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Staatsoperette fordert ihr Publikum mit dem "Weißen Rössl"

Eine ungewöhnliche wie nachdenkenswerte Version von Benatzkys Erfolgsstück spielt mit Illusionen von Großstädtern.

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Der „Österreich-O-Mat“ bringt in dieser Szene Dr. Siedler (Timo Schabel), Piccolo (Herbert G. Adami) und die „Rössl“-Wirtin (Laila Salome Fischer) in eine heile Welt.
Der „Österreich-O-Mat“ bringt in dieser Szene Dr. Siedler (Timo Schabel), Piccolo (Herbert G. Adami) und die „Rössl“-Wirtin (Laila Salome Fischer) in eine heile Welt. © Pawel Sosnowski

Von Jens Daniel Schubert

Benatzkys „Im weißen Rössl“ ist faktisch unkaputtbar. Das kann man wieder erleben, wenn man die aktuelle Inszenierung der Staatsoperette anschaut, die am Wochenende Premiere hatte. Als „Schmachtfetzen“ und „Kitsch mit Soße“ haben „Rössl“-Wirtin, Zahlkellner und die anderen Typen des Lustspiels samt dazugehöriger Melodien die Herzen vieler Zuschauer erobert. Nach der Entdeckung der Originalfassung – in Dresden-Leuben 2009 zu erleben – kamen Revue, Ironie und Parodie ins Spiel. Überhöhung als Möglichkeit, Distanz zur allzu heilen Welt zu zeigen.

Die Berliner Fassung aus der „Bar jeder Vernunft“ von 1994 reduziert das Spiel auf acht Akteure und eine Band mit Streichquartett. Ganz ohne Ballett, Chor und Showeffekte. Das kommt zu Corona-Zeiten gerade recht. Die Landesbühnen haben im Sommer so erfolgreich „Kiss me Kate“ in Rathen gespielt. (SZ berichtete)

Die burschikose Wirtin (Laila Salome Fischer) und ihr ebenso nikotinabhängiger wie leicht angerockter „Kellner mit Spielverpflichtung“ (Christian Grygas).
Die burschikose Wirtin (Laila Salome Fischer) und ihr ebenso nikotinabhängiger wie leicht angerockter „Kellner mit Spielverpflichtung“ (Christian Grygas). © Pawel Sosnowski

Regisseur Toni Burghard Friedrich und Dramaturgin Judith Wiemers treiben es auf die Spitze. Sie verzichten pandemiebedingt gleich ganz auf die Reise ins Salzkammergut. Urlaub in der eigenen Stadt ist angesagt. Die Ausstatter René Fusshöller und Antonia Kamp verorten das „Weiße Rössl“ als Berliner Varieté-Kneipe gleich neben der U-Bahn-Station und einem Werbeplakat für Urlaubsflüge zu Dumpingpreisen.

Das Personal des Etablissements ist neben der ständig rauchenden, burschikosen Wirtin (Laila Salome Fischer) ein ebenso nikotinabhängiger, leicht angerockter „Kellner mit Spielverpflichtung“ (Christian Grygas) und ein in die Jahre gekommener Piccolo, der hinter dem Tresen, nah dem Schnapsspender, verortet ist (Herbert G. Adami). Hauptattraktion der Kneipe ist der „Österreich-O-Mat“. Wie bei einer Jukebox kann man mit Geldeinwurf auf der Kammer-Bühne eine Portion Salzkammergut-Feeling präsentiert bekommen. Theater auf dem Theater, als Ort der Illusion und der heilen Verhältnisse, wo die Wirtin Dirndl trägt, die Welt himmelblau oder weinselig, die Luft noch sauber und der Kaiser noch eine Autorität ist.

Große Sehnsucht nach dem kleinen Glück

Außerdem installiert das Inszenierungsteam noch die Vorbühne, mit kunstvoll gerafftem Vorhang und lichtillusioniertem Badesee, als Ort für Gefühlsseligkeit und die große Sehnsucht nach dem kleinen Glück. Obwohl gegen den Trend und fast politisch unkorrekt darf die lebenstüchtige, zupackende Wirtin sich hier bescheiden, ihre Freiheit und Selbstständigkeit aufzugeben schlicht einer alltäglichen Liebe wegen. Da sind die Dresdner wieder ganz bei den Intentionen der Berliner, die die Figuren ernst nehmen wollten, und vielleicht auch beim Publikum, selbst bei jungen Zuschauern. Zeigen boomende Partnerbörsen nicht die Sehnsucht, der Einsamkeit zu entfliehen, selbst wenn man den Prinzen auf dem weißen Pferd so nicht findet?

Wirtin (Laila Salome Fischer) und Kellner (Christian Grygas) streiten viel, kriegen sich am Ende aber doch.
Wirtin (Laila Salome Fischer) und Kellner (Christian Grygas) streiten viel, kriegen sich am Ende aber doch. © Pawel Sosnowski

In der gerafften Fassung, die den reiselustigen Privatgelehrten streicht und seine Tochter mit der jodelnden „Kathi von der Post“ zu einer Person verschmilzt, finden trotzdem Liebe und Liebelei wie im Original statt, mal in der Kneipe, mal auf deren Bühne, mal auf der Vorbühne. Was warum wo ist nicht in jedem Fall schlüssig. Manche Kürzungen sind Straffungen, andere verursachen Stolperfallen, Kathi (Ella Rombouts) hat keinen S-Fehler, sondern ist Holländerin, was dann später im Duett mit dem schönen kahlköpfigen Sigismund (Riccardo Romeo) nicht mehr richtig funktioniert. Giesecke und seine Tochter (Markus Lieske und Christina Maria Ferchner) erinnern an die Geissens aus RTL II und können sich nicht zwischen Malle und Ahlbeck – „det is mer lieber“ – entscheiden. Aber das ganze Ensemble ist mit großer Spiellaune dabei, lässt sich von Marie-Christin Zeisset choreografiert dann doch zu Shownummern verführen und singt, solo und Ensemble, rundum überzeugend. Am Pult des Mini-Orchesters steht Chefdirigent Johannes Pell, der sicher führt und mit offensichtlicher Freude charakterisiert.

Von jeder schwülstigen Blähung befreit

Ungewöhnlich ist es, dieses „Rössl“ in der Großstadt. Unterhaltsam: Ein pointiertes Lustspiel mit von jeder schwülstigen Blähung befreiter und gut dargebotener Musik. Konzeptionell durchaus des Nachdenkens wert: Die Protagonisten und ihre Gefühle ernst nehmen. Heile Welt und reduzierte Ansprüche nicht diskreditieren. Illusionen und Träume als solche zeigen, Draufblick ermöglichen. Man darf gespannt sein, wie es das Publikum nach der Premiere, da wurde natürlich lautstark applaudiert und gejubelt, aufnehmen wird.

"Im Weißen Rössl" läuft wieder am 14., 15., 17., 18. und 19. September in der Staatsoperette Dresden; Kartentelefon: 0351 32042222