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In der Semperoper brennen Bücher statt Ketzer

Im Dresdner „Don Carlo“ von Verdi beugen sich Könige und Gefühle der Staatsräson. Doch nur ein Sänger überzeugt restlos.

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Poetisch: Ein neues Vorspiel erzählt die Vorgeschichte der Liebe zwischen der jungen Elisabetta (Malwina Stepien) und dem jungen Carlo (Brian Scalini).
Poetisch: Ein neues Vorspiel erzählt die Vorgeschichte der Liebe zwischen der jungen Elisabetta (Malwina Stepien) und dem jungen Carlo (Brian Scalini). © Foto: Semperoper/Ludwig Olah

Von Jens Daniel Schubert

An der Semperoper wird geklotzt, nicht gekleckert. Zwischen der tollen „Norma“ von Bellini Anfang Oktober und der für Anfang November angekündigten Premiere von Rossinis „La Cenerentola“ kam am Freitag mit Verdi ein dritter großer Italiener heraus: Die eigentlich für die diesjährigen Salzburger Osterfestspiele geplante Inszenierung „Don Carlo“.

Wieder großartige Musik, ein stimmstarkes Solistenensemble, ein engagierter großer Chor, vielfarbiger Orchesterklang der Staatskapelle, diesmal unter der einfühlsamen Leitung von Ivan Repusic. Wieder eine opulente Inszenierung mit einem eindrucksvollen Bühnenbild, viel zu schauen und Futter zum Mitdenken. Heike Scheele und Frauke Schernau waren für den optischen Rahmen verantwortlich, die Inszenierung stammt von Vera Nemirowa. Vor- und Zwischenspiel, für diese Inszenierung neu von Manfred Trojan komponiert, führt die Geschichte des Liebespaares Don Carlo und Elisabetta vor Augen.

Dieser Einstieg verweist auf die Kerngeschichte der Oper. Es ist der wiederkehrende Konflikt individuellen Glücksanspruches in machtpolitischen Konstellationen. Die Liebe von Carlo und Elisabetta kann sich nicht erfüllen, weil sein Vater Filippo die junge Prinzessin heiratet und sie einwilligt, um den Krieg zwischen Spanien und Frankreich zu beenden. Carlo entsagt ihr, um sich in den Dienst freiheitsstrebender Flanderer zu stellen. Als deren Fürsprecher wird Posa scheinbar zum Verräter des geliebten Freundes Carlo.

„Henkersknechte“ in schwarzen Uniformen

Wie sich politische und emotionale Beziehungen bedingen, beeinflussen, wie allzu Menschliches und Unmenschliches nebeneinanderstehen, wird in oftmals dichten und sehr genau gearbeiteten Szenen erlebbar. Das sind die berührenden Momente dieser Inszenierung.

Gekoppelt hat die Regisseurin diese Geschichte mit einem Bild, das die politischen Zuspitzungen und Ungerechtigkeiten, das autoritäre System aus dem mittelalterlichen Spanien näher ans Heute zu holen versucht. Dabei wählt sie das Buch als Synonym für Aufklärung, humanistischen Ansatz und Freiheitsgedanken. Folgerichtig ist das Autodafé, eigentlich das Inquisitionsurteil über Ketzer, eine Bücherverbrennung. Das „Volk“ trägt Abendkleidung, der erhellte Zuschauersaal bezieht demonstrativ das Publikum ein. Die „Henkersknechte“ tragen schwarze Uniformen, die an Faschisten gemahnen.

Diese Szenen sind groß organisiert, theatralisch im Ausmaß, einprägsam in den Bildern und eindeutig in der Aussage. Der Bezug zur Kernhandlung allerdings ist nicht zwingend, wirkt häufig konstruiert.

Nur ein Sänger überzeugt restlos

Wenn Carlo seinem Freund Posa eröffnet, er können wegen seiner Liebe zu Elisabetta keinen klaren Gedanken fassen, sich dann aber geradezu begierig auf die mitgebrachte Literatur stürzt oder andererseits Posa ihm sein Selbstopfer gesteht und er gedankenschwer an irgendwelchen Schriftstücken arbeitet, dann behindert die dramaturgische Absicht den eigentlich komponierten Vorgang. Zusätzlich verliert die Szene, die in einer großen Bibliothek beginnt, über ein prächtiges Badehaus ins flammenlodernde Tribunal führt, im zweiten Teil deutlich an optischen Impulsen. Der Inszenierung glückt es seltener, wirklich intime Begegnungsräume zu schaffen.

Dazu kam, dass einzig Andrei Bondarenko als Posa uneingeschränkt spielerischen Ausdruck und sängerische Brillanz verbinden konnte. Vitalij Kowaljow als Filippo differenzierte nachfühlbar zwischen menschlicher Gebrochenheit und eiserner Härte, blieb als Figur aber klein. Dinara Alieva gab die Elisabetta abgeklärt und ernüchtert, Herzlichkeit und Wärme waren nur selten zu erleben. Riccardo Massi als Carlo war strahlend hilflos, sein Spiel die Verbindung von Posen. Kraftvoll, von überbordender Emotionalität nahm Anna Smirnova als Eboli für sich ein.

Der Lockdown war eine lange Pause, in der nicht nur dem Publikum die Oper, sondern auch den Sängern die Auftritte, den Stimmen das Training, dem Spiel die Partner fehlten. Auch beim Applaus hat man schon frenetischeren Jubel erlebt. Aber jetzt läuft sie wieder an, die große Oper.

Wieder am 24. 10. und 7. 11.; Kartentel. 0351 4911705