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Turandot ist an der Semperoper die letzte Jungfrau

Eine außergewöhnlich inszenierte Puccini-Oper eröffnet die neue Spielzeit der Semperoper. Es gab stehenden Applaus.

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Bannt einen sofort: Elisabeth Teige als Prinzessin Turandot.
Bannt einen sofort: Elisabeth Teige als Prinzessin Turandot. © Semperoper/Ludwig Olah

Von Jens Daniel Schubert

Die Geschichte einer eiskalten Prinzessin aus märchenfernem China wird als Menschheits-Dystopie mit deutlichen Bezügen zu „Die Tribute von Panem“ erzählt. Die erste Premiere der neuen Spielzeit an der Semperoper mit Puccinis „Turandot“ war ungewohnt, reizvoll und bildstark. Sie überzeugte dank einer mitreißenden musikalischen Interpretation und eindrücklicher Visualisierung, die mit dem zunächst befremdlich wirkenden dramaturgischen Ansatz Hand in Hand gehen. Fast eine Viertelstunde stehender Applaus zeigte, dass das Konzept aufgegangen ist.

Suchscheinwerfer im Zuschauerraum. Lautsprecherdurchsagen laden zu den „Turandot-Games“. Wachposten und ein Delinquent auf der Bühne. Bildtafeln und eine ablaufende Zeitanzeige verdeutlichen, dass die letzte Jungfrau Turandot einzige Hoffnung für die Welt ist. Keine andere Frau kann noch Kinder bekommen. Lenkt Turandot, die die Ehe verweigert, nicht ein, stirbt die Menschheit aus. Die Uhr läuft. Bis zum errechneten Untergang gibt es Brot und Spiele. Tödliche Spiele. Turandot-Games.

Turandot lebt in ihrem kleinen Terrarium

Die Arena ist präpariert. Die Zuschauer aus den verschiedenen Distrikten nehmen auf den Tribünen Platz. Der Theatersaal (Distrikt 2) ist Teil der Zuschauerkulisse. Ob arm oder reich, heruntergekommen oder herausgeputzt: Alle warten begierig auf das nächste Opfer. Immer dabei die Kameras, der Moderator, die Teambegleiter. Das Bühnenbild mit sich in unterschiedliche Ebenen verschiebenden Spielflächen ist karg, aber effektvoll beleuchtet. Auf verschiedenen Projektionsflächen sieht man die live gedrehten Bilder der Kamera. Nahaufnahmen, Beziehungen, Hintergründe. Anfangs ist das eine Reizüberflutung, der man als Zuschauer kaum folgen kann.

Turandot lebt in ihrem kleinen Terrarium unter der Arena. Da gibt es ein paar Pflanzen, grünen Rasen, einen Rest Natur. Sie ist zurückgezogen von dem Trubel, der um sie gemacht wird. Sie ist nicht einfach eine Gefühllos-Kalte. In ihrer Arie wird es illustriert und von der Kamera nahgebracht: Ihre Verweigerung und das reihenweise Sterben der Bewerber sind Rache für strukturellen Missbrauch, den Männer eine Menschheitsgeschichte lang Frauen angetan haben.

Im „Tribute von Panem“-Kosmos

Ihr Gegenspieler Kalaf ist mehr als ein romantischer Narr, der die Liebende Liu für irgendein fernes Ideal beiseitestößt. Seine Bereitschaft zu sterben hat eine fast messianische Dimension. Nachdem er die Rätsel löste, hatte er die Möglichkeit, auch die letzte Jungfrau mit männlicher Gewalt zu unterwerfen. Dass er nun Turandot eine Chance gibt, liegt nicht an einer momentanen Gefühlsregung. Kalafs Glaube an die Liebe ist Programm, Vision und Hoffnung für eine menschliche Zukunft.

Die „Turandot“ an der Semperoper baut eine ultimative Dystopie, um sie optimistisch zu lösen. Die Liebe hat die Kraft, Herzen und damit die Welt zu bewegen. Ganz großes Theater, ganz großes Kino für eine schlichte, Hoffnung tragende Erkenntnis.Die Inszenierung stammt von Marie-Eve Signeyrole. Mit ihrem Team, angeführt von Co-Regisseur Heiko Hentschel, unterstützt von Video- und Kamera, gelingt es ihr, die Figuren wirkungsvoll in Szene zu setzen. Fabian Teigné hat den Spielraum, Yashi die vielfältigen, teilweise die Mode aus den Panem-Filmen zitierend, sehenswerten Kostüme entworfen.

All dies wirkte nur, weil es genau in die großartig interpretierte Musik eingepasst ist. Szenische Ideen und Aktionen folgen musikalischen Impulsen. Szene und die Musik spielen einander in die Hände. Man erkennt die Filmerfahrung der Regisseurin.

Kalaf glaubt an die Liebe

Ivan Repusic hat die musikalische Leitung. Staatskapelle, Staatsopernchor plus Kinder- und Sinfoniechor geben die klangvolle Basis für das dramatische Geschehen. Differenziert werden Klangspektren entfaltet, treibt das Schlagwerk die Dramatik, hat Melodie Raum, sich zu entfalten.

Sehr genau wird der Chor im individuellen Spiel und als choreografierte Zuschauermasse geführt. Das gesamte Solistenensemble ist bravourös.

Mit strahlendem, scheinbar mühelosem Tenor glänzt Yonghoon Lee als Kalaf. Er überzeugt als entschlossener, hoffnungsvoller Krieger, der an die Liebe glaubt. Berührend in Darstellung und Gesang findet Elbenita Kajtazi als Liu die Herzen aller. Nur die Turandot und Kalaf können sich dem entziehen. Elisabeth Teige ist eine Turandot mit enormer Gestaltungspalette. Großartig meistert sie die für Opernsänger ungewöhnliche Aufgabe, in der Nahaufnahme des Gesichtes jede Gefühlsregung zu spiegeln, die ihr famoser Gesang hörbar werden lässt.

Wie schlüssig die dramaturgische Verbindung zum Panem-Kosmos ist, mag jeder für sich entscheiden. Mit „Turandot“ ein globales, existenzielles Problem auf die Bühne zu stellen ist rundum gelungen. Dass es gut ausgeht, ist hoffnungsvoll.

Wieder am: 11. und 14. 10. sowie 13., 18., 22. und 25. 11.; Kartentel. 0351 4911705