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Jens Wonnebergers neuer Roman: Ein Gespür für das, was schiefläuft

Der Dresdner Autor Jens Wonneberger erzählt in seinem neuen Roman feinsinnig und mit leichter Ironie von Frustration und Ablehnung.

Von Karin Großmann
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Der Dresdner Schriftsteller Jens Wonneberger, Jahrgang  1960, veröffentlicht seinen elften Roman.
Der Dresdner Schriftsteller Jens Wonneberger, Jahrgang 1960, veröffentlicht seinen elften Roman. © Max Zerrahn

Für Siegertypen hat sich Jens Wonneberger noch nie interessiert. In seinen schmalen Romanen porträtiert er die Unauffälligen und Unfrohen: Einzelgänger, die ihre beste Zeit hinter sich haben. Scheiternde mit gebrochenem Lebenslauf. Antriebslose in der Trinkhalle. Oft sind es ältere Männer. Sie hätten gern ein anderes Leben. Winkler zum Beispiel würde lieber ein Antiquariat eröffnen, als Schülern die landesübliche Sprache beizubringen, die nicht ihre Muttersprache ist. Doch er weiß, dass er keine Chance hätte. Die ausrangierte Telefonzelle mit Büchern sieht er als „doppelten Totenkult“. Missmutig registriert er die zerschlissenen Fischernetze am Strand, die angeketteten Stühle vor dem Café, den Unrat im Straßengraben, die gelangweilten Möwen. Vor der Touristeninfo wachsen ein paar Blumen in Traktorreifen.

Kammerspiel an der Ostsee in der Nachsaison

Der Mann, der nur Winkler genannt wird, spielt die Hauptrolle in Jens Wonnebergers neuem Roman. Der Dresdner Autor ist bekannt für seine präzisen Beobachtungen. Ihm entgeht nicht das Haar im Waschbecken und nicht der Fliegenschiss an der Wand. In den Details spiegelt er den Seelenzustand seiner Figuren. Und der ist allerdings trübsinnig, so trübsinnig wie ein Ostseebad in der Nachsaison. Dort inszeniert Wonneberger ein Kammerspiel. Ort, Zeit und Personal sind überschaubar.

Winkler verbringt ein paar Tage mit Ehefrau Britta in der Pension „Seeparadies“. Man lernt die falschfreundliche Wirtin kennen und die Schramms vom Nachbartisch. Er mit Stachelbeinen in Radlerhosen, sie in Neongelb. Auch andere Gäste beobachtet Winkler mit Widerwillen. Nach dem üblichen Ehestreit um Nichts geht er morgens allein los. Er denkt an den Freund, mit dem er seit Monaten kein Wort wechselt. Dieser Jürgen Bergthaler tritt im Buch nicht auf – erweist sich jedoch als schillerndste Figur. Winkler sieht ihn als einen „Mitläufer, der immer mit denen mitlief, die gerade dagegen waren“.

In der DDR flog Bergthaler aus dem Studium und präsentierte sich stolz als politisches Opfer. In den Nachwendejahren kam ihm der Feind abhanden und der Traum, mit wenig Arbeit viel Geld zu verdienen. Jetzt fährt er Taxi und schimpft auf die Gäste, die sich ein Taxi leisten können. Er schimpft auf Migranten und den Sozialstaat, der sie wie Nattern am prallen Busen ernähre. Zuletzt hat er Winkler beschimpft als willigen Knecht des Systems, dessen erste Opfer die Schüler seien. Bergthaler spiele sich als Anwalt der kleinen Leute auf, die ihn nicht interessierten, so Winkler.

Einer, der nur noch ablehnt

Jens Wonneberger zeichnet das Bild eines Menschen, der sich eingerichtet hat in seiner Frustration. Bergthaler kämpft nicht für irgendetwas. Er lehnt bloß ab. Er verachtet, verurteilt, verweigert. Angeblich treibt ihn die Sorge um sein Land um. So was hört man gelegentlich. Doch auf vordergründige Anspielung ist der Autor nicht aus. Er ist ein leiser, feinsinniger Erzähler mit einem besonderen Gespür für das, was schiefläuft. Er greift die Strömungen der Zeit auf. Die Zerrissenheit im Privaten steht für die Zerrissenheit der Gesellschaft. Kein Wunder, dass Wonnebergers Prosa immer düsterer wird. Mit dem Roman „Mission Pflaumenbaum“ war er nominiert für den Deutschen Buchpreis. Sein voriger Band „Weltliteratur“ endete mit paradoxen Geschichten.

Die Sprache des Autors folgt einem inneren Rhythmus. Eine leichte Ironie schwingt manchmal mit. Sie hilft über die resignative Stimmung des Textes hinweg. Die Ironie kulminiert in einer überraschenden Szene. Am letzten Abend in der Pension geraten Winkler und seine Frau an einen Tisch mit den Schramms. Herr Schramm posiert als emeritierter Studienrat, und Winkler will ihn mit all den Hasstiraden provozieren, die er von Bergthaler kennt: Schnauze voll! Vaterland in Gefahr! Früher war alles besser! Doch Herr Schramm hebt erfreut sein Glas: Er habe gleich gewusst, dass man sich gut verstehe. Es ist die bittere Pointe eines Textes, der auch sonst an Bitterkeit nicht spart. Das Gefunkel am Nachthimmel kommt nicht von den Sternen, sondern von einer Lichterkette, die schon im Oktober weihnachtlich leuchtet.

  • Jens Wonneberger: Pension Seeparadies. Verlag Müry Salzmann, 176 Seiten, 24 Euro
  • Buchpremiere am Dienstag, 19. März, 19 Uhr, im Erich-Kästner-Haus für Literatur Dresden