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Warum Armin Mueller Stahl nicht zur Premiere "seines" Films nach Dresden kam

Der musizierende und malende Schauspieler erzählt mit Musikern aus Dresden sein Leben in einem Doku-Porträt. Eigentlich wollte er es selbst vorstellen.

Von Peter Ufer
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Es gehe Armin Mueller-Stahl nicht so gut, so sein Management. Eine kleine Operation habe nicht zugelassen, dass er nach Dresden kommen könne. Beworben wurde der Abend trotzdem mit ihm.
Es gehe Armin Mueller-Stahl nicht so gut, so sein Management. Eine kleine Operation habe nicht zugelassen, dass er nach Dresden kommen könne. Beworben wurde der Abend trotzdem mit ihm. © Guido Werner

Der letzte eingeweckte Braten der Mutter rettete ihm 1944 das Leben. Da war er 13 Jahre. Er aß das fette Schwein, war satt für den Krieg und satt für den Tod. Er sollte kämpfen an der Front von Pasewalk. Als sich die Jungs zur Abfahrt am Bahnhof trafen, wurde ihm schlecht. Er kotzte den Braten raus an einen Baum. Der Hauptmann schickte ihn zurück nach Hause. Am nächsten Tag würde noch ein Zug an die Front fahren. Doch der nächste Zug fuhr nimmer. Viel später sah er sich das vergilbte Klassenfoto an, alle, Mann für Mann, gefallen bei Pasewalk. Er ist heute über 90, seine Haare werden dünn. „Danke Mutters Eingewecktem, dass ich noch am Leben bin.“

Als Armin Mueller-Stahl diese, seine selbst verfassten Lebenszeilen rezitiert, herrscht absolute Stille im Saal. Der Schauspieler schluckt, winkt schnell Richtung Günther Fischer, er möge die nächste Melodie anstimmen. Der Komponist spielt auf dem Klavier eine seiner über 250 Filmmusiken, Nightkill, 1984 erstmals auf einer Amiga-Platte mit seiner Band veröffentlicht. Der Augenblick voller Erinnerung lässt melancholisch werden.

"Die großen Sender haben reihenweise abgewunken"

Wer will, kann sich diesen Augenblick immer und immer wieder ansehen. „Es gibt Tage“ heißt der Film, der ihn dokumentiert. Der 90-minütige Streifen zeigt ein Interview mit Mueller-Stahl und ein Konzert, aufgenommen am 16. Oktober 2018 im Berliner Wintergarten Varieté. Sein letztes Konzert. Ursprünglich ist der Film fürs Fernsehen produziert worden. „Die großen Sender haben reihenweise abgewunken. Unter anderem mit dem Hinweis darauf, man hätte genug eigenes Filmmaterial mit Mueller-Stahl“, berichtet dessen langjähriger Wegbegleiter, der Musikmanager Hans Jochen Hübenthal. Er selbst habe die Rechte gekauft und vermarkte den Film nun ohne Verleih direkt an Lichtspielhäuser.

Neben Mueller-Stahl und Fischer stehen zwei Dresdner mit auf der Konzertbühne, der Akkordeonist Tobias Morgenstern und der Bassist Tom Götze. Dieser sagt im Film, dass Armin den anderen viel Raum gebe und irgendwann meinte: „Jetzt bist du dran:“ Und dann sei er, Tom Götze, wirklich dran gewesen und musste sich seinen Platz erobern. Er liefert ein famoses Bass-Solo ab. Jeder der Musiker bietet bei dem Konzert sein einzigartiges Solo, weil da ein Schauspieler mit ihnen auf den weltbedeutenden Brettern steht, dessen Kindheit auf ostpreußischen Landgütern schon aus Musik bestand.

„Für mich bedeutet Musizieren Seelenmassage“

Alle spielten damals in Tilsit, in seiner Geburtsstadt, ein Instrument, die Eltern riefen sich statt mit Namen mit melodischen Pfiffen. Müller-Stahl lebt bis heute Musik und lässt die anderen damit leben. Mit Anspruch an sich und die anderen. Der Junge lernt Geige, studiert auf dem West-Berliner Konservatorium. Mit über 80 Jahren spielt er immer noch, gesteht aber, dass die Hände nicht mehr so wollen, er auch nicht mehr übe, aber die Tricks kenne. Sein Spiel beeindruckt - lässig, souverän, berührend und keineswegs beweiswillig, dass er der Beste sein will. „Für mich bedeutet Musizieren Seelenmassage“, sagt Mueller-Stahl.

Der Musik folgt in seinem Leben die Schauspielerei. Davon erzählt er in dem Film nicht viel. Er lässt die Musik erzählen. Wie zum Beweis spielt er auf zwei Flöten gleichzeitig. Sie stammen aus dem 1991 entstandenen Episodenfilm „Night on Earth“, in Amerika geliebt, in Deutschland nur mäßig besprochen. Müller-Stahl mimt den New Yorker Taxifahrer Helmut Grokenberger und erklärt einem Fahrgast: „Money is not important to me. I’m a clown.“ So ist das schon bei der DDR-Erfolgsserie „Das unsichtbare Visier“, wo er den Ost-Bond gibt und irgendwann ahnt, wo das hintreibt mit dem Sozialismus. Dabei kann er bis dahin alles spielen: den Spanienkämpfer in „Fünf Patronenhülsen“ oder den KZ-Häftling in „Nackt unter Wölfen“, den Spieler in „Wolf unter Wölfen“.

Zum endgültigen Bruch mit der DDR kam es 1976

„Zum endgültigen Bruch mit der DDR kam es, als ich 1976 die Petition gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolfgang Biermann unterzeichnete“, sagt Mueller-Stahl. Plötzlich habe es nach 38 Filmen keine Angebote mehr gegeben. Und ehemals gute Bekannte hätten die Straßenseite gewechselt. „Da schrieb ich einen Brief an Honecker und stellte einen Ausreiseantrag“, erzählt Mueller-Stahl. 1979 verlässt er die DDR. 1991 hätte der Schauspieler filmreifer Chefarzt der „Schwarzwald-Klinik“ sein können. Aber er lehnt ab. „Money is not ...“ Auch schien ihm die Herausforderung zu überschaubar. Er dreht lieber mit Fassbinder „Veronika Voss“ und „Lola“, kurz darauf Agnieszka Hollands „Bittere Ernte“ und István Szabós „Oberst Redl“.

1986 findet er sich in Hollywood wieder, ohne ausreichende Englisch-Kenntnisse. „Der Grad zwischen Dummheit und Mut war fließend“, sagt Mueller-Stahl. Anfangs habe er nur so getan, als verstehe er, was die Regisseure von ihm wollten. Letztlich hätten sie aber respektiert, dass er sein Handwerk von der Pike auf gelernt habe. Nachdem Autorenfilmer Jim Jarmusch ihn in „Night on Earth“ besetzte, folgen Angebote anderer Hollywood-Größen wie David Cronenberg, Brian de Palma und William Friedkin. Und zwei Oscar-Nominierungen. Sein drittes Leben widmet er der Malerei. Sein Talent dazu habe er bereits in seiner Zeit am Theater entdeckt. „In den Probepausen skizzierte ich gern meine Kollegen auf Bierdeckeln“, so Mueller-Stahl. Dass die „stets geklaut“ worden seien, wertet er schon früh als gutes Zeichen.

„Krieg ist das Schlimmste, was Menschen Menschen antun"

„Die Schauspielerei dominierte mein Leben. Aber wahrhaft frei fühle ich mich in der Malerei und in der Musik. Alles, was mich bewegt wird Wort und Bild“, sagt er. In diesem Film bleibt es Musik. Eine feinsinnige Komposition durch sein Leben. Reflektiert wie eine Sinfonie mit ihren vier Sätzen samt großem Finale. Da stellt er die Künstler auf der Bühne vor und dankt ihnen. Und dem Publikum. „Krieg ist das Schlimmste, was Menschen anderen Menschen antun können“, sagt er.

Bei der Filmvorführung vergangenen Sonnabend in der Schauburg in Dresden ist er nicht dabei. „Es geht ihm gesundheitlich nicht so gut“, sagt Uwe Sübrich, einer der Geschäftsführer der Berliner Veranstaltungsfirma artecom. Eine kleine Operation habe nicht zugelassen, dass er nach Dresden kommen könne. Allerdings ist bis kurz vor Veranstaltungsbeginn auf der Homepage des Kinos Schauburg zu lesen, dass der Künstler persönlich anwesend sein wird. Schon seit Mitte der Woche verdichtet sich die Nachricht, dass Mueller-Stahl nicht zu der Dresdner Veranstaltung kommen werde. Dass das der Veranstalter nicht rechtzeitig öffentlich kommuniziert, ist gegenüber dem Publikum einigermaßen unfair.