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Große Oper in der Operette: gefeierte "La Boheme"-Premiere in Dresden

In der Staatsoperette gab es nicht nun bewegendes Drama und große Kunst, sondern ein Willkommen für den neuen Hausregisseur und einen Abschied für den Chefdirigenten.

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Ein großes Paar: Jongwoo Kim als Rodolfo und Christina Maria Fercher als Mimì in der Staatsoperette Dresden.
Ein großes Paar: Jongwoo Kim als Rodolfo und Christina Maria Fercher als Mimì in der Staatsoperette Dresden. © Pawel Sosnowski

Von Jens Daniel Schubert

Bereits in Leuben hatte die Staatsoperette heitere Spieloper im Repertoire. Auch wenn der Fokus des Hauses in den letzten Jahren eher auf „Broadway in Dresden“ zielte, hindert das nicht, diese Tradition aufzugreifen und weiterzuführen. Puccinis populäre und bewegende Oper „La Bohème“, die am Wochenende Premiere hatte, ist ein großes romantisches Werk. Heiter ist die Geschichte um die Stickerin Mimi, die es in den illustren Kreis von vier Künstlerfreunden, jener titelgebenden „Bohème“, verschlägt, auch nicht wirklich. Schließlich endet sie für Mimi tödlich, die Freunde wie die Zuschauer zutiefst betroffen hinterlassend. Genau so war es auch am Samstag, bevor ein stürmischer, von Begeisterungsrufen aufgeheizter, nicht enden wollender Beifall losbrach. Ovationen für eine Aufführung, die rundum und auf höchstem Niveau gelungen war.

Chefdirigent Johannes Pell scheidet zum Ende der Spielzeit von der Staatsoperette Dresden.
Chefdirigent Johannes Pell scheidet zum Ende der Spielzeit von der Staatsoperette Dresden. © Jens Grossmann

Johannes Pell erfüllte sich mit dieser Oper einen letzten Wunsch als Chefdirigent dieses Hauses. Man konnte hören, mit welch großer Begeisterung er an die Interpretation des Werkes gegangen ist. Gleichzeitig war erlebbar, auf welch hohem Niveau das Orchester musiziert. Es zaubert klangliche Finessen, trägt Emotionen, begleitet sensibel die Sänger. Diese Musiker erfüllen das Haus mit Klang und die Hörer mit Begeisterung. Chor und Kinderchor ergänzen das hervorragend. Dazu kommt ein sehr solide besetztes Solistenensemble. Einige herausragende Leistungen ließen selbst kritischen Besuchern Herz und Ohren aufgehen. Während Pell mit „La Bohème“ seinen Abschied zelebriert, zeigt Matthias Reichwald, dass er als designierte Hausregisseur ein Glücksgriff ist: für das Haus, seine Ensembles und sein Publikum.

Reichwald erzählt die Geschichte geradlinig und nachvollziehbar. Er fokussiert auf die Personen und ihre glaubwürdig erlebbaren Beziehungen, ohne den Blick für das Ganze zu verlieren. Ob Chorszenen, kleine Nebenhandlungen oder für scheinbar jedes einzelne Kinderchormitglied individuelle Spielangebote. Schlussendlich setzt er eigene dramaturgische Akzente. Sie machen die Lesart besonders und holen das Stück aus der Ecke herzerweichender, aber lebensfremder Schmachtfetzen.

Wurde nun für seine Inszenierung gefeiert und startet als neuer Leitender Regisseur in der nächsten Saison an der Staatsoperette in Dresden: Matthias Reichwald.
Wurde nun für seine Inszenierung gefeiert und startet als neuer Leitender Regisseur in der nächsten Saison an der Staatsoperette in Dresden: Matthias Reichwald. © Lutz Michen

Insbesondere die Mimi hat er unter diesem Aspekt analysiert. Sie kommt nicht als von Krankheit gezeichnetes schutzbedürftiges Mädchen, sondern durchaus lebensfroh und selbstbewusst in diesen Freundeskreis. Sie gestaltet die Liebe, ist dem Poeten Rodolfo eine aktive Muse. Anders als die Bohèmiens, die am selbstgewählten armen, aber freien Leben als Künstler festhalten, will sie mehr als Selbstverwirklichung. So könnte man verstehen, dass sie im letzten Bild als Schwangere auftritt und mit ihrem Tod auch diese Hoffnung stirbt. Das ist tragisch, nicht nur traurig.

Christina Maria Fercher hat auch stimmlich eine sehr überzeugende Mimi gegeben. Selbst wenn Pell die Ritardandi weit auskostet und dem vorantreibenden Drive wenig Raum gibt, strahlt sie mit schöner, kraftvoller Höhe im Liebesglück. Da ist ihr Jongwoo Kim, der mit strahlendem Tenor die Partie des Rodolfo gibt, ein ebenbürtiger Partner. Zusammen mit Grzegorz Sobczak als Marcello reflektieren die beiden Freunde ihre so unterschiedlichen, aber für beide prägenden Lieben. Das klangvolle, spielerisch differenzierte und gerade auch in der finalen Betroffenheit bewegende Freundesquartett wird durch Bryan Rothfuss und Andreas Mattersberger trefflich ergänzt. Julie Sekinger gibt den koketten, aber nicht weniger emanzipierten Gegenentwurf zur Mimi, Marcellos angebetete Musetta.

Eindrucksvoll und wandelbar sind das Bühnenbild von Karoly Risz und die Kostüme von Toto. Die dominierende Dreiecksform, akustisch sicher ein Gewinn, schränkt die Spielfreiheit des zweiten Bildes zwar ein, kreiert aber großartige Effekte, wenn die glatten Wände plötzlich durchlässig werden, sich der Sternenhimmel über die Liebenden breitet oder die Enge aufbricht und einen Horizont öffnet, den letztendlich nur die tote Mimi erreicht. Die Freunde verbleiben im kunstvollen, aber dennoch begrenzenden Rahmen.

Wieder: 4., 15., 16., 26. und 27. 6.; Kartentel. 0351 32042222

Karten gibt es zudem hier.