tanzte Hanne Wandtke. Das war eine komplett neue, spannende Dimension! Ab 1990 arbeitete ich auch mit Carla Börner. Es hat unheimlich Spaß gemacht, so etwas auszutüfteln. Der Musiker Uwe Donat, mein damaliger Mann, hat viele dieser Arbeiten begleitet.

Diese Installationen waren materialintensiv. Wie haben Sie sich besorgt, was Sie brauchten?

Mir kam zugute, dass ich einen "richtigen" Beruf gelernt hatte. Wenn man Material für eine Installation brauchte, ist man mit einem Päckchen Kaffee o. ä. in einen Betrieb gegangen und hat meist bekommen, was man brauchte. Das war wunderbar. Da warst du in einem völlig anderen Milieu – andere Ansichten, andere Leute. Die haben wir dann auch eingeladen. So hatten wir ein Publikum, das sich diese Sachen von alleine gar nicht angeschaut hätte.

Die Installation "Offene Zweierbeziehung" wurde auf der X. Bezirkskunstausstellung, die im Oktober 1989 eröffnet wurde, viel diskutiert.

Neun lebensgroße, in Netzen von der Decke hängende Figuren, die aussahen wie ich, zum Thema Geschlecht und Gesellschaft. Und unterm Hintern goldene Granaten. Bei "Fluß-Uferzone" ein Jahr vorher ging es um die Verschmutzung der Elbe. Die Elbe sah damals aus, als ob sie tot wäre. Als ich das in Heidenau zum ersten Mal sah, habe ich geheult und gedacht: Dazu mache ich was! Es war eine Rieseninstallation mit Licht und Musik und Performance. Vom Schlachthof hatten wir Tierschädel geholt, die haben wir in der Badewanne ausgeschabt. Ich denke, das wäre heute gar nicht mehr möglich.

Angela Hampel, "Traurige Ernte", gemalt 2016. (Ausschnitt)
Angela Hampel, "Traurige Ernte", gemalt 2016. (Ausschnitt) © Torsten Leupold

Also hatten Künstler auch in der DDR eine gewisse Narrenfreiheit?

Man konnte durchaus mal über die Stränge schlagen. Es gab Funktionäre in den Kulturinstitutionen, die beobachten sollten, dass da nichts Unziemliches passiert. Aber einige dieser Leute waren auf Seiten der Künstler. Der Glaube, dass man den Sozialismus reformieren kann, war ja auch bei einigen Funktionären vorhanden. Zum Beispiel war unter den Stasi-Spitzeln einer, der große Stücke auf mich hielt.

Er hat Sie bespitzelt und geschützt?

Ja, wir kannten uns, aber ich wusste nicht, dass er bei der Stasi war. Er hat aber offensichtlich dafür gesorgt, dass ich nicht unter Druck gesetzt wurde. Nach der Offenlegung der Akten gab es dennoch Überraschungen sehr unliebsamer Art. Das waren Leute aus meinem engeren Umfeld, bei denen ich das nicht vermutet hätte. Das hat wehgetan.

Wie haben Sie die Enttarnung von Sascha Anderson in den 90er-Jahre wahrgenommen?

Das war eine große Enttäuschung, auch bei mir. Andererseits habe ich über ihn Elke Erb und Wilfriede Maaß kennengelernt, zwei mir sehr nahe und wichtige Frauen. Das ist doch, was zählt, oder? Ich habe zwei der Künstlerbücher mit Sascha gemacht, von denen es hieß, sie seien geheim. Dabei wussten die Behörden im Vorfeld, wie hoch die Auflage ist, wer mitmacht, wer druckt. Das war für viele ein böses Erwachen – was aber manche nicht gehindert hat, weiter mit ihm zu arbeiten. Darüber sollten aber prinzipiell nur die Betroffenen reden. Das geht nur uns im Osten etwas an. Deshalb stehe ich den heutigen diesbezüglichen Aufgeregtheiten ablehnend gegenüber.

Es ist ja auch nicht uninteressant, wie die Stasi über Kunst geschrieben hat.

Putzig, sehr ulkig. Oder einfach doof. Es waren ja oft nicht die Hellsten, die zu Eröffnungen geschickt wurden. Abgesehen davon, dass ich traurig war über diesen oder jenen, habe ich auch sehr lachen müssen über das, was da geschrieben wurde. Als ich 1988 aus Italien kam, war mein Rucksack weg. Der kam einen Monat später. Bei meiner Akteneinsicht sah ich auf Mikrofilm den Inhalt meines Portemonnaies, mit jedem belanglosen Schnipsel. Irre.

Performance bei der Eröffnung der Ausstellung „Pechmarie und Goldmarie“ 1992 in der Galerie Trapez Potsdam mit Carla Börner
Performance bei der Eröffnung der Ausstellung „Pechmarie und Goldmarie“ 1992 in der Galerie Trapez Potsdam mit Carla Börner © privat

Sie haben auf dem X. Kongress des Verbandes der bildenden Künstler 1988 eine Rede über die Gleichberechtigung der Frauen gehalten und gefragt, warum unser Demokratieverständnis an der Geschlechtergrenze aufhört.

Diese Rede könnte ich heute noch mal genauso halten. Es ist traurig, dass unsere Bemühungen und unsere Kämpfe nicht gefruchtet haben. Mich hat das ja auch einen Teil meiner Reputation gekostet. Als Oberemanze und Staatskünstlerin gehandelt zu werden, ist nicht prickelnd. Heute hat man das Gefühl, dass die Zeit rückwärts läuft, dass frauenpolitisch Erkämpftes wieder auf dem Prüfstand steht.

Sie waren eine der Künstlerinnen, die Anfang 1990 die Dresdner Sezession 89 gründeten, einen der ersten Vereine, die in Dresden ins Register eingetragen wurden.

Dem ging 1987 die Ausstellung "Innen/Außen" von vier Künstlerinnen voraus. Es gab seitens einiger Kollegen Angriffe, weil nur Frauen ausstellten. Daraufhin habe ich den Verband gebeten, mir die Adressen aller Kolleginnen zu schicken und habe sie angeschrieben. Wir trafen uns dann regelmäßig, sprachen über Kunst, und wer ein Buch aus der Ecke der feministischen Erweckungsliteratur hatte, hat daraus vorgelesen, es weitergereicht. Und dann haben wir die Dresdner Sezession 89 gegründet.

Angela Hampel 1994 bei der Performance „Bachlauf“ am Auslaufbauwerk Gittersee (Uran-Abraumhalde) - mit Palucca-Schülerinnen innerhalb des Projekts "Mnemosyne memory" der Dresdner Sezession 89.
Angela Hampel 1994 bei der Performance „Bachlauf“ am Auslaufbauwerk Gittersee (Uran-Abraumhalde) - mit Palucca-Schülerinnen innerhalb des Projekts "Mnemosyne memory" der Dresdner Sezession 89. © privat


Die Vereinigung organisierte in den 1990er-Jahren großartige Aktionen wie das Wasserkunstprojekt "Mnemosyne".

Wir haben die Sezession in einer Zeit gegründet, in der alles auf Anfang stand. Der Enthusiasmus war unbeschreiblich. Die Veränderungen in der Gesellschaft sind aber auch an der Sezession nicht vorbeigegangen. Strukturen haben sich verhärtet, der Kampf an den Fleischtöpfen tobt. Der Stellenwert von Kunst hat sich verändert, und wir sind älter geworden, oft auch illusionsloser. Die Sezession ist eine der am längsten existierenden KünstlerInnen-Vereinigungen. Darauf sind wir stolz. Wir haben auf Qualität gesetzt, immer versucht, in der Galerie Drei gute Ausstellungen mit guter Kunst zu machen. Wir werden sehen, ob unsere Arbeit Spuren hinterlässt.

Interview: Sarah Alberti und Birgit Grimm

Angela Hampel, Selbst mit Flügeln. Mischtechnik auf Kapak.
Angela Hampel, Selbst mit Flügeln. Mischtechnik auf Kapak. © Schloss Burgk