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Christian Thielemann interpretiert Beethoven

Maestro Thielemann inszeniert mit der Dresdner Staatskapelle Beethovens Sechste und Siebte in der Semperoper als starkes Kontrastprogramm.

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Ein Maestro mit sichtbarer Freude an „epischem Maiengrün und entfesselten Energien“ der Sechsten und Siebten von Beethoven beim Konzert der Staatskapelle in der Semperoper.
Ein Maestro mit sichtbarer Freude an „epischem Maiengrün und entfesselten Energien“ der Sechsten und Siebten von Beethoven beim Konzert der Staatskapelle in der Semperoper. © Matthias Creutziger

Von Jens-Uwe Sommerschuh

Die Kopplung von Beethovens sechster und siebter Sinfonie, mit der die Sächsische Staatskapelle Dresden in der Semperoper dieser Tage dreimal jeweils reichlich 300 Besucher beglückte, firmierte unter dem Motto „Variation“. Chef Christian Thielemann hätte seine Interpretation auch mit „Kontrast“ überschreiben können, denn zwischen dem romantischen Breitwandgemälde der „Pastorale“ und der rhythmischen Raffinesse und energetischen Dichte der A-Dur-Sinfonie lagen durchaus Welten.

In die Beethoven-Rezeption ist in den vergangenen Jahren dank Paavo Järvi mit den Bremern und Antonini mit den Baslern, nicht zu vergessen die kühnen Belgier van Immerseel und Herreweghe, sehr viel frischer Wind geblasen worden. Straffere Tempi und höhere Transparenz, schlankerer Streicherapparat und Verzicht aufs Dauervibrato – all das hat, in unterschiedlicher Dosierung, die Sicht auf den Großmeister der Wiener Klassik nuancenreich verändert.

Thielemann ist viel zu klug, als dass er diese Entwicklung komplett ignorieren würde, auch wenn er mit seinem ausgeprägten Faible für Wagner, Bruckner, Strauss und als gepriesener Erbe Karanjan’scher Modulationskunst einem anderen Klangideal zugeneigt sein mag. Vor allem bei der 1808 vollendeten bukolischen Sechsten in F-Dur ist das Spektrum des Ermessens beträchtlich. Seit jeher streiten sich die Geister, ob sie eher „absolute“ oder „programmatische“ Musik ist und in welchem Verhältnis „Ausdruck der Empfindung“ und klangmalerische Naturschilderung stehen. Zweifellos lässt der gute Ludwig hier Nachtigall und Ammer singen, den Kuckuck rufen und ein Gewitter durch die Landschaft stöbern, mit Wind und Blitz und Donner, dass jeder sehen kann, was er da hört.

Vitaler Regisseur einer Großproduktion

Selbst Schumann, obgleich großer Verehrer, moserte, sein Vorbild habe hier „der Phantasie Schranken gesetzt“. Thielemann jedenfalls nahm sich viel Zeit für das detailreiche Flair. Während die meisten Dirigenten nach knapp über 40 Minuten im Pastorale-Beifall baden, gaben sich die Dresdner nach des Meisters Willen fast 48, was nicht heißt, dass sich beschauliche Gemütlichkeit breitgemacht hätte.

Obwohl die Sätze drei bis fünf all’attacca ineinander übergingen, ließ Thielemann den Empfindungen beträchtlichen Spielraum, wählte mehr als einmal den breiten, weichen Pinsel, was die Idee des meditativen Naturerlebnisses stärkte: harmoniegetränktes Glücksgefühl unter freiem Himmel.

Die sogenannte altdeutsche Orchesteraufstellung mit den 1. und 2. Geigen einander vis-a-vis, den Bratschen und Celli zentral vor den Bläsern und den Bässen links außen kam dann in der Siebten besonders wirksam zum Tragen. Die ungemein variable Rhythmik, aufgewühlt im Vivace des Kopfsatzes, forsch, zügig, prestissimo im Scherzo und knackig, kernig, resolut im Finale – zeigte den Dirigenten hier als vitalen Regisseur einer atemberaubenden Großproduktion. Ungeachtet des mitreißenden Schlusses gipfelte das Erlebnis schon vorher im feinen Gespinst des Allegrettos, das hauchzart begann und dann in ein Gänsehaut-Crescendo mündete.

Emotionale Breite in der Sechsten, konzentrierte Dichte in der Siebten – der Maestro hat die Spannweite in Beethovens Sinfonik exemplarisch betont, zum Teil gegen den Strich gängiger Interpretation: Thielemann eben.