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Ausstellung in Dresden präsentiert Schätze des Prager Veitsdoms

Der Prager Domschatz ist normalerweise nicht ausgestellt. Jetzt zeigt eine Schau in Dresden Teile davon und kombiniert sie mit zeitgenössischer Kunst.

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Der Veitsdom in Prag
Der Veitsdom in Prag © dpa / Sven Hoppe

Von Uwe Salzbrenner

Der Schatz des Prager Domes St. Veit besteht im Kern aus Reliquien, den über fast zwei Jahrtausende rituell verehrten Knochen oder Zähnen von Heiligen des Christentums. Hinzu kommen die Reste all der Dinge, die jene Heiligen getragen, besessen oder auch nur berührt haben: Hemden, Stäbe, Tische, Tücher, Waffen. Dieser Verehrung zugrunde liegt die Vorstellung, aus der Unvergänglichkeit des heiligen Leibes Christi folge eine besondere Kraft, die sich auf alle Heiligen überträgt. Besonders in der späten Antike und im frühen Mittelalter glaubte man das.

Im streng materiellen Sinne besteht der Prager Domschatz aus all den Gefäßen und Fassungen, den Reliquiaren, die aus Gold, Silber und Edelsteinen zum Schutz und zur Schau der Reliquien gefertigt wurden. Die meisten Reliquien und Reliquiare stammen aus der Zeit Karl IV., der als böhmischer König und deutscher Kaiser seine Herrschaft sakral zu überhöhen suchte, Reliquien erwarb und Gefäße bauen ließ. Im Prager Dom sind die Kleinode nicht zu sehen.

Goldenes Böhmisches Reliquienkreuz, genannt Krönungskreuz, Prag, 1360-1370er Jahre
Goldenes Böhmisches Reliquienkreuz, genannt Krönungskreuz, Prag, 1360-1370er Jahre © Martin Polak

Der Domschatz als kollektive Erinnerung

Jetzt werden 125 dieser Reliquiare im Dresdner Lipsius-Bau ausgestellt, das erste Mal außerhalb Tschechiens, in der Schau „Fragmente der Erinnerung“ der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD). Jiří Fajt, ehemals Generaldirektor der Prager Nationalgalerie und heute bei den SKD für Programm und internationale Beziehungen verantwortlich, hat Kontakte zur katholischen Kirche genutzt. Den seit 973 gewachsenen Domschatz fasst er kulturhistorisch als kollektive Erinnerung auf, als ziviles Gedächtnis im Sinne des Humanismus.

Reliquienbüste des heiligen Veit, Prag, 1480er-Jahre
Reliquienbüste des heiligen Veit, Prag, 1480er-Jahre © Martin Polak

Er zeigt ihn in der Ausstellung entsprechend religionsübergreifend: Die ältesten Heiligenspuren in schmuckem Gehäuse stammen nicht nur von Aposteln und Evangelisten, auch von Patriarchen aus dem Judentum, die die Bibel nennt. Es folgen Reste vom Tischtuch und Splitter des Tisches vom Letzten Abendmahl Jesu, Reste von dessen Grab- und Lendentuch, schmuck eingefasst in edles Metall.

Gewand, Kettenhemd und Schwert

Von den böhmischen Heiligen — Bischof Adalbert, Fürst Wenzel — sieht man nicht nur Reliquienbüsten, sondern auch liturgische Gewänder, Kettenhemd und Schwert. Bei Wenzel dreht Fajt dessen Porträt weiteren seiner Reliquien zu, als sollte der Heilige deren Echtheit bezeugen. Hinzu kommen in der Schau Kelche, Madonnenbilder, Hostienbehälter, Altar- und Brustkreuze, was auch anderswo zum Kirchenschatz gehört. Besonders kostbar sind zwei einzeln exponierte Stücke: eine „Staurothek“, eine Aufbewahrung für Teile des Christuskreuzes, nach byzantinischem Vorbild wiederum gebaut um ein Doppelkreuz. Hinter Bergkristall kann man da 43 Reliquienpäckchen sehen. Ebenso exquisit ein Reliquienkreuz, von Karl IV. in Auftrag gegeben. Es zählt zu den böhmischen Kronjuwelen.

Eine Fragmentierung von Erinnerung, die der Ausstellungstitel anspricht – das heißt, es gibt Lücken, Verluste – ist bereits daran zu erkennen, wie man heute den Prager Domschatzes sehen will. Er bewahrt nicht nur Zeugnisse der Heilsgeschichte, einst machtpolitisch genutzt, wie Fajt es durchaus treffend nahelegt. Aus der Sicht des Mittelalters waren Reliquien wirkmächtig an sich, die allerbesten ein Weg zu Gott. Der Prager Domheilige St. Veit, vertreten durch seine Gebeine, war zuständig für das Wohlergehen der Apotheker, Bergleute, Bierbrauer, Kesselschmiede, Schauspieler, Winzer; für die Haustiere, für Aussaat und Ernte, für die Quellen.

"Irrkunst" des Keramikers Edmund de Waal

Wie Wissensordnungen verloren gehen können, demonstriert die im Lipius-Bau in eins der Kabinette eingebaute Bibliothek: Den Nachlass des Historikers Franz Machilek will bislang keiner haben. Und „Fragmentierung“ als Prinzip hat im Keramiker Edmund de Waal ihren Fürsprecher, beschreibt sie doch dessen Kunst, Perfektion zu vermeiden. Von Fajt als einer von drei prominenten zeitgenössischen Künstlern zur Ausstellung hinzugeladen, zeigt de Waal die Installation „Irrkunst“, bei der acht schwarze Blöcke aus Holz und Porzellan in schmalen Kammern schwarze Porzellanzylinder und ein paar Scherben tief im Schatten bergen. Außerdem hat de Waal Teller eines Meissener Tafelservices aus jüdischem Besitz, im Zweiten Weltkrieg in Dresdens Bombennacht zerstört, mit Goldlack reparieren lassen.

Videostill aus Julian Rosefeldts "In the Land of Drought", 2015-2017
Videostill aus Julian Rosefeldts "In the Land of Drought", 2015-2017 © Julian Rosefeldt

Ebenso beiläufig heilend wirkt das Ritual von Menschen in Schutzanzügen, die im Video „In the Land of Drought“ von Julian Rosefeldt in einer biblischen Landschaft durch Filmkulissen laufen und anschließend durch deutsche Tagebaue und Hüttenwerke. Josef Koudelka dagegen, einst Chronist des Einmarsches der Russen in Prag, fand 2008 zusammen mit anderen Fotografen zwischen Israel und Palästinensergebieten eine Mauer – und diese störend. Wie es scheint, hat er sich gut erinnert, wie de Waal sich an den Schriftsteller Walter Benjamin und andere Juden erinnert und Rosefeldt ans menschenbestimmte Zeitalter, das Anthropozän.

Ausschnitt aus Josef Koudelkas Fotografie "ISRAEL - PALÄSTINA. Al'Eizariya (Bethanien), Ostjerusalem" von 2010
Ausschnitt aus Josef Koudelkas Fotografie "ISRAEL - PALÄSTINA. Al'Eizariya (Bethanien), Ostjerusalem" von 2010 © Josef Koudelka
  • Ausstellung „Fragmente der Erinnerung
  • Bis 8. September 2024 in der Kunsthalle im Lipsius-Bau auf der Brühlschen Terrasse
  • Geöffnet täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr.