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Kunst für Sachsen: Ein üppiger Strauß

In einer Serie stellen wir bedeutende Erwerbungen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden vor. Heute: Scherenschnitte von Philipp Otto Runge .

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im Dresdner Residenzschloss sind diverse Museen untergebracht, auch das Kupferstich-Kabinett.
im Dresdner Residenzschloss sind diverse Museen untergebracht, auch das Kupferstich-Kabinett. © SAE Sächsische Zeitung

Von Stephanie Buck

Zarte Veilchen, eine frühlingsfrische Narzisse, eine üppige Tulpe, zierliche Maiglöckchen, ein dorniger Rosenzweig und eine sommerliche Mohnblume, saftige Johannisbeeren, Wein- und Eichenlaub, sowie zwei weitere Pflanzen, deren Namen noch Rätsel aufgeben: Dieser üppige Strauß heimischer Pflanzen und Früchte konnte in der letztjährigen Sommerauktion bei Grisebach in Berlin für das Dresdner Kupferstich-Kabinett gepflückt werden. Typisch für unser Museum, das seit mehr als 300 Jahren Zeichnungen, Druckgrafiken und Fotografien sammelt, handelt es sich doch um aus Papier gefertigte Meisterwerke, Scherenschnitte, wie sie kunstvoller kaum sein könnten.

Philipp Otto Runge, Veilchen
Philipp Otto Runge, Veilchen © © SKD, Kupferstich-Kabinett, Foto: Grisebach GmbH

Sie stammen von dem neben Caspar David Friedrich wohl bedeutendsten deutschen Romantiker, dem 1810 mit nur 33 Jahren verstorbenen Philipp Otto Runge, der die Kunst des Scherenschnitts leidenschaftlich praktiziert hat. Einmal sagte er, die Schere sei eine Verlängerung seiner Finger, so selbstverständlich konnte er mit dem Werkzeug filigrane Formen aus einem Blatt Papier schneiden. Blumen und Blätter bewahren bei ihm die Lebendigkeit ihres organischen Wachstums, und durch die Konzentration auf den Umriss wirken die Silhouettenschnitte gleichzeitig klar und präzise, wie Essenzen der Natur.

Philipp Otto Runge, Maiglöckchen
Philipp Otto Runge, Maiglöckchen © © Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Grisebach GmbH

Runges weiße Scherenschnitte gehören zu den großen Schätzen grafischer Sammlungen. Doch obwohl der Künstler als Student zwischen 1801 und 1804 lange in Dresden weilte, im engen Austausch mit Caspar David Friedrich stand, in dieser wichtigen Zeit auch Goethe traf, der ihn schätzte, und Runge durch seine Dresdner Frau Pauline Bassenge zudem persönlich mit der Stadt verbunden blieb, fehlten seine Scherenschnitte bisher im Dresdner Kupferstich-Kabinett.

Philipp Otto Runge, Hahnenfuß
Philipp Otto Runge, Hahnenfuß © © Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Grisebach GmbH

Natürlich kann nicht alles gesammelt werden, doch wurden Runges Scherenschnitte in den letzten Jahren immer wieder schmerzlich vermisst, wenn es um die Auswahl von Werken für unsere Ausstellungen im Kupferstich-Kabinett ging. Durch ihre Modernität bieten sie Anknüpfungspunkte zu so vielem in der Kunst des 20. Jahrhunderts bis in unsere heutige Zeit. Immer einmal wieder wurden einzelne Beispiele im Handel angeboten, doch liegt für unsere Erwerbungen die Latte an Anforderungen für unsere Bewerbungen hoch. Nicht nur müssen die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, sondern gerade bei alter Kunst muss die Herkunft einer Neuerwerbung bis zur Entstehung möglichst lückenlos zurückverfolgt werden können, denn es entspricht unserer Verantwortung als öffentliches Museum, die Werkprovenienz auf die Rechtmäßigkeit des Erwerbs auch bei früheren Besitzern zu prüfen. Hinzu kommt der Erhaltungszustand, der möglichst gut sein muss. Papier ist ein lichtempfindliches fragiles Medium. Es reißt und verfärbt leicht. Runges weiße Scherenschnitte leben auch aus der Leuchtkraft des weißen Papiers, das zur Projektionsfläche für unsere Vorstellungskraft werden kann. Schließlich suchten wir kein einzelnes Werk, sondern eine Pflanzengruppe, um die Vielfalt und den Reichtum von Runges Erfindung zu verstehen. Wie beim Binden eines Straußes sollten die Blumen unterschiedlich arrangiert werden. Darin kommt auch die konzeptuelle Bedeutung der Scherenschnitte erst voll zur Geltung.

Philipp Otto Runge, Weinlaub
Philipp Otto Runge, Weinlaub © © SKD, Kupferstich-Kabinett, Foto: Grisebach GmbH

Bei all dem Wenn und Aber konnte ich es kaum glauben, als ich im Frühjahr hörte, das Auktionshaus Grisebach würde bei uns in Dresden in der Hochschule für Bildende Künste eine ganze Gruppe von Runges begehrten Scherenschnitten zeigen, die wenige Wochen später in Berlin auktioniert werden sollten. Und noch weniger wollte ich meinen Augen trauen, als ich die 14 prachtvollen Blüten und Blätter dann erstmals sah. Frei schwingend waren sie einzeln montiert, hervorragend erhalten, und die Provenienz konnte besser nicht sein. Die Scherenschnitte waren von Runge direkt in den Besitz der befreundeten Hamburger Familie Speckter gelangt, die sie bis heute verwahrt hatten. Dass wir diese einmalige Chance ergreifen mussten, war uns klar. Unser Ziel war, eine Gruppe von mindestens fünf, lieber sieben Blättern zu ersteigern, doch mussten dafür Freunde gefunden werden, die sehr kurzfristig die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen konnten, denn das vorhandene Ankaufsbudget des Kupferstich-Kabinetts war für dieses Vorhaben viel zu gering. Es war beglückend zu sehen, wie schnell drei der großen privaten Kunststiftungen in Deutschland, die Ernst von Siemens Kunststiftung, die Hermann Reemtsma Stiftung und die Rudolf August Oetker Stiftung sowie private Sammler und Freunde des Kupferstich-Kabinetts unsere Begeisterung teilten, so dass am Auktionstag die nötige Summe zum Bieten vorhanden war. Auch die notwendigen wissenschaftlichen Gutachten wurden von Kollegen beigesteuert. Der Auktionstag selbst stand für uns unter einem besonders guten Stern, denn es gab nur wenige Gegenbieter und unsere gesammelten Mittel reichten schließlich für nicht weniger als elf Scherenschnitte! Dieses spektakuläre Ergebnis hätten wir uns nicht träumen lassen.

Stephanie Buck ist Direktorin des Kupferstich-Kabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Stephanie Buck ist Direktorin des Kupferstich-Kabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. © SAE Sächsische Zeitung

Die Erwerbung kam rechtzeitig zum Caspar-David-Friedrich-Jahr 2024. Der kreative Austausch zwischen den beiden großen Romantikern Friedrich und Runge wird in unserer Jubiläumsausstellung thematisiert werden und die Scherenschnitte können ab 24. August im Albertinum bewundert werden.