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Piano-Jungstar Jan Lisiecki setzt bei den Musikfestspielen auf starke Kontraste

Der kanadische Musiker spielt im Palais im großen Garten Chopin-Werke raffiniert verflochten

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Pianist Jan Lisiecki bei seinem Rezital im Dresdner Palais Grosser Garten.
Pianist Jan Lisiecki bei seinem Rezital im Dresdner Palais Grosser Garten. © Oliver Killig

Von Jens-Uwe Sommerschuh

Wie war das einst, als Chopin selbst Chopin spielte? "Man ist versucht, näher heranzurücken und die Ohren zu spitzen", notierte sein Kollege Berlioz 1833, "wie man es bei einem Konzert von Elfen oder Kobolden tun würde." Chopin intonierte dezenter als Hiller, Kalkbrenner oder Liszt, die Tastenlöwen jener Zeit, die virtuosen Glanz herausstellten, um das Publikum zu verblüffen. Er war der Poet.

Jetzt hat sich in Dresden mit Jan Lisiecki ein frühreifer junger Pianist Chopin gewidmet. Der Kanadier mit polnischen Wurzeln, der vor zehn Jahren mit sechzehn bei den Festspielen debütierte, gab am Montag im Palais im Großen Garten ein Rezital aus zwölf Etüden und elf Nocturnes, die er raffiniert miteinander verflocht. Während die ausgewählten Etüden, feine Proben rhythmischen und melodischen Ideenreichtums, schon 1831 als Opus 10 veröffentlicht wurden, entstanden die versonnenen Nocturnes über einen längeren Zeitraum. Einige der schönsten dieser Nachtstücke, in c-Moll und cis-Moll, kamen erst postum heraus. Lisiecki hat seine Liste überwiegend nach Tonart und Stimmung sortiert, hier Nähe, da Gegensätzlichkeit angedeutet. Die C-Dur-Etüde zum Auftakt kam mit schweren, kantigen Bässen und kühl perlenden Kaskaden daher, während das folgende c-Moll-Nocturne äußerst zart und fragil anmutete, mit behutsamem Anschlag und starkem Rubato hingestreichelt.

Lisiecki, der sich mit technischer Akkuratesse und forciertem Ausdruck in die erste Reihe seiner Pianistengeneration gespielt hat, hält nach eigenem Bekunden bei Chopin "den Ball flach" und sagt mit den Worten des Meisters, Einfachheit sei das höchste Ziel. Ein namhafter Kritiker warf dem Pianisten anlässlich der 2021 erschienenen Doppel-CD mit den Nocturnes vor, er habe, "bei aller Delikatesse", diese Stücke "nachgiebig und beinahe kernlos, ja blauäugig und teilweise läppisch" dargeboten. Dieser Eindruck ergab sich am Montag nie, im Gegenteil, manchmal war es, als schösse Lisiecki am klanggewaltigen Steinway übers Ziel hinaus, etwa in der E-Dur-Etüde oder im unruhigen Mittelteil des sehnsuchtsvollen cis-Moll-Nocturnes, wenn er den Flügel, fortissimo, in einen Vorschlaghammer zu verwandeln schien, der die Träume zu Staub zermalmte.

Diese auf Kontrastierung ausgelegte Interpretation war gut nachvollziehbar, sofern sie zwischen lyrischem Leuchten und blitzender Erregung, zwischen Ruhe und Ausbruch vermittelte. Doch bisweilen wirkte Chopin seiner Geheimnisse entledigt, klangen die theatralischen Aufwallungen aufgesetzt, was aber auch am Instrument gelegen haben mag. Chopin (1810 – 1849) bevorzugte den subtilen, warmen Klang der Flügel von Erard, Graf, Pleyel. Die metallische Wucht des Steinway, ein Typus, den es damals noch nicht gab, hätte ihm und seinen unsichtbaren Elfen und Kobolden kaum behagt.

Das Publikum honorierte Lisieckis Brillanz mit viel Beifall. Er dankte dezent mit einem Penderecki-Nocturne als Zugabe.