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So begeistert eine Schlafwandlerin in der Semperoper

Erstmals nach 130 Jahren läuft in Dresden die Bellini-Oper "La sonnambula". Das Publikum rastet aus - vor Begeisterung.

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Wenn Traumwandler unterwegs sind: Emily Pogorelc gestaltet die traumwandelnde Amina.
Wenn Traumwandler unterwegs sind: Emily Pogorelc gestaltet die traumwandelnde Amina. © Ludwig Olah

Von Jens Daniel Schubert

Ein musikalisches Fest haben sich viele Premierenbesucher erwartet. Dass es ein so grandioser Theaterabend werden würde, der eine ergreifende, realitätsnahe, geradezu heutige Geschichte erzählt, dürfte dann doch manchen überrascht haben. Am Sonntag feierte Bellinis Erfolgsoper „La sonnambula“ in der Semperoper Premiere und es war schwer, sich ihrer Faszination zu entziehen.

Gefeierter Regisseur: Rolando Villazon
Gefeierter Regisseur: Rolando Villazon © Marion Doering

Im Grunde ist es eine banale Geschichte, wie oft bei Opern des Belcanto. Amina, die titelgebende Schlafwandlerin, gerät in der Nacht zwischen ihrer standesamtlichen und kirchlichen Hochzeit mit Elvino in das Schlafzimmer des just in dieser Nacht im Dorf logierenden Grafen Rodolfo. Dort eingehüllt in dessen Morgenrock schlafend wird sie von der eifersüchtigen Lisa entdeckt. Aminas Betrug scheint offensichtlich. Elvino löst die Verbindung und verstößt sie. Auch wenn sie ihre Liebe beteuert, der Graf für ihre Unschuld zeugt und das Schlafwandeln als Grund für ihren Aufenthalt in seinem Zimmer erklärt: Der Bräutigam ist wild entschlossen, nun doch Lisa zu heiraten. Erst als die Verstoßene wiederum im Schlaf durch die Hochzeitsgesellschaft wandelt, ändert der Geliebte seine Haltung. Endlich kann Hochzeit gefeiert werden.

Unbändige Lebenslust im Eismeer

Rolando Villazon, der nach „Platée“ zum zweiten Mal als Regisseur in der Semperoper gastierte, spitzt die Geschichte zu. Die „heitere, idyllische Dorfgesellschaft“ ist in seiner Lesart eine engstirnige, rückwärtsgewandte, streng disziplinierte, freudlose Sekte. Wer da aus der Reihe tanzt, bekommt, wenn er Glück hat, nur eins mit dem Lineal über die Finger. Verachtung und Ächtung für alles, was sinnlich, körperlich und lebensfroh ist, prägen dieses Dorf inmitten einer rauen Eis- und Berglandschaft. Ein Entrinnen ist unmöglich.

Johannes Leiacker hat diesen beengenden, eiskalten Raum erfunden, Brigitte Reiffenstuel die geradezu uniformen dunklen Kleider entworfen. Hier ist alles so, wie es schon immer war.

Amina ist in dieser Welt nicht zu Hause. Ihr Schlafwandeln ist Ausdruck eines Traums von Freiheit. Ihr Spirit in Gestalt einer weiß gekleideten Tänzerin lockt sie, die einengende Gemeinde, in die sich ihr Geliebter widerstandslos einfügt, zu verlassen. Emily Pogorelc ist eine junge, hochbegabte Sängerin. Die anspruchsvolle Partie der Amina meistert sie mit schlafwandlerischer Sicherheit, ausdrucksstarkem Ton, atemberaubender Technik, großer Linie und unglaublichen Steigerungsmöglichkeiten. Dazu ist sie eine großartige, einnehmende und differenzierte Darstellerin. Mit größter Genauigkeit zeigt sie das Ringen der jungen Frau. Ihre unbändige Lebenslust steht gegen ihren Wunsch, dazuzugehören. Ihre Liebe und ihre Verzweiflung, ihr Kampf mit sich wird szenisch sichtbar in ihrem Spiel mit der Spirit-Tänzerin. Es zeigt ihre Sehnsucht zu gehen und zu bleiben. Das war von der ersten Szene bis zum Finale spannend, ergreifend und so überzeugend selbstverständlich wie ihre musikalisch-stimmliche Präsenz.

Chor und Kapelle brillieren wie selten

Regisseur Villazon belässt es nicht beim Konflikt zwischen Freiheitssehnsucht dieser einen und festgefügten Regeln der anderen. Der von außen in die abgeschlossene Welt kommende Graf, mit profunder Stimme und spielerisch überzeugend, Georg Zeppenfeld, wirkt als Katalysator. Stück um Stück bröckelt die Einheitlichkeit der Dorfgesellschaft, bildet sich eine Art Opposition. Schlussendlich steht Amina nicht allein. Aber sie wird sich nicht in Ehe und Dorfgemeinschaft einfügen. Sie gibt Elvino den Ring zurück. Dessen Liebe ist groß genug, sie ziehen zu lassen und gegen die Rache suchenden Protagonisten der manifesten Unterdrückung in Schutz zu nehmen.

Maxim Mironov gibt mit hellem, tragfähigem Tenor diesen zerrissenen Liebhaber und Bräutigam. Er lässt durchscheinen, warum ihn Amina und auch Lisa unter all den uniformen Männern des Dorfes lieben. Er hat eine Ahnung von den Sehnsüchten dieser Frauen. Doch seine Angst, sich gegen die Regeln zu stellen, ist größer. Mit Rosalia Cid war eine Lisa zu erleben, die abseits vom Klischee der eifersüchtigen Intrigantin nachvollziehbar um ihr persönliches Glück ringt.

Szenisch wie musikalisch wäre der Erfolg des Abends trotz all der großartigen Solisten nicht möglich, hätte die Semperoper nicht diesen hervorragenden Chor und dieses auch in der italienischen Romantik glänzende Orchester. Beide Klangkörper tragen die Stimmungen, setzen Impulse, begleiten die Solisten. Der Staatsopernchor und der integrierte Kinderchor sind dabei genau im Spiel, präsent, bedrohlich und differenziert. Mit Evelino Pido stand ein Maestro am Pult, der seinem Ruf, einer der profundesten Kenner und Könner in diesem Opernsegment zu sein, alle Ehre machte. Nicht enden wollender Beifall und Standing Ovations und Bravorufe feierten einen mitreißenden, bewegenden Theaterabend. Exakt 130 Jahre nach der letzten Dresdner Neuproduktion von „La sonnambula“. Die Oper lief hier seit 1834.

Wieder am 22. März, 21. und 24. April sowie 1. und 5. Mai; Kartentel. 0351 4911705

www.semperoper.de