Von Jens Daniel Schubert
Regenbogenbunt ist dieser Tage der Alte Schlachthof in Dresden. Geplant war Richard O’Briens "The Rocky Horror Show" in diesem Konzertsaal vor zwei Jahren als Alternative zur damals geschlossenen Felsenbühne. Corona kam dazwischen, ebenso im vorigen Jahr. Nun laufen zwar die Felsenbühnen-Festspiele in Rathen, aber die Landesbühnen präsentieren das rockige Kultmusical zusätzlich. Es ist hier der letzte große Wurf von Sebastian Ritschel als scheidendem Operndirektor. Und "die Hütte brennt", wie es der Erzähler und Moderator des Abends, "heute-show"-Comedian Lutz van der Horst, vorhergesagt hat.
Das Publikum kam am Sonntagabend in bester Feier- und Mitmachlaune, teils maskiert und kostümiert. Wer die nötigen "Mitmachutensilien" nicht dabei hatte, konnte sie als "Fanbag" für 8,90 Euro, "das ist billiger als ein Neun-Euro-Ticket", käuflich erwerben. Und ab geht die Post, die Wasserspritzer waren willkommene Abkühlung, der letzte Reis rieselte zu Hause aus Haaren und Kleidern!
Die Story zu erzählen hieße Eulen nach Athen zu tragen. Sie ist ebenso bekannt wie nebensächlich. Das Stück hat eine weltweite Fangemeinde und wurde in Dresden bereits vom Staatsschauspiel und von der Staatsoperette präsentiert. Und natürlich ist alles wie erwartet da. Der Tabubruch, jegliche Form queerer Lust und grenzüberschreitender Selbstdarstellung, der Trash, die ausgeflippte Rockstimmung und die Spiegelung von Horror- und Science-Fiction-Filmen, die Ausgangspunkt des Kultes war.
Ein gutes Dutzend Sänger, Tänzer und Schauspieler – jeder tatsächlich alles in einem – begeistern durch flotte Dialoge, spritzige Pointen, mitreißende Tänze, großartige Töne. Sie sind alle Rollen-Debütanten und doch zu 100 Prozent auf ihren Figuren. Allen voran Jan Rekeszus als Frank N’ Furter.
Die Szenen spielen in einem variablen, im bunten Licht immer neu erscheinenden und doch der großen Show dienenden Bühnenbild. Nur hartnäckige Muffel können sich dem Sog, insbesondere der Musik entziehen. Die wird hier interpretiert von einer sechsköpfigen Band um Uwe Zimmermann. Ein Test, ob man es schafft, sich zu verweigern, lohnt sich durchaus.
Appell für Toleranz und Akzeptanz
Doch es wäre keine Regie-Ausstattung von Sebastian Ritschel, mit Gabriel Pitoni als Choreografen an seiner Seite, bliebe es dabei. Bei aller Homophobie und engstirnigem Pseudo-Werte-Konservatismus, die in bestimmten Kreisen gerade neu aufkeimen, haben Männer in Strapsen, Frauen in Lack und Leder, viel nackte Haut, obszöne Gesten oder demonstrativer Sex weitab aller Konvention kaum noch das Schock-Potenzial der Entstehungszeit.
Es ist heute auch kein weltfremdes Erlebnis mehr, wie es sich im Stück für Janet und Brad (Karen Müller und Merlin Fargel) ergibt, Sex und Lust als Befreiung und neue Form der Selbstfindung zu erleben. Da hat sich viel getan in den letzten vierzig Jahren. Dies lustvoll zu demonstrieren ist ein Appell für ein offeneres Verhältnis zu Menschen, die anders leben und lieben. Es wirbt in Verbindung mit der eingängigen, grandios-mitreißenden Musik für Toleranz und Akzeptanz queerer Lebensformen.
Das kann, wer will, unter der Regenbogenfahne bei jedem Christopher-Street-Day erleben. Man kann aber auch am nächtlichen Gruselschloss vorbeifahren, diese ganze Welt ausblenden, als gäbe es sie nur auf einem fernen Planeten. Problematisch wird es, wenn aus Unverständnis oder verdrängter eigener Lust Ablehnung wird, die jedem anderen das Recht auf Anderssein abspricht. Mit dem Auftritt von Dr. Everett Scott, skurril und wandlungsfähig von Michael Berndt-Cananá gespielt, bringt Ritschel die faschistische Potenz dieser Intoleranz theatralisch gelungen auf die Bühne.
Lustvoll ausgelebte Freiheit
Und die Inszenierung geht deutlich einen Schritt weiter. Damit greift sie, ganz ohne Belehrung und erhobenem Zeigefinger, sondern aufgehoben in der schrillen Bühnenrealität dieser merkwürdigen interstellaren Grundstory, aktuelle Diskussionen auf. Toleranz hat zwei Seiten. Freiheit ist immer die Frage Andersfühlender. Auch die, denen "queer" fremd ist, die sich gut fühlen in einer heterosexuellen, konservativen Beziehung, die Tabus besser finden als ihren Bruch und denen der eigene Erfahrungshorizont genügt, sind deswegen nicht verachtungswürdig.
Und nicht jeder, der Freiheiten auslebt und dafür Toleranz einfordert ist automatisch selber tolerant, wenn er anderen Haltungen begegnet. Ritschel zeigt Freiheit, wie sie lustvoll ausgelebt und genossen werden kann und wie gefährdet sie ist. Durch jeden, der seine Lebensmaxime ohne Rücksicht durchzieht, egal in welcher der Farben des Regenbogens.
Wieder am 17., 18., 19., 24., 25., 26. Juni sowie am 1., 2. und 3. Juli; Karten gibt es unter 0351 895421 sowie im Internet.