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So war "Der Vetter aus Dingsda" an der Staatsoperette Dresden

Maden im Speck und Ohrwürmer: Die Verwechslungskomödie "Der Vetter aus Dingsda" bekommt in der Dresdner Inszenierung einen gesellschaftlich relevanten Hintergrund.

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Verfressen und gierig sind Wimpel (Silke Richter) und Josse Kuhbrot (Elmar Andree). „Der Vetter aus Dingsda“ hatte am Samstag in der Dresdner Staatsoperette Premiere.
Verfressen und gierig sind Wimpel (Silke Richter) und Josse Kuhbrot (Elmar Andree). „Der Vetter aus Dingsda“ hatte am Samstag in der Dresdner Staatsoperette Premiere. © Foto: Pawel Sosnowski

Von Jens Daniel Schubert

Die Welt ist voller Probleme. Man diskutiert über Impfpflicht und Klimawandel, über Gleichberechtigung und Rassismus, Provenienz und Kolonialerbe. Das kann auch an der Operette nicht spurlos vorübergehen. Wirklich? Am Wochenende hatte im Dresdner Kraftwerk Mitte „Der Vetter aus Dingsda“ Premiere und provoziert genau diese Frage. Darf man, kann man und welchen Effekt hat es, eine im Stück latent vorhandene koloniale Überheblichkeit zum bestimmenden Bühnenelement zu machen?

Eigentlich ist der „Vetter“ eine lustige Verwechslungskomödie. Ihr tieferer Sinn ist die Erkenntnis, dass man im Hier und Heute lebt und den anderen um seiner selbst willen lieben sollte. Dass der Vetter Roderich „sieben Jahre in Batavia“ lebte und „der erste Fremde“, der sich für Roderich ausgibt, eine wild fantasierende Moritat über das Leben dort singt, ist eher eine Randepisode. Ihr Ziel ist exotisches Flair und eine weitere musikalische Farbe.

Frivol und schwelgerisch

Die Musik ist sicher auch ein Hauptgrund, das Stück auf die Bühne zu bringen und eine Aufführung zu besuchen. Die Hitliste des Stückes, vom „armen Wandergesell“ über „strahlender Mond“ bis „ganz unverhofft kommt oft das Glück“ hat mehr als ein Dutzend bekannter Titel.

Komponist Eduard Künnecke hat nicht nur ohrwurmträchtige Melodien gefunden, sondern diese auch mit verschiedensten, das Tanzbein stimulierende Rhythmen angerichtet und zu großen, raffiniert komponierten Ensembles verwoben.

Diese Musik wird von den neun Solisten und dem Orchester der Staatsoperette mitreißend und stimmig zum Klingen gebracht. Chefdirigent Johannes Pell leitet das Orchester umsichtig und fand zur Premiere zunehmend besser den richtigen Drive, die Musik in ihrer Mehrschichtigkeit, von kecker Frivolität bis naiver Schwelgerei, von skurriler Situationskomik bis zum einfältigen Sentiment am Rande des Kitschs auszukosten.

Überheblichkeit und Genusssucht

Cary Gayler hat eine hintersinnige Bühnenwelt gebaut. Die Villa der Familie de Weert, wo Josse und Wimpel Kuhbrot als Vormünder der reichen Erbin Julia das Regime führen, ist ein Traumschloss. Es kann sich zu märchenhaften, zaubervollen Orten verwandeln. Aber es ist, wenn man es von außen betrachtet, eine große Geschenkbox mit Schleifchen dran. Und wenn man auf die Rückseite guckt, dann kann man sehen, woher der Reichtum kommt. Der Hintergrund der Fassade ist Projektionsfläche für Szenen von Ausbeutung und Unterdrückung in der sogenannten Dritten Welt.

Jan Neumann inszenierte die Operette mit dem Wissen um diesen Hintergrund. Er zeigt Überheblichkeit und Genusssucht. Sie kulminiert in der Verfressenheit von Josse und Wimpel. Sie blitzt auf in den beiläufigen Überheblichkeiten der Julia. Dabei verliert er manchmal wichtige Figurenbeziehungen aus dem Blick.Julia, schön, reich und fast achtzehn, wird allseits begehrt. Sie genießt das, auch wenn sie ihr Herz dem Vetter Roderich in … Dingsda, Batavia, reserviert halten will. Amelie Müller findet sich während des Abends hörbar immer ungezwungener in die Rolle zwischen romantisch naiv und ernsthaft verliebt. Beim ungeschickten Verehrer Egon ist das Abstandhalten einfach. Aber nicht bei dem unbekannten Fremden, der sich als „Wandergesell“ ins Schloss verirrt hat. Timo Schabel spielt die Figur ebenso anrührend wie selbstbewusst mit schöner Stimmführung und klingendem Tenor. Ihn märchenhaft zu verwöhnen, ist nur anfangs ein unterhaltsamer Spaß. Dass die Inszenierung aus Frikandeau einen Broiler, aus Bordeaux eine Maß Bier macht und beides als überdimensionierte Luftballons in die Szene schiebt, mag, ebenso wie die übertriebene Schein-Fresserei, nicht jeder lustig finden.

Welchen Effekt bringt es?

Julias Freundin Hannchen ist in der Darstellung von Christina Maria Fercher erfrischend direkt von anderer Natur. Sie will einen Millionär, findet ihn und lässt ihn nicht mehr von der Angel. Schlussendlich sind alle zufrieden. Auch wenn Roderich nun Hannchen kriegt und Julia doch den August, bleibt das Geld beisammen. Josse und Wimpel leben weiter als Made im Speck und Wimpel tröstet sich mit Egon, damit der nicht ganz leer ausgeht.

So gibt es das schöne Operettentableau, und das glückliche Ende motivierte das Premierenpublikum zu langem, herzlichem Applaus. Eine grundsolide, gelungene musikalische Interpretation mit vielen stimmlichen Höhepunkten begründet den allgemeinen Jubel. Die Überspitzung mancher Darstellung, die Völlerei als Ressourcenvernichtung zeigt, die maroden Wurzeln der heilen Welt freilegt und dieses arrogante „Dingsda“ als sprachlichen Auswuchs kolonialherrlicher Überheblichkeit entlarvt, mag manchen abstoßen.

Kann man, darf man? Und welchen Effekt bringt es? Natürlich kann man, auch wenn nicht alles glückt. Und man darf, gerade weil nicht jedem alles gefällt, so geht Freiheit. Selbst wenn man nur darüber diskutiert, bringt es auch einen Effekt. Und das ist sicher mehr, als sich nur zwei Stunden lang von all den Problemen da draußen zu entspannen. Auch wenn das ebenso seine Berechtigung hat.

  • Wieder am 5., 6., 24., 25. Februar, am 12., 13., 17. und 18. März in der Staatsoperette Dresden, Kartentelefon: +49 351 32042 222