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Asisi-Panometer: Dresden bekommt eine grüne Oase der Besinnung

Yadegar Asisi zeigt jetzt sein Panorama „Amazonien“. Das ist wunderschön und lässt einfach staunen. Der Künstler verbindet damit allerdings noch viel mehr.

Von Peter Ufer
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Das neue „Amazonien“ im Dresdner Panometer besteht aus mehr als 30.000 Fotos und gemalter Fantasie.
Das neue „Amazonien“ im Dresdner Panometer besteht aus mehr als 30.000 Fotos und gemalter Fantasie. © PR

Da steht ein roter Vogel zwischen grünen Ästen. Es ist kein Kolibri, kein Harpyie, kein Tukan. Es ist Yadegar Asisis Vogel. „Auch wenn es das Tier nicht gibt, ich habe es gesehen und außerdem brauche ich den roten Punkt in meinem Bild“, sagt der Maler. Er lässt auch den Mond zwischen den Ästen rücken, wie er es für richtig hält. Wie ein Regisseur in einem Theater inszeniert er Illusion. „Und die muss perfekt sein“, sagt der 70-Jährige.

Diesmal heißt sein Stück „Amazonien“, die Bühne steht in Dresden-Reick. Dort, wo Asisi schon seine Panoramen vom barocken Dresden oder „Dresden 1945“ zeigte, verwandelt er jetzt den Rundraum des alten Gasspeichers in einen Teil des Regenwaldes. 30 Meter lange Leinwände hängen an Alu-Traversen. Aus mehr als 30.000 Fotos und gemalter Fantasie besteht dieses Kunstwerk. Ein Kosmos aus Grün. Khakigrün, Jadegrün, Anisgrün, Wassergrün, Graugrün, Smaragdgrün, tausend Nuancen einer Farbe. Es grünt so grünt.

„Ich habe zuerst überhaupt nicht verstanden, was dieser Amazonas bedeutet“, sagt Asisi. Er wollte die Komplexität der Natur, in der vom Winzigsten bis zum Größten alles zusammenhängt, erfassen. Das Amazonasbecken liegt in einer riesigen Tiefebene, der Regenwald erstreckt sich über neun Staaten Südamerikas, Brasilien, Französisch-Guayana, Suriname, Guyana, Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien. Dieser größte botanische Garten der Welt umfasst sieben Millionen Quadratkilometer, etwa fünf Prozent der gesamten Landfläche der Erde. „Ich wollte dessen Schönheit zeigen, aber das ist mir zunächst nicht gelungen“, gesteht der Künstler.

"Amazonien" ist ein Kosmos aus Grün. Khakigrün, Jadegrün, Anisgrün, Wassergrün, Graugrün, Smaragdgrün und tausend weiteren Nuancen von Grün.
"Amazonien" ist ein Kosmos aus Grün. Khakigrün, Jadegrün, Anisgrün, Wassergrün, Graugrün, Smaragdgrün und tausend weiteren Nuancen von Grün. © PR

Der gebürtige Wiener und Sohn iranischer Eltern reist ab 2004 viermal nach Brasilien und sagt: „Ich konnte damals gerade so eine Blume von einem Baum unterscheiden, fühlte mich aber ein wenig wie Alexander von Humboldt.“ Der Naturforscher brach am 5. Juni 1799 mit Sextant, Fernrohr, Teleskop, Längenuhr, Barometer und Thermometer zu einer Forschungsreise nach Südamerika auf. Fünf Jahre lang reiste Humboldt durch das Gebiet. „Er dürfte zu Beginn ähnlich naiv wie ich gewesen sein“, sagt Asisi.

Er stopft sich vor seinen Reisen nie mit Wissen voll, sondern lässt alles offen auf sich einwirken. So auch in Brasilien. Bei der zweiten Reise beginnt der Maler mit Stiften auf Papier zu skizzieren. Und er tut etwas, was Humboldt noch nicht konnte, er fotografiert.
Später will Asisi mehr wissen von dieser einmaligen Landschaft. Sein Berater kam damals aus Leipzig. „Der leider bereits 2007 verstorbene Direktor des Botanischen Gartens der Universität Leipzig, Wilfried Morawetz, brachte mir als Erster diese Natur aus wissenschaftlicher Sicht näher“, sagt Asisi.

Seit 2003 realisiert Yadegar Asisi die größten Panoramen der Welt. Der in Wien geborene und in Sachsen aufgewachsen Künstler lebt und arbeitet seit 1979 in Berlin.
Seit 2003 realisiert Yadegar Asisi die größten Panoramen der Welt. Der in Wien geborene und in Sachsen aufgewachsen Künstler lebt und arbeitet seit 1979 in Berlin. © UNRAU FOTOGRAFIE

Die Vielfalt aus Höhen, Tiefen, Bergen sind Teil eines vor mehr als 150 Millionen Jahren weitaus größeren Flusssystems, das zum Urkontinent Gondwana gehörte. Aber eigentlich geht ihm diese Geschichte viel zu weit. Er will wissen, was jetzt dort passiert. Bei der nächsten Reise fährt er mit einem Boot den Rio Negro entlang, der den Äquator querend, in südöstlicher Richtung durch Brasilien fließt und unterhalb von Manaus in den Amazonas mündet. „Jeden Tag habe ich auf diesem Schiff gesessen und wie ein Verrückter gezeichnet, fand erste Strukturen“, sagt Asisi.

Eines Tages kletterte er mitten im Regenwald auf einen 50 Meter hohen wackligen Turm, auf den niemand klettern sollte. Unten stand ein Schild mit der Aufschrift „Lebensgefahr“. Oben angelangt, erschloss sich Asisi plötzlich seine Aussicht auf den Dschungel. Er erkannte endlich Teile des Natursystems und Synergien. „Im leichten Wahnsinn fotografierte ich, tausende Bilder, die ich dann zu Hause in meinem Berliner Atelier sortierte“, erklärt der Erfinder des modernen Panoramas. In einer langwierigen Puzzlearbeit setzt er am Computer sein digitales Amazonien-Bild zusammen und ergänzt es durch Malerei.

Erstmals präsentiert er das Ergebnis 2009 im Leipziger Panometer. Es gibt diesen einen Ort allerdings so nicht. Er zeigt seine Empfindung, seine Fantasie, die sich am realen Zustand orientiert und Zusammenhänge offenbart. Asisi bietet konstruierte Wirklichkeit an. Damit es für das Publikum im doppelten Sinn rund wird, setzt er rote Vögel ins Grün, stellt Ureinwohner neben einen Wasserfall, lässt Insekten über Blätter kriechen. „Verrückt bleibt, dass dennoch kaum jemand einen Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Szenerie äußert“, sagt Asisi. Das ist ein großes Theater. Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied.

Blick ins Dresdner Panometer, während die ersten "Amazonien"-Bahnen aufgehängt werden.
Blick ins Dresdner Panometer, während die ersten "Amazonien"-Bahnen aufgehängt werden. © Christian Juppe

Denn im Panorama ist der Mensch der Regisseur seines eigenen Blickes. Die Gäste erarbeiten sich durch das Gehen in eigener Geschwindigkeit das Thema, bestimmen selbst das Tempo ihrer sinnlichen Erfahrung. Es ist eine Art körperliches Sehen. Und je länger sich der Einzelne darauf einlässt, je mehr Details erkennt er. Das ist das Einzigartige dieser Kunstform, eine Oase der Besinnung, die alle Sinne anregt, selbst den Geschmack. „Panoramen sind meines Erachtens der Gegenentwurf zur Vielfalt der Bilder, insbesondere der bewegten Bilder, denen der Mensch heute ausgesetzt ist,“ sagt Asisi. Es ist eine Möglichkeit des entschleunigten Verstehens.

Sehen und Verstehen sind die großen Themen des Mannes, der von 1973 bis 1978 in Dresden Architektur und von 1978 bis 1984 Malerei in Berlin studierte. Seine Vorliebe für die Kunstform des Panoramas begann 1993 mit der Rekonstruktion des Panoramas „Das alte Rom. Mit dem Triumphzuge Kaiser Constantins im Jahre 312 n. Chr.“ von Alexander von Wagner und Josef Bühlmann in der Bundeskunsthalle Bonn. Asisi sagt: „Ich habe einfach nach dem schwarz-weißen Vorbild neu in Öl auf Leinwand in Farbe ganz klassisch gezeichnet. In einer Miniatur von vier Metern mal 60 Zentimetern entstand das Bild von der prächtigsten Kapitale der Antike. Und in dem Augenblick, als ich in diesem Panorama stand und es ansah, da erkannte ich die Kraft dieses Mediums, da entstand die Faszination.“

Letzte Handgriffe, bis im Panometer die neue "Amazonien"-Schau fertig installiert ist.
Letzte Handgriffe, bis im Panometer die neue "Amazonien"-Schau fertig installiert ist. © Christian Juppe

In 30 Jahren schuf Asisi 14 Panoramen wie „Everest“, das er von 2003 bis 2005 in Leipzig zeigte, „Rom 312“, das ab 2009 in Leipzig und ab 2011 in Dresden zu sehen war. „Die Kathedrale von Monet“ in Rouen gehört zu seinem Oeuvre, genau wie „New York 9/11“ oder „Carolas Garten“. In den vergangenen 20 Jahren besuchten seine Ausstellungen zwölf Millionen Menschen. Die sind zumeist verblüfft und ergriffen von der Kraft dieser Kunstform. Verstärkt wird das Sehen durch Tag- und Nachtrhythmen, Lichtspiele, Geräusche, Musik. Asisi hat schon immer moderne Technologien für seine Bildinszenierungen verwendet. „Künstliche Intelligenz kann ich dafür jetzt umso mehr nutzen“, sagt er.

Seit einiger Zeit erzählt er auf seinem eigenen Youtube-Kanal, wie er gestaltet und betrachtet. Der Hochschullehrer will sein Wissen weitergeben, denn zeichnen hält er für genauso wichtig wie schreiben und rechnen. „Mein künstlerisches Leben hat mich gelehrt, dass soziale Kompetenz zur Bildung der Zukunft gehört“, sagt er. Jegliches Wissen sei inzwischen abrufbar, aber es werde viel zu wenig genutzt. „Wir leben falsch, das zeigen nicht zuletzt die Kriege in dieser Welt.“ Als er im Amazonasbecken gesehen habe, wie die Ureinwohner dort friedlich miteinander lebten, sei ihm das erneut klar geworden. Es gehe um soziale Einbindung, die gegenwärtig allerdings zunehmend verloren gehe.

Sein „Amazonien“ erzählt von Schönheit, von Sinneswahrnehmung, von einer Zauberwelt der Natur, in die er sich eingebunden fühlt. Irgendwo inmitten des Grünwaldes hat sich der Künstler selbst hingestellt. Da steht er mit einem weißen Handtuch um die Schultern und staunt den Regenwald an. In Dresden kann das Publikum ab dem Wochenende in diese Welt eintreten.
Asisi plant jedoch längst neue Panoramen, von der Sächsischen Schweiz und Rügen zum Beispiel. Die zwei Landschaften will er in einem Bild zusammenbringen. Und irgendwann möchte er seine Panoramen vom barocken und zerstörten Dresden in zwei Panometern nebeneinander zeigen. Genug Platz dafür wäre in Dresden-Reick. „Ich werde ja wohl noch träumen dürfen“, sagt der Mann, der letztlich ein Realist ist.

  • Das Panometer Dresden hat Montag bis Freitag von 10 bis 17 Uhr sowie am Wochenende und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet.
  • Mehr Details gibt es hier.