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Keine Kompromisse! Wie Dresdens neuer Chefdirigent gefunden wurde

Ein Gespräch mit Philharmonie-Intendantin Frauke Roth über Ablauf, Kriterien und Ausgeschlossenes bei der Wahl von Sir Donald Runnicles.

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Der Schotte Sir Donald Runnicles soll ab der Spielzeit 2025/26 neuer Chefdirigent der Dresdner Philharmonie werden und bereits ab Sommer 2024 designierend wirken. Wenn die Stadt Dresden mitspielt.
Der Schotte Sir Donald Runnicles soll ab der Spielzeit 2025/26 neuer Chefdirigent der Dresdner Philharmonie werden und bereits ab Sommer 2024 designierend wirken. Wenn die Stadt Dresden mitspielt. © PR

Der schottische Dirigent Sir Donald Runnicles sei allererste Wahl, sagt die Intendantin der Dresdner Philharmonie, Frauke Roth. Sie hat mit den Deal eingefädelt, dass der heute 69-Jährige ab der Spielzeit 2025/26 neuer Chefdirigent der Dresdner Philharmonie werden soll. Er würde der Nachfolger von Marek Janowski sein, der bereits 2020 angekündigt hatte, sein Amt Ende der Saison 2023 aufzugeben. Runnicles gilt als international hochgeschätzter Dirigent. Für seine Verdienste um die Musik wurde er von der Queen 2020 in den Ritterstand erhoben. Ein Gespräch mit Frauke Roth über Besonderheiten seiner Wahl und welche Kompromisse man eingeht oder eben auch nicht.

Frauke Roth ist seit 2015 Intendantin der Dresdner Philharmonie. Die heute 56-Jährige profilierte in ihrer Amtszeit das Konzertangebot der Philharmonie und ihrer Chöre erheblich und steigerte die Besucherzahlen deutlich.
Frauke Roth ist seit 2015 Intendantin der Dresdner Philharmonie. Die heute 56-Jährige profilierte in ihrer Amtszeit das Konzertangebot der Philharmonie und ihrer Chöre erheblich und steigerte die Besucherzahlen deutlich. © Bitte mit der Vignette "Bühne i

Frau Roth, wieso hat es so lange gedauert, um einen neuen Chef zu finden? Sind Dresden, die Dresdner Philharmonie und der Kulturpalast unattraktiv?

Nein, im Gegenteil! Dresden ist eine Musikstadt, und die Arbeitsbedingungen im Kulturpalast und im Konzertsaal sind Weltklasse. Dazu haben wir hochengagierte Musikerinnen und Musiker und ein super funktionierendes Team. Und nach der Arbeit mit Marek Janowski lag nun die Latte für Chefdirigenten besonders hoch, deshalb ist „so lange“ relativ. International so gefragte Dirigenten wie Sir Donald Runnicles stehen nicht unentwegt für Absprachen zur Verfügung, außerdem brauchen Entscheidungs- und Abstimmungsprozesse im Orchester und zwischen Landeshauptstadt und Dirigent ihre Zeit. Genau vor einem Jahr war der Sir das erste Mal am Pult des Orchesters, das ist wirklich nicht lange für so einen Prozess.

Der alte Chefdirigent hatte sehr zeitig seinen Abschied angekündigt. Wann haben Sie mit der Suche nach einem oder einer Neuen begonnen?

Die Suche nach dem nächsten Chef oder der nächsten Chefin läuft ständig, so war es auch bei der Nachfolge für Marek Janowski. Meist ist schnell klar, mit welchen Dirigentinnen oder Dirigenten das Orchester gern und qualitätvoll zusammenarbeitet. So entsteht eine Profilierung.

Marek Janowski war zuletzt der Chefdirigent der Philharmonie und brachte die Dresdner Musiker auf ein neues, international sehr angesehenes Niveau.
Marek Janowski war zuletzt der Chefdirigent der Philharmonie und brachte die Dresdner Musiker auf ein neues, international sehr angesehenes Niveau. © Archiv: Matthias Rietschel

Wie kann man sich die Auswahl oder Suche nach einem Chefdirigenten vorstellen?

Das beginnt mit Einladungen an Dirigentinnen und Dirigenten, die man anderswo erlebt hat und interessant findet. Zu jedem und jeder bildet sich das Orchester nach dem gemeinsamen Projekt eine Meinung. Sie überlegen auch, ob sie sich sie oder ihn als Chefdirigenten vorstellen können. Aufgabe des Orchestervorstandes ist es, dieses Feedback mit der Leitung zu diskutieren. Wenn jemand infrage kommt, nimmt die Intendanz den Kontakt auf. Und falls das Interesse gegenseitig ist, werden konkrete Gespräche geführt. Am Ende bittet die Intendanz die Landeshauptstadt, Vertragsverhandlungen zu führen. Sind die abgeschlossen, entscheidet der Stadtrat…

Spielen da Namen oder ein bestimmtes Repertoire eine Rolle?

Namen dann, wenn man bereits weiß, dass sie für eine hohe Qualität stehen, und natürlich schauen wir auch auf ihr Repertoire, aber beides für sich sind einzelne Bausteine. Es müssen noch mehr zusammenkommen, damit ein gemeinsames Haus entsteht.

Wie groß ist derzeit die Verführung, eine Dirigentin gewinnen zu wollen, weil es Mode ist, Frauen zu engagieren?

Wir machen keine Kompromisse, was künstlerische Qualität und internationale Erfahrung betrifft. Ob es da um eine Frau geht oder einen Mann, spielt keine Rolle. Inzwischen ist es völlig normal, dass wir unterschiedslos Dirigentinnen und Dirigenten anfragen. Da entscheiden dann neben der erwarteten Qualität auch das Repertoire und die zeitliche Verfügbarkeit.

Haben Sie als Intendantin ein Vorschlags- oder Mitspracherecht?

Ja, es gehört sogar zu meinen Kernaufgaben, geeignete Dirigentinnen und Dirigenten zu suchen und dem Orchester vorzuschlagen. Am Ende sind Chefdirigentin oder Chefdirigent und ich enge Partner bei der Profilierung des Orchesters.

Können sich Dirigenten offensiv beim Orchester bewerben?

Nein, ein Bewerbungsverfahren, wie man das von woanders kennt, gibt es bei Orchestern des Ranges wie der Dresdner Philharmonie nicht. Es kommt vor, dass Dirigentinnen oder Dirigenten sich zur Qualität von Orchester und Saal so äußern, dass man es als Interesse verstehen kann, aber das hat natürlich keinen formalen Charakter.

Blick in den neuen, architektonisch und akustisch hervorragenden Saal des jahrzehntealten Kulturpalastes, der Heimstätte der Dresdner Philharmonie.
Blick in den neuen, architektonisch und akustisch hervorragenden Saal des jahrzehntealten Kulturpalastes, der Heimstätte der Dresdner Philharmonie. © Peter Hilbert

Nachdem das Orchester entschieden hat, was passiert dann?

Die Intendanz hat ein Mandat, mit dem Kandidaten oder der Kandidatin ins Gespräch zu kommen. Wenn es zu einem prinzipiellen Einverständnis kommt, bitte ich die Stadt, Vertragsverhandlungen aufzunehmen. Damit ist in unserem Fall dann das Amt der Kulturbürgermeisterin betraut. Wenn der fertige Vertrag paraphiert ist, geht er in die vorgesehenen Stadtratsausschüsse und dann zur finalen Beschlussfassung in den Stadtrat. Erst wenn der Souverän den Vertrag gebilligt hat, ist die Chefin oder der Chef bestätigt.

Wenn einem Kandidaten klar ist, dass er Chef werden soll, besteht da nicht die Gefahr, dass er in den Vertragsverhandlungen ganz, ganz viel für sich rausholen will?

Was heißt Gefahr? Verhandlungen heißen ja so, weil man sich im Gespräch auf eine gemeinsame Position einigen will. Dabei gehen wir immer von Mitte und Maß aus, das habe ich auch auf Seiten der Künstler nie anders erlebt.

Wie sind Ihre Erfahrungen: Verhandeln Dirigenten nur zum eigenen Vorteil, oder verhandeln sie auch Dinge fürs Orchester?

Die härteste Währung bei Künstlern dieser Liga sind die künstlerischen Arbeitsbedingungen und ihre Entwicklungsmöglichkeiten mit dem Orchester. Natürlich ist es ganz normal, dass bei Vertragsverhandlungen beide Seiten versuchen, die eigenen Vorstellungen unterzubringen, von „eigenem Vorteil“ würde ich da nicht sprechen. Tatsächlich gibt es Fixpunkte wie die Anzahl von Konzerten und Gastspielreisen, die ein solcher Vertrag enthalten muss, das sind ja auch Dinge, die im Sinne des Orchesters sind. Und heutzutage ist es selbstverständlich, dass Aufnahmen und ihre Nutzungs- und Verwertungsrechte vertraglich genau geregelt sind. Früchteteller kommen in einem Chefdirigentenvertrag nicht vor…

Was passiert, wenn ein Chef seinen Verpflichtungen nicht nachkommt?

Da gibt es wie bei allen Verträgen Sanktionen, wobei es natürlich davon abhängt, worum es konkret geht. Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Krankheit, höhere Gewalt – da haben wir alle durch Corona noch einmal an Erfahrung dazugewonnen.

Das Gespräch führte Bernd Klempnow.