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„Judith Shakespeare“ in Dresden: Schreit es heraus!

„Judith Shakespeare“ im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden wird zum Fanal gegen das Schweigen um sexuelle Gewalt gegen Frauen.

Von Marcel Pochanke
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Nihan Kirmanoglu ist Shakespeares Schwester Judith. Ursula Hobmair ist Röschen, die Theaterpförtnerin.
Nihan Kirmanoglu ist Shakespeares Schwester Judith. Ursula Hobmair ist Röschen, die Theaterpförtnerin. © Staatsschauspiel Dresden, Sebastian Hoppe

Shakespeare hat eine Schwester. Auch sie schreibt. Und sie will Theaterstücke unter ihrem Namen auf der Bühne sehen. Als sie es endlich geschafft hat, bei der Theaterintendantin vorzusprechen, sie gar zur Aufführung überzeugt, vernimmt sie noch diesen Entschluss: „Wir schreiben Shakespeare groß aufs Plakat. Den Namen Judith irgendwo sehr klein.“ Was diese Intendantin (Fanny Staffa) erlebt, was sie aufgegeben hat auf ihrem Weg zu dem Job? Wir werden es am Ende ahnen, wenn sie darauf besteht, den Text, der dem Abend seinen Namen gibt, selbst aufzuführen: „Rape and Revenge“, also „Vergewaltigung und Rache.“ Es wird ein Fanal, für das sie bis zum Äußersten geht. Sie wird sich die Sprache Judiths so zu eigen machen, eine Sprache, die auf hiesigen Bühnen selten zu hören ist. „Ich liebe es, wie laut sie ist!“, sagte Regisseurin Laura Kutkaité im Vorfeld der Premiere am Sonnabend.

Diese Judith lebt in der Gegenwart

Es ist mit Sicherheit nicht die Sprache des 16. Jahrhunderts, die Sprache William Shakespeares mit Nachtigallen und Lerchen. Judith Shakespeare lebt in der Gegenwart.

Nihan Kirmanoğlu ist für diese Hauptrolle eine starke Besetzung. Sie glüht für ihre Botschaften. „Ich will keine traurige Frau sein sollen“, wehrt sie sich gegen die Festlegung, eine schriftstellernde Frau könne nur aus der Opferrolle heraus diese beklagen. Zugleich ist diese Judith voller Melancholie und alles andere als eine reine Projektionsfläche für Botschaften.

An solchen ist der Abend dabei reich. Ein Chor ist auf der Bühne dauerpräsent. Rhythmisch und körperlich einsatzstark, unterstützt vom lauten Bass, welcher der Anlage im Kleinen Haus des Staatsschauspiels alles abverlangt, intonieren, deklamieren, ja hämmern sie Diskurse und Fragestellungen, die sich um Missbrauch, Schweigen und den Kampf um die Deutungshoheit über den eigenen Körper und die eigene Sicht auf verletzende Erfahrungen drehen. Eine ungewollte Parallele: Erst in der vergangenen Woche brachten Menschen in der Wiener Innenstadt öffentlich Wut und Frust wegen wachsender Gewalt gegen Frauen zum Ausdruck. Sie taten das mit langem, lautem Schreien.

Zugang zum Theater mithilfe eines Deals

Judith ist „unperfekt, genau wie eine Feministin sein sollte“, beschreibt Laura Kutkaité ihre Hauptfigur im begleitenden Programmheft. Dazu gehört, dass sie den Zugang zur Intendantin erst durch einen Deal erlangt: Damit Pförtnerin Röschen (Ursula Hobmair) sie in die Chefetage lotst, ermöglicht die Dichterin ihr eine Begegnung mit dem berühmten Bruder. Der nutzt diese, und er tut das beileibe nicht zum ersten Mal, gewaltvoll aus.

Dialoge in Gesten und Codes

Viele Dialoge gibt es nicht. Der zwischen Judith und William (Jonas Holupirek) zur folgenreichen Konfrontation mit dessen Taten gehört zu den eindrucksvollsten Szenen der Inszenierung. Aus dem viel beachteten Text von Paula Thielecke hat die Regisseurin gemeinsam mit der Dramaturgin Lea Aupperle eine „Dresdner Fassung“ geschaffen. Diese unterstützt noch stärker die prägenden Stilmittel der 1993 geborenen litauischen Regisseurin: Sie erzählt neben der Sprache mit wiederholten Gesten, körperlichen Szenen und Codes. Dabei dekonstruiert sie eine Gesellschaft und ihr Schweigen auf die falsche Art und an den völlig falschen Stellen, keinesfalls aber das Theater. Mit dieser Herangehensweise gewann Laura Kutkaité 2022 den ersten Preis des Fast Forward Festivals für junge Regie. Die Prämie: Die Inszenierung am Staatsschauspiel. Diese ist, wie der Premierensonnabend mit „Judith Shakespeare - Rape and Revenge“ zeigte, ein doppelter Gewinn. Als Chance für die Regisseurin, ihr Können (und Wollen) zu zeigen. Und für das Dresdner Theater, das eine außergewöhnliche Inszenierung erhalten hat.

„Judith Shakespeare - Rape and Revenge“ Wieder am 8. März (Frauentag) um 19.30 Uhr im Kleinen Haus Dresden, danach am 17. März und 11. April. Karten: 0351 4913555