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Letzte Dresdner Thielemann-Produktion: Träume und Albträume

Richard Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“ war die letzte Premiere mit Chefdirigent Christian Thielemann am Pult der Semperoper. So kam sie beim Publikum an.

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Märchenhaftes und Mystisches prägen die Produktion der „Frau ohne Schatten“. Nicht jedes Bild enträtselt sich, nimmt aber visuell gefangen.
Märchenhaftes und Mystisches prägen die Produktion der „Frau ohne Schatten“. Nicht jedes Bild enträtselt sich, nimmt aber visuell gefangen. © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Von Jens Daniel Schubert

Es war der Abend des scheidenden Chefdirigenten Christian Thielemann. Zu seiner letzten Premiere in dieser Funktion als Chef der Staatskapelle an der Semperoper am Samstag wurde er schon mit sich steigernden Ovationen am Pult der Kapelle begrüßt. Als er nach knapp vier Stunden mitreißender Interpretation von Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“ auf die Bühne kam, jubelte man ihm euphorisch zu. Und mit der Geste, auch das Orchester für den Schlussapplaus auf die Bühne zu holen, wurde noch einmal eindrücklich unterstrichen, wo der Akzent dieses Opernabends gesetzt war. Der Jubel wollte auch nach einer Viertelstunde noch nicht enden.

Und Evelyn Herlitzius als Hexe

Thielemann, die Kapelle in Graben und Proszeniumslogen und die Sänger auf und hinter der Bühne zelebrierten den Dresdner „Hausgott“ in der ganzen erwarteten Bandbreite. Großartig schwelgend, zart zurückgenommen, dramatisch zupackend, raffiniert in den Klangfarben mischten sich Orchester, Staatsopern- und Kinderchor sowie die vielen kleinen und mittleren Rollen. Die Protagonisten zeigten sich auch im vollen Orchestersound stark genug, differenziert zu gestalten.

Evelyn Herlitzius ist die Hexe und Zauberin, die Akteurin zwischen den Welten, fanatisch, unberechenbar, manipulativ, fesselnd intensiv in Darstellung und Gesang.
Evelyn Herlitzius ist die Hexe und Zauberin, die Akteurin zwischen den Welten, fanatisch, unberechenbar, manipulativ, fesselnd intensiv in Darstellung und Gesang. © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Eine Entdeckung für die Dresdner sind Oleksandr Pushniak und Miina-Liisa Värelä, die als Färberpaar Barak ihre Hausdebüts gaben. Sie zeigen eindringlich vertraut-gewohntes Zusammenleben, aus dem auszubrechen die Sehnsucht nach Rückkehr bewusst werden und alle Mühen auf sich nehmen lässt. Camilla Nylund und Eric Cutler sind das Kaiserpaar, dessen Liebe von Anfang an gesetzt ist. Kinderlosigkeit, die zu seiner Versteinerung führen wird, ist ihr die Herausforderung, jeden Kosmos der Menschen- und Geisterwelt zu durchschreiten, bis auf den Grund des Lebens zu tauchen. Bewegend zeigt Camilla Nylund ihr Dilemma, mit der Rettung des Geliebten Baraks Frau preiszugeben. Zwischen den Paaren steht die Amme als getriebene Antreiberin. Evelyn Herlitzius ist die Hexe und Zauberin, die Akteurin zwischen den Welten, fanatisch, unberechenbar, manipulativ, fesselnd intensiv in Darstellung und Gesang. Während sie bei Hofmannsthal/Strauss scheitert, ist sie in dieser szenischen Deutung diejenige, die noch im Schlussbild die glücklich vereinten Paare neu mischt, die Welt spaltet und einsam in der Mitte bleibt.

So reich, vielfältig und komplex wie die Musik ist auch die Handlung durch verschiedene Ebenen und Weltentwürfe nicht linear in einem Melodiebogen abzubilden. Die Rolle der Frau, das Ideal ehelicher Treue und Kinderwunsch, nach Selbstverwirklichung und Aufgabe als Mutter, alles geprägt von den bürgerlichen Vorstellungen am Anfang des vorigen Jahrhunderts, werden in einer märchenhaften Handlung, in einem mythisch aufgeladenen Sujet verhandelt.

Bühnenbildner Patrick Bannwart hat ein aus schwebenden Vorhängen luftiges Wolkenschloss für die Liebe des Kaiserpaares und eine verkommene Werkstattbehausung für die Färber gebaut. Mit der Kabine eines Industriefahrstuhls gelangen Amme und Kaiserin von einer Welt in die andere. Bild- und Videoprojektionen ergänzen die Szene, bauen Stimmungen und machen die Welten transparent.

Moana Stembergers Kostüme kontrastieren die märchenhaften Gewänder der Geisterwelt mit der proletarischen Robustheit der Menschen. Baraks Frau mit Kittelschürze und Gummistiefeln, ständig rauchend, ihr Mann mit Hosenträgern, schäbigem Fernsehsessel und Bierpullen. Dagegen stehen lange Gewänder und archaische Frisuren der Götterboten.

Fragen, wenn der Applaus verebbt

Die Regie von David Bösch ist repertoiretauglich und umbesetzungsfreundlich. Die Positionen der Sänger und die Änderung der Arrangements im Bild sind klar definiert, die Optik drumherum erzählt die wesentlichen Inhalte. Der Blick zum Dirigenten ist für die Sänger uneingeschränkt möglich. Im Zentrum der Inszenierung steht nicht theatralisches Spiel, sondern der Gesang, stimmliche Präsenz und Differenzierung. Was dazwischen an Rollengestaltung und Figurenbeziehungen passiert, wie sich die gesangliche Interpretation in Blicken und Gesten, Impulsen und Reaktionen szenisch zeigt, hängt von der Persönlichkeit des Interpreten, seiner Durchdringung der Rolle ab.

„Die Frau ohne Schatten“ hat ein gesellschaftliches Bild von Ehe und Familie mit dem Fokus auf die Rolle der Frau im mythischen Gewand in Töne und Klänge gegossen. Zu Strauss’ Zeiten war es ein gefährdetes, aber mehrheitlich akzeptiertes Ideal. Das ist heute anders. Wenn eine Interpretation, die zwischen überliefertem Werk und heutigem Zuschauer vermittelt, dieser gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung tragen sollte, so ist das in dieser Inszenierung nicht sichtbar geworden.

Vielleicht täte es dem Werk Abbruch? Könnte eine heutige szenische Interpretation das musikalische Schwergewicht der Oper ausbalancieren? Das bleibt eine offene Frage, wenn Applaus und Euphorie verklungen sind.

Termine: 27. und 30. 3. sowie 2. 4.: Kartentel. 0351 4911705