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Dresdens große Trickfilm-Dame ist tot

Sieglinde Hamacher hat Defa-Animationsgeschichte geschrieben und Sachsens Filmlandschaft mitgestaltet. Kürzlich ist sie gestorben, mit 84 Jahren.

Von Oliver Reinhard
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1985 verriet uns Sieglinde Hamacher "Die Wahrheit um den Froschkönig". Die ist ziemlich ... speziell.
1985 verriet uns Sieglinde Hamacher "Die Wahrheit um den Froschkönig". Die ist ziemlich ... speziell. © Archiv DIAF

Sie gehört fast schon zum Inventar des Dresdner Programmkino Ost: die Trickfilm-Clique. Vier Damen in den besten Jahren, gestandene Veteraninnen des berühmten Defa-Trickfilmstudios, Freundinnen seit Jahrzehnten und begeisterte Kinogängerinnen, die noch lange nach Ende der Vorstellung beim Rotwein über das Gesehene redeten, scherzten, stritten, gerne auch mal über die Attraktivität des männlichen Hauptdarstellers.

Wenn nach Corona die Kinos wieder öffnen, wird die Clique nicht mehr dieselbe sein. Eine der Damen, die famose Sieglinde Hamacher, Urgesteinin des Defa-Studios, Mitbegründerin des Filmverbands Sachsen, unermüdliche Lobbyistin für die Kunst der bewegten Bilder, starb am 18. Dezember in einem Altersheim, wo sie seit einigen Monaten lebte, wie die SZ erst jetzt erfuhr. Sie wurde 84 Jahre alt.

Man darf es so vollmundig sagen: Sieglinde Hamacher hat die Defa-Trickgeschichte mitgeschrieben. Nach ihrem Volontariat für Bühnenbild an den Landesbühnen und am Staatstheater Dresden machte sie 1971 ihr Diplom als Theaterwissenschaftlerin an der Hochschule „Hans Otto“ in Leipzig und stieg gleich 1956 ein ins Dresdner Defa-Studio.

Für ihr Filmporträt "Zeitzeugengespräch" besuchte die Regisseurin Marion Rasche ihre Freundin Sieglinde Hamacher zuhause und hörte deren Erzählungen aus einem bewegten Künstler- und Frauenleben zu.
Für ihr Filmporträt "Zeitzeugengespräch" besuchte die Regisseurin Marion Rasche ihre Freundin Sieglinde Hamacher zuhause und hörte deren Erzählungen aus einem bewegten Künstler- und Frauenleben zu. © Screenshot SZ

Dort realisierte sie unzählige Trickfilme, als eine Art Exotin, denn Animationen mit Papier waren ein eher seltenes Genre. Sieglinde Hamacher erzählte nicht für Kinder, sondern lieber von und über die Erwachsenen, über unsere kleinen und großen Schwächen, treffsicher, gerne spitz, trotzdem zumeist liebevoll. Nicht alles, was sie traf, gefiel allen. Ihr Film „Kontraste“ war den Kulturoberen in Berlin 1982 zu abstrakt, zu wenig positiv. Man ließ ihn vernichten. Heimlich rettete die Regisseurin eine Kopie.

Sich selbst rettete Sieglinde Hamacher über die „Wende“ und das Ende des Trickfilmstudios 1991. Im Folgejahr wurde sie Mitglied der Landesmedienanstalt, Vize- Vorsitzende des Filmverbandes Sachsen, war aktiv in der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) und im Kultursenat. 2001 erfuhr sie die vielleicht schönstmögliche Würdigung: eine Hommage beim Dokfest Leipzig.

Wie zeitlos ihre Themen und ihre Kunst blieben, zeigt sich bald noch einmal: Im März werden einige ihrer Filme in Wien auf dem „Tricky Women“-Festival laufen. Nun als Teil des Vermächtnisses einer begabten, klugen, engagierten, auch mal rigide urteilenden, aber immer herz- und humorvollen Tricky Dame mit Haltung statt Allüren.